Es kratzt und rauscht

Porträt Joy Denalane macht Soul und soll immer wieder über Diskriminierung reden. Ihr Album „Let Yourself Be Loved“ erscheint nun bei Motown
Ausgabe 39/2020
Platten zog sie aus der Sammlung ihres Vaters, bevor sie lesen und schreiben konnte
Platten zog sie aus der Sammlung ihres Vaters, bevor sie lesen und schreiben konnte

Foto: Neven Allgeier für der Freitag

Bei dem Treffen soll über ihre Rassismuserfahrungen bitte nicht gesprochen werden, schreibt einer der Promoter, die sich um das neue Album von Joy Denalane kümmern. So was kommt sonst eher bei Interviews mit Superstars vor, Lady Gaga oder Madonna, dass Themen zum Tabu erklärt werden. In diesem Fall aber erscheint der Hinweis des Labelmitarbeiters gar nicht so unsinnig.

Joy Denalane sitzt in einem holzvertäfelten Raum ihres Managements in einem bürgerlichen Viertel im alten Westberlin. Die Sonne scheint herein, sie isst gelassen einen Apfel, lacht und das positive Bild passt zu ihrem neuen, fünften Soloalbum. Let Yourself Be Loved wird von einem warmen, an den Soul der 60er Jahre erinnernden Sound getragen. Es klingt etwas retro, aber gut. Und es ist über das legendäre Detroiter Label Motown Records erschienen, Joy Denalane ist die erste deutsche Künstlerin, die dort veröffentlicht wird. Teile der medialen Berichterstattung über Joy Delanane handeln jedoch kaum von ihrem Album. In Interviews regionaler und überregionaler Medien geht es eher wenig um ihre Musik, dafür dauernd um strukturellen Rassismus in Deutschland oder die Black-Lives-Matter-Bewegung. So als hätten einige Journalist*innen Joy Denalanes Album zum Anlass genommen, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen. Dabei findet das Thema Rassismus auf Denalanes Album gar nicht statt. Es geht eher um Liebe.

Die Autorin und Journalistin Alice Hasters hat sich in ihrem 2019 erschienenen Buch Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten … ausführlich damit auseinandergesetzt, dass eben schwarze Menschen nicht stellvertretend für ein allgemeines Phänomen verantwortlich gemacht werden sollen. Auch Joy Denalane sagt: „Es ist wahnsinnig anstrengend und zermürbend, ständig über strukturellen Rassismus zu reden. Seit ich in der Öffentlichkeit stehe, führe ich dazu Gespräche.“ Und sie fügt hinzu: „Ich finde es interessant, dass jetzt gerade alle darüber sprechen wollen. Ich kann es aufgrund der aktuellen Ereignisse nachvollziehen, aber fühle mich zum Teil auch missbraucht.“

Wenn jemand pseudo-naive Fragen stelle und sich nicht auf Augenhöhe mit ihr bewegen will, werde sie ungemütlich. „Ich würde nie bestreiten, dass es strukturellen Rassismus gibt. Was mich aber interessiert: Wo beginnt Rassismus in der alltäglichen Kommunikation? Wenn wir uns kennenlernen würden, wäre die Frage ‚Woher kommst du?‘ schon eine unbewusste Verletzung?“, wurde sie von einem Redakteur des Magazins Stern zum Beispiel gefragt.

In Joy Denalanes Fall ist es rasch erzählt: Sie wuchs mit fünf Geschwistern in Westberlin auf. Der Vater stammt aus Südafrika, die Mutter aus Deutschland. Mit ihren beiden Söhnen und ihrem Mann Max Herre lebt sie noch immer in Berlin.

Wobei die Frage „Woher kommst du?“ mit Bezug auf Let Yourself Be Loved ja durchaus auch in einem anderen Kontext Sinn ergeben würde. Denn das Album beantwortet die Frage, woher Joy Denalane musikalisch stammt. Es ist auch eine Rückbesinnung auf ihre Erinnerungen an die Plattensammlung ihres Vaters, in der viele Soul-Alben aus den 60er und 70er Jahren stehen. Als Kind hat Denalane darin gegraben, ohne zu wissen, wonach sie eigentlich suchte, und wurde so in ihrem Musikgeschmack geprägt. Sie hatte einen sehr visuellen Zugang zu Musik damals. „Ich habe die Platten aus der Sammlung meines Vaters herausgezogen, bevor ich lesen und schreiben konnte. Ich bin nur nach den Artworks gegangen, die mir gefallen haben“, sagt sie. Auf die Soul-Ikone Aretha Franklin sei sie so gestoßen, die auf einem Albumcover in Kaftan und mit Kopftuch posierte. Das imponierte ihr, denn die meisten Frauen wurden damals auf Covern noch sexualisiert. Aretha Franklin stand im Kontrast dazu.

Auch auf Stevie Wonder und Michael Jackson stieß sie schnell, die beide Musik auf dem legendären Label Motown veröffentlichten. Stevie Wonder hält dem Label bis heute die Treue, während Jacksons legendäre Alben dann bei Epic erschienen. Das Cover von Michael Jacksons Album Off The Wall habe sie damals sehr beeindruckt, erzählt Denalane. Wegen der leuchtenden weißen Socken, die er auf dem Foto trägt. „Ich habe mich gefragt, ob er Glühbirnen unter den Socken hat und wie er dann noch seine Schuhe anziehen kann“, sagt sie lachend. Bis sie mit 16 Jahren aus ihrem Berliner Elternhaus auszog, zehrte sie von dieser Plattensammlung.

