Man kann bei den Büchern des amerikanischen Verhaltensforschers Michael Tomasello nie ganz sicher sein: Hält man ein Sachbuch in den Händen, in dem kompetent und fesselnd über den Erkenntnisstand der Wissenschaft berichtet wird, oder ist es ein Fachbuch, in dem man dem Wissenschaftler bei der Entwicklung seiner Erkenntnisse sozusagen live zuschauen kann? Diesen Spagat sicher zu beherrschen, ist die große Stärke auch seines neuen Werkes: Die Evolution des Handelns. Von den Eidechsen zum Menschen.
Es geht darum, wie das Handeln entstand, wie aus vorprogrammiertem Verhalten Entscheidungen im Angesicht konkreter Umweltsituationen wurden. Das klingt auf den ersten Blick nach einer erhellenden Lektüre für Evolutions- und Biologie-Interessierte. Es ist aber
ierte. Es ist aber weit mehr als das, schließlich wollen wir wissen, wen wir im Tierreich als unseresgleichen zu akzeptieren haben – das hat Konsequenzen für die Tierethik und für unseren Umgang mit Tieren in Landwirtschaft und Pharmaindustrie.Zudem wird die Antwort auf die Frage, was eigenständiges Handeln sei, auch mit Blick auf die Kombination von Robotik und künstlicher Intelligenz wichtig. Wie kann man die Modelle, die der Verhaltensforscher definiert, in KI-gestützte Robotik-Systeme implementieren? Verändert sich auch unser Verhältnis zu Maschinen, wenn wir irgendwann akzeptieren müssen, dass sie zu einem Handeln wenigstens auf dem Niveau von Eichhörnchen fähig sind?Tomasellos Ausgangsthese ist, dass Handeln auf Feedbacksteuerung basiert. Das Urprinzip des Handelns sieht er in einem Laubsauger realisiert, der Blätter auf der Wiese erkennt, ansteuert, aufsaugt und sogar die Arbeit einstellt, wenn sein Laubbehälter voll ist – wenn er sozusagen satt ist –, auch wenn noch Laub auf der Wiese liegt. Der Autor unterscheidet dann vier Niveaus des Handelns. Interessant ist, dass es nur vier Evolutionsschritte sind, die unser Handeln von der Eidechse trennen. Eine Eidechse kann sich zwischen verschiedenen Strategien beim Beutefangen entscheiden und sie kann lernen, welche Strategie in einer bestimmten Umwelt erfolgreicher ist. Schon die ersten Säugetiere konnten wohl das Ergebnis verschiedener Handlungsoptionen konkret vorwegnehmen und danach entscheiden, welche Strategie sie wählen. Den nächsten Schritt gehen Menschenaffen: Sie haben eine Vorstellung davon, warum die Dinge sich so verhalten, und können somit, wenn Ursachen sich verändern, auch veränderte Auswirkungen in ihre Entscheidung einbeziehen, oder sie können schon auf die Ursachen einwirken, um Ziele zu erreichen. Menschen schließlich unterscheiden sich davon nur noch in einem letzten Schritt: Sie sind zu gemeinsamen Handlungen fähig, weil sie tatsächlich gemeinsame Ziele bilden.Er ist sich erstaunlich sicherTomasello hat damit ein wichtiges Buch geschrieben, es kann zu einem ganz zentralen Element der Debatte werden. Seine Modelle sind hilfreich, um Unterscheidungen zu treffen und Einordnungen vorzunehmen. Allerdings ist auch Vorsicht geboten. Allzu oft erscheint seine Geschichte aus der Perspektive des Ziels – des menschlichen Handelns – heraus erzählt. Oft hat man den Eindruck, es werde mit Gewissheit etwas in die Versuchsergebnisse hineingedeutet (etwa, dass und was Schimpansen sich „denken“), was eben doch Interpretation bleibt. Und bedenkt man, wie unsicher und schwer reproduzierbar Versuche in der Sozialforschung sind, dann ist man schon erstaunt, wie sicher sich Tomasello seiner Deutungen immer wieder ist. Schließlich bleibt auch sein Begriff des menschlichen Handelns reduktionistisch und biologistisch, da helfen auch seine Verweise auf angelsächsische Philosophen des 20. Jahrhundert nichts.Bewahrt man sich eine gewisse kritische Distanz zur allzu sicher vorgetragenen Geschichte, kann man eine Menge großartiger Ideen und Impulse bei Tomasello finden – und ein anspruchsvoller Lesegenuss ist das Buch allemal.Placeholder infobox-1