Ist Jungsein in der Politik unseriös?

Realpolitik Emily Vontz, die jüngste Abgeordnete im Bundestag, hat sichtlich Freude daran, die Interessen der Wähler zu vertreten. Viele finden das befremdlich. Unser Autor nicht: Er freut sich mit
Ausgabe 11/2023
Emily Vontz (22) sitzt für die SPD im Bundestag – außerdem ist sie in den sozialen Medien sehr aktiv
Emily Vontz (22) sitzt für die SPD im Bundestag – außerdem ist sie in den sozialen Medien sehr aktiv

Collage: Ira Bolsinger für der Freitag, Portrait: Finn Grosse

Die jüngste Bundestagsabgeordnete heißt Emily Vontz und ist 22 Jahre alt. Sie hat den gleichen Vornamen wie meine Enkelin und tatsächlich trennen mich fast zwei Generationen von ihr. Die Studentin betreibt einen Instagram-Account, auf dem sie ein kleines Video über ihren ersten Monat als Abgeordnete gepostet hat. Man sieht eine lebenslustige Person, offenbar voller Vorfreude auf ihre Zeit in Berlin.

Spreche ich mit Leuten meines Alters darüber, begegnet mir viel Befremden und Unverständnis. Ein so junger Mensch habe doch noch gar nicht genug Erfahrung für so ein wichtiges Amt, außerdem habe sie noch nicht mal eine Ausbildung abgeschlossen. Zudem, so heißt es mit Blick auf das übermütige Instagram-Video, sei so ein Bundestagsmandat eine ernsthafte Sache, die Seriosität erfordere. Woher soll diese junge Frau denn das Wissen haben, welches sie für Entscheidungen in der Politik benötige? Die nachsichtigste Reaktion ist noch, dass man befürchtet, die 22-Jährige würde sicher von den alten Hasen im Bundestag untergebuttert werden, am Ende bliebe ihr wahrscheinlich nichts übrig, als allem zuzustimmen, was die Fraktionsspitze bestimmt.

Diesen Reaktionen liegt ein bedenkliches, aber wohl weit verbreitetes Missverständnis davon zugrunde, welche Anforderungen wir an die Leute stellen sollten, die uns in den Parlamenten vertreten. Es sind ja unsere Vertreter, sie sollten Leute von uns sein, die sich von den meisten von uns nicht durch irgendein Spezialwissen in Gesundheits-, Außen-, Wirtschafts- oder Militärpolitik unterscheiden, sondern dadurch, dass sie sich gern politisch engagieren, dass sie Freude daran haben, politische Sachverhalte zu verstehen, Kompromisse auszuhandeln und Mehrheiten zu organisieren. Davon hat Emily Vontz wahrscheinlich schon viel gelernt, denn schließlich ist sie bereits saarländische JuSo-Vorsitzende und stand auf der SPD-Landesliste auf Platz vier, was ihr nun den Einzug in den Bundestag ermöglichte.

Darüber hinaus soll sie eben vor allem eines: Interessen von Menschen vertreten, deren Interessen sie kennt, in ihrem Falle eben junge, sozialdemokratisch orientierte Menschen aus dem Saarland. Und davon gibt es einige.

Die Materie, die in den Ausschüssen, Fraktionssitzungen und Plenartagungen des Parlaments behandelt wird, mag oft vielschichtig sein, die Gesetze und Vorlagen sind schwer verständlich, sie werden von Fachleuten in den Ministerien vorbereitet, sie werden von Expertinnen und Spezialisten erläutert. Emily Vontz gehört zu denen, die das in unserem Namen verstehen müssen und mit unseren Vorstellungen vom guten Leben abgleichen müssen, die miteinander aushandeln müssen, was wir akzeptieren können.

Lebensfreude nicht verlieren!

Es wäre fatal, wenn die junge Generation derer, die noch nicht festgelegt sind, die ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen haben, deren Zukunft noch weit vor ihnen liegt, nicht selbst dort vertreten wäre, wenn sie stattdessen von 40- oder gar 60-Jährigen vertreten würden, die meinen, sie wüssten aus Erfahrung, was die Jungen alles falsch sehen und was sie später mal anders sehen werden. Das würde nicht nur die Entfremdung zwischen politischer Klasse und junger Generation begünstigen, es würde auch dazu führen, dass die Sicht der Jungen tatsächlich viel zu wenig in die Entscheidungen einfließt.

Sicher wird Emily Vontz es schwer haben, ihrer Stimme und ihrer Generation Gehör zu verschaffen in den Debatten der gesetzten und so erfahrenen Alten im Parlament. Es ist ihr und den Jungen aller Fraktionen zu wünschen, dass sie über diese Mühen ihre Zuversicht und ihre Lebensfreude nicht verlieren und dass sie auch in vier Jahren noch Lust hat, ein witziges Video auf Instagram zu posten.

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