Unser Umgang mit den elektronischen Schnellrechnern ist von Metaphern geprägt. Wir laden etwas hoch oder runter, werden dabei vielleicht Opfer eines – ungerechterweise so benannten – Trojaners oder fangen uns einen Virus ein. Blitzschnell ist der Computer infiziert und tut nicht mehr das, was er soll. Merken wir es früh genug, können die Daten, die ein Teil unserer Existenz geworden sind, gerettet werden. Falls nicht, sind sogar auch all jene, mit denen wir über das weltweite Netz Kontakt pflegen, in Gefahr.
Stellen wir uns nun vor, ein Computerprogramm, dessen Daseinszweck darin besteht, möglichst viel digitalen Schaden anzurichten, besäße auch die Eigenschaften seines biologischen Namensgebers und könnte, wie die hässlichen Erreger der Influenza, ebenso Menschen infizieren. Dann befinden wir uns schon inmitten der furiosen Handlung des Science-Thrillers Mona. Der schwedische Autor Dan T. Sehlberg, Jahrgang 1969, ist mit seinem MBA (Master of Business Administration) der Stockholm School of Economics und als Gründer mehrerer IT- und Internetfirmen für seinen Stoff fachlich bestens gerüstet. Er bezieht sich auf die aktuellen Probleme neurotechnischer Forschung, fügt diesen aber eine weitere, ebenso fantastische wie beängstigende Dimension hinzu.
Bislang nämlich steckt die Entwicklung einer Gehirn-Computer-Schnittstelle (Brain-Computer-Interface, kurz BCI) noch in den Kinderschuhen. Ziel ist es, mittels Elektroden eine Verbindung zwischen der menschlichen Gehirnaktivität und einem Computer herzustellen, um beispielsweise körperlich Behinderten zu mehr Mobilität zu verhelfen. Das Problem scheint in der Herstellung geeigneter Elektroden, die in die Kopfhaut implantiert werden können, zu liegen. So weit die Realität. In Sehlbergs Roman ist die Lösung da, und zwar in Form eines auf Nanotechnologie basierenden Gels, das einen direkten Kontakt zwischen den Gehirnströmen und den Elektroden herstellt. „Mind Surf“ heißt das ehrgeizige Projekt des schwedischen Informatikers Eric Söderqvist, und es funktioniert. Aber eben nicht nur so, wie es sich der Wissenschaftler vorgestellt hat.
Maulwurf und Kaninchen
Zeitgleich wartet im Iran ein Computervirus, wie es die Welt noch nicht gesehen hat, auf seinen Einsatz. Programmiert hat er der Libanese Samir Mustaf, ebenfalls ein genialer Informatiker, der den Tod seiner Tochter Mona rächen will. Das Mädchen ist, wie er glaubt, einer israelischen Splitterbombe zum Opfer gefallen. Also hat er sich von islamistischen Terroristen anwerben lassen, die den Staat Israel auf technologischem Wege in die Knie zwingen wollen. Geplant ist en Angriff auf das israelische Finanzsystem. Dessen verheerende Wirkung wird erst auffallen, wenn es zu spät ist. Dann kann nur noch das ebenfalls von Mustaf programmierte Antivirus helfen, aber das gibt es nur, wenn in Palästina der Grenzverlauf von 1967 wiederhergestellt wird (und einige andere Forderungen erfüllt werden).
Hinter dem perfiden Plan stecken ein saudischer Wirtschaftsmagnat, die schiitische Hisbollah und al Qaida, eine angesichts der momentanen Weltlage eher unwahrscheinliche Konstellation. Aber Mona ist zwar auch ein packender Politthriller, zuerst allerdings ausgeklügelte Cyberfiction. Dan T. Sehlberg geht es darum, das Spannungspotenzial modernster Computertechnik möglichst effektiv zu nutzen. Und das funktioniert, indem er Söderqvist just in dem Moment sein Gel testen lässt, als das Virus in die Welt gelassen wird. Als freiwilliges Versuchskaninchen stellt sich nämlich seine Frau, die für eine israelische Bank in Schweden arbeitet, zur Verfügung. Prompt wird sie von „Mona“ infiziert, und um sie zu retten, muss Söderquvist in den Besitz des Antivirus gelangen. Er muss Kontakt zu dessen Programmierer aufnehmen!
Bis es dazu in einem Tunnel im Gaza-Streifen kommt, zeigt der schwedische Informatiker, dass er das Zeug zum Helden hat. In Südfrankreich nimmt er eine Spur auf, die ihn bis nach Jerusalem führt – und bleibt nicht unbeobachtet. Der israelische Geheimdienst ist in Alarmbereitschaft, zumal es Hinweise darauf gibt, dass ein Maulwurf bis an die Spitze des politischen Establishments Israels vorgedrungen ist.
Dan T. Sehlberg hat die Handlung seines Thrillers in geografische Puzzlesteine zerlegt, die er geschickt platziert, um die Lesenden bei der Stange zu halten. Das Resultat ist eine für diese Art der Spannungsliteratur typische Atemlosigkeit. Mit dem Adrenalinspiegel steigt die Lesegeschwindigkeit, ein Zeichen für ausgesprochen gekonntes Handwerk. Leider vergibt der Autor die Chance, seinen intelligenten Wissenschaftsplot im moralischen Zwielicht zu belassen. Seine Entscheidung für einen eindeutigen Gut-Böse-Dualismus mag ein Wohlgefühl befördern, literarisch fehlt bei diesem Debüt damit vielleicht das letzte Quäntchen Souveränität.
*Vele - Am Ort des Verbrechens
Tobias Zielony studierte im englischen Newport Dokumentarfotografie, als ihm die Idee kam, Jugendliche in Jogginganzügen aufzunehmen. „Damals, 1999, hatte ich das Gefühl, alle jungen Leute tragen diese Kleidung“, erzählt Zielony. Beim „Guardian“ fragte man: „Was ist jetzt die Geschichte?“ Und Zielony antwortete: „Na, die Jungs, die da rumhängen, nichts zu tun haben und Jogginganzüge tragen.“ Meint: Tobias Zielony ist kein Künstler, der seine Bilder auf eine stereotype Erzählung reduzieren will, auf Arbeitslosigkeit, Gewalt, das Übliche.
Über „Schrumpfende Städte“ (2004) sagt er, er habe für das Projekt in Halle/Saale fotografiert, ohne etwas von den Problemen zu wissen: Zielony findet es spannend, dass man eigentlich nie genau weiß, wo die Bilder aufgenommen wurden. Unser Krimi-Spezial illustrieren Fotografien aus Tobias Zielonys Buch „Vele“ (Spector Books 2014, 576 Seiten, 40 €) über Vele di Scampia, eine Wohnsiedlung im Norden von Neapel. In den 80er Jahren Schauplatz des Camorrakriegs, gehört der Gebäudekomplex heute zu den größten Drogenumschlagplätzen Europas und symbolisiert die Macht der Mafia in der Region.
Mona Dan T. Sehlberg Dagmar Lendt (Übers.), Kiepenheuer & Witsch 2014, 464 S., 16,99 €
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