Platzregen

Berliner Abende An diesen Aufzug werde ich mich wohl ein Leben lang erinnern. Er ist in einem Gebäude im Süden Pankows, und dort fährt er an zwölf Stockwerken an ...

An diesen Aufzug werde ich mich wohl ein Leben lang erinnern. Er ist in einem Gebäude im Süden Pankows, und dort fährt er an zwölf Stockwerken an sämtlichen Abteilungen einer Versicherung vorbei. Schadensregulierung, Recht, Marketing, Sekretariat - alles liegt geordnet übereinander. Ich selbst arbeite nicht in dem Haus, geschweige denn bin ich bei diesem zwölfstöckigen Unternehmen versichert. Ich arbeite bei einem Pizzaservice. Einer kleinen Firma, deren Mitarbeiter täglich mit Warmhalteboxen und Pappschachteln in den Aufzügen der Stadt stehen, um auf irgendeiner Etage warme Mahlzeiten auszuliefern.

Letzte Woche stand ich nun zum ersten Mal in jenem Haus, und zunächst erschien mir dieser Aufzug als nicht weiter bemerkenswert. Ich musste ganz hoch in den Zwölften, und unterwegs im Vierten ist es dann passiert. Die Tür öffnete sich, und ein Mann stieg ein, der mir bekannt vorkam. Kurz bevor wir weiter fuhren, huschte noch eine junge Frau herein, und während sie noch, außer Atem, nach Luft rang, fragte sie: "Entschuldigung ... ob Sie mir vielleicht ein Autogramm geben würden?" Mir war klar, dass sie nicht mich damit meinte. "Ja, natürlich", sagte er. "Wie heißen Sie denn?" "Schmidt, Elena Schmidt", antwortete sie, während er in genau jenem Moment auf eine besonders gewichtige Art nickte, und an eben diesem Nicken erkannte ich ihn. Er war ein berühmter Schauspieler! Miro BlazŠek. Meine Tochter lachte sich im Kino schief über seinen letzten Film! Vielleicht wird er in seinem nächsten Film einen Versicherungsvertreter spielen und möchte sich vorbereiten, dachte ich. Und jetzt stand er hier neben mir, zog einen Stapel Autogrammkarten aus seinem Jacket und nickte, wie er bereits in so vielen Filmen genickt hatte. Er bat mich, die oberste Pizzaschachtel als Unterlage benutzen zu dürfen. Auch ich nickte, jedoch ohne dieses gewisse Etwas, und wenig später nahm er seine Autogrammkarten wieder von den Pappschachteln in meiner Hand und sagte: "So, Fräulein Schmidt - bitte schön."

Fräulein Schmidt war hin und weg. Sie konnte sich seinem Nicken nicht entziehen. Sie starrte ihn unentwegt an, und dabei fiel ihr versehentlich die Karte aus der Hand. Er bückte sich, um sie wieder aufzuheben, und dann geschah etwas, das man nur einmal in seinem Leben zu sehen kriegt:

Als er sich wieder aufrichtete, stieß er mit seinem Rücken an die Unterseite der Pappschachteln, und weil dieses Aufrichten sehr schwungvoll erfolgte, schleuderte mit einem Mal das Mittagessen einer ganzen Etage durch die Kabine. Es war ein wirklich besonderer Moment. Einer der begabtesten Schauspieler unseres Landes stand neben mir, während Oliven, Artischocken und Pilze durch die Luft flogen und überall auf ihm liegen blieben. Es sah irgendwie schön aus, wie all die Sachen auf ihn herunter regneten. Jede Menge Zwiebeln und Salamischeiben waren dabei, und besonders gut zur Geltung kamen die kleinen Maiskörner in seinem Haar.

Dann war es ganz still. Das Schauspiel war vorbei. Ich blickte die junge Frau an. Und dann zu Boden. Ich blickte hoch an die Decke. Und dann an die Wände.

Schweigend fuhren wir hoch bis in den zwölften Stock, und als sich oben die Tür öffnete, wendete Miro BlazŠek mir seinen pizzaverklebten Blick zu und sagte: "Ist das Essen für hier bestimmt?" Ich nickte. "In Ordnung! Dann liefere ich jetzt aus."

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