Er selbst konnte mit dem Begriff nichts anfangen, doch nun, nachdem er mit 78 Jahren gestorben ist, tragen manche Nachrufe auf Max von der Grün genau diese, leicht abschätzige, Bezeichnung als Überschrift: "Der Arbeiterdichter". Seit er am 31. März 1961 zusammen mit einigen Schriftstellerkollegen und Literaturkritikern die "Dortmunder Gruppe 61" gegründet hatte, wurde der 1926 im fränkischen Bayreuth geborene gelernte Kaufmann das unpassende Etikett des schreibenden Proleten nicht mehr los.
Tatsächlich hatte von der Grün, bevor er 1964 freier Schriftsteller wurde, mehr als ein Jahrzehnt als Hauer und Grubenlokomotivführer auf Zechen im Ruhrgebiet gearbeitet. Sein erster Roman, Männer in zweifacher Nacht (1962), erzählt von Bergleuten, die bei einem Grubenunglück untertage eingeschlossen werden. Und auch der Held seines zweiten Buches Irrlicht und Feuer (1963) ist Bergmann, verliert aber nach einer Zechenschließung seinen Arbeitsplatz und wird Industriearbeiter. Die heute gern romantisierte Aufbruchstimmung der frühen sechziger Jahre stellt sich als überwiegend trist dar. Den entfremdeten Lebensverhältnissen vermögen auch die bescheidenen Konsummöglichkeiten keinen Glanz zu verleihen, zumal das Geld ständig knapp ist und die Angst um den Arbeitsplatz, trotz Vollbeschäftigung, groß: "Wir hatten uns eine Couch und zwei Sessel gekauft, achthundert Mark kostete der Spaß, wir müssen verrückt gewesen sein, als wir den Kaufvertrag unterschrieben."
Von der Grüns nüchterne Darstellung des Arbeiteralltags gefällt weder Unternehmern noch Gewerkschaften, so dass das Buch von beiden Seiten öffentlichkeitswirksam scharf kritisiert wird. Ein Hersteller von Fördermaschinen strengt gar einen Prozess an, da er sein Produkt im Zusammenhang mit einem tödlichen Arbeitsunfall dargestellt sieht. Und zum regelrechten Skandal gerät die Verfilmung des Romans durch das DDR-Fernsehen, schließlich befindet man sich noch im "kalten Krieg". Mit Irrlicht und Feuer wird Max von der Grün zum bekannten Schriftsteller und gilt von nun an als führender Vertreter einer "neuen Industriedichtung", eine Zuschreibung, die sich bis heute halten sollte.
Doch als 1969 der "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" gegründet wird, ist er nicht mit dabei. Die Vorstellung, man könne "Arbeiter und Angestellte dadurch aktivieren", "indem man sie zum Schreiben anhält", ist für von der Grün eine "Fiktion". Er, der lange Jahre gebraucht hatte, bis er vom Schreiben leben konnte, beharrt auf der Professionalität des Schriftstellers.
Aber von der Politisierung der Literatur in den siebziger Jahre profitiert auch Max von der Grün. Zeitkritische Romane wie Stellenweise Glatteis (1973) und Flächenbrand (1979), die beide auch vom Fernsehen publikumsträchtig verfilmt werden, stoßen auf großes Interesse. Mit seinen Themen - Rechtsradikalismus, Arbeitslosigkeit, politische Korruption - trifft er den Geist der Zeit. Auf die "literarisch-künstlerische Auseinandersetzung mit der industriellen Arbeitswelt der Gegenwart", wie sie sich die "Gruppe 61" auf ihre Fahnen geschrieben hatte, lässt sich die Arbeit des engagierten Schriftstellers zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr reduzieren.
Seinen größten Erfolg erzielt er mit einem Kinderbuch, das die ebenso optimistische wie abenteuerliche Geschichte eines um Anerkennung kämpfenden behinderten Jungen erzählt. Vorstadtkrokodile (1976) steht nämlich seit Jahrzehnten auf dem Lektüreplan für die Sekundarstufe I, so dass der Name Max von der Grün heute in der Altersgruppe der Zehn- bis Zwölfjährigen erheblich präsenter ist als bei Literaturkritikern. Die tun sich immer schwerer mit seinen Romanen. Weder Die Lawine (1986) noch Die Springflut (1990) finden großen Anklang, vielleicht auch deshalb, weil die Zeit, als man Literatur noch als probates Mittel politischer Aufklärung verstand, vorbei ist.
Seine Leistung, erklärte Max von der Grün 1974, bestehe darin, "eine neue gesellschaftliche Dimension in die Literatur hineingetragen" zu haben. Und tatsächlich erschlossen seine frühen Romane einen Bereich sozialer Realität, der in der Nachkriegsliteratur zuvor keine große Rolle gespielt hatte. Der Eindruck allerdings, dass es um die literarische Darstellung der Arbeitswelt heute, ähnlich wie vor 44 Jahren, schlecht bestellt sei, täuscht. Man denke nur an einen erfolgreichen Autor wie Ralf Rothmann, dessen Realismus dem von Irrlicht und Feuer durchaus verwandt ist. Oder an die Geschichten aus der "new economy", die so unterschiedliche Temperamente wie Burkhard Spinnen, Georg M. Oswald oder Ernst-Wilhelm Händler zu erzählen haben. Allerdings ohne die Intention, dass ihre Texte dazu beitragen, "die gesellschaftlichen Verhältnisse im Interesse der Arbeitenden zu verändern", wie es 1970 im "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" formuliert wurde. Doch daran hat wahrscheinlich schon Max von der Grün nicht geglaubt.
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