Soul ist ein essenzieller Teil von Denalanes musikalischer Identität. Obwohl es eigentlich gar keine Soul-Lobby in Deutschland gibt, wie sie sagt. „Es geht ja so weit, dass mich Leute seit 20 Jahren ‚Queen of German Soul‘ nennen.“ Was musikalisch auf Let Yourself Be Loved passiert, bezeichnet sie deswegen als Nischenmusik in Deutschland. Es ist die logische Konsequenz aus der Musik, die sie in ihrer Karriere bisher veröffentlicht hat. Angefangen von Gastspielen bei Bands in Berlin, den Projekten mit der Rapcrew Freundeskreis in Stuttgart, dessen Teil auch ihr Ehemann Max Herre war, bis hin zu ihren Soloalben, die sich immer auf Soul und Neosoul bezogen haben.

Eigentlich ein Nebenprojekt

Ihr letztes Album Gleisdreieck von 2017 war dann der Versuch, einen Zeitgeist zu treffen. Deutsche Rapper wie Ahzumjot, Megaloh und Tua tauchten als Gastmusiker auf, es gab Experimente mit Autotune und anderen Soundeffekten. Let Yourself Be Loved klingt nun wieder etwas klassischer, näher an den Plattenfunden aus ihrer Kindheit. Und roher als ihre anderen Veröffentlichungen. Es darf kratzen und rauschen, so wie damals.

Eigentlich sei das Album ohnehin nur ein Nebenprojekt gewesen, fast ohne Budget entstanden. Aufnahmen aus Sessions in New York von vor fünf Jahren waren das Ausgangsmaterial. Joy Denalane mietete sich zusammen mit einem Produzenten und einem Engineer, alles bekennende Frühaufsteher, wie sie sagt, ein Studio in der oberbayrischen Kleinstadt Unterföhring, um die Skizzen weiter auszuarbeiten. In welcher Form die Musik veröffentlicht werden würde, war damals noch gar nicht klar. „Ich bin ins Studio gegangen und dachte: Was ich jetzt mache, das mache ich nur für mich.“ Entstanden sind elf Songs, die unter anderem die Namen Love your Love, Wounded Love und Top of my Love tragen.

Eine politische Komponente haben ihre Songs dennoch. Sie beschäftigen sich untergründig mit der Liebe in einer Leistungsgesellschaft, in der Menschen sich selbst nicht mehr genügen. Sie erzählt von Gesprächen mit Freund*innen, extrem netten Leuten, wie sie sagt, die sich einsam fühlen. Einen Grund darin sieht sie in dem Druck, den eine kapitalistische Gesellschaft, in der eine ständige Selbstoptimierung gefordert wird, auf Menschen ausübt. „Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen allein sind, die nicht allein sein wollen. Dass sie verunsichert sind, dass sie sich nicht liebenswert genug finden und denken, es würde mit ihnen was nicht stimmen.“ Sie spricht über den Wettbewerb mit Mitstreiter*innen und die Selbstdarstellung in Social Media, die diesen Wettbewerb noch verstärken kann.

Einen Tag vor unserem Treffen läuft Joy Denalane durch die Gänge eines großen Kulturkaufhauses in Berlin direkt zur Schallplattenabteilung. Sie wirkt aufgeregt, grinst. Im Hintergrund läuft tatsächlich ihre Musik aus der Anlage des Geschäfts und ihre Platte steht zwischen den alten Helden und Heldinnen aus der Plattensammlung ihres Vaters.

Ein Video von diesem Besuch hat sie auf ihrem Instagram-Account gepostet. Fragt man sie, ob das nicht auch eine Art genau dieser Social-Media-Selbstdarstellung sei, die sie kritisiert, muss Joy Denalane laut lachen. „Ich bin eine ganz schlechte Lügnerin“, sagt sie. „Nichts, was du von mir siehst, ist gestellt.“ Auch die Albumproduktion habe mehr mit Disziplinierung als mit Druck zu tun.

In Unterföhring sei sie in einem richtigen Tunnel gewesen. „Wir hatten alle drei ein extremes Arbeitsethos. Wir haben alle Familie und mussten uns immer wieder Zeit freischaufeln, um die Produktion zu stemmen.“ Ein Mitarbeiter ihrer Plattenfirma habe das fertige Album dann mit zu Motown genommen, und die wollten es sofort veröffentlichen. Ob Let Yourself Be Loved wirklich so nischig geworden ist, wie Joy Denalane glaubt?

Immerhin hat das Album mittlerweile Platz 5 der Deutschen Albumcharts erreicht. Noch vor der Musik von Matthias Schweighöfer. Nur einige alte Rockmusiker liegen ganz vorne: Bands wie Metallica, The Rolling Stones und Deep Purple.

Kurz vor der Veröffentlichung von Let Yourself Be Loved stand die deutsche Redaktion des Musikmagazins Rolling Stone in der Kritik. Eine geplantes Titelinterview mit Joy Denalane und der Indierock-Musikerin Ilgen-Nur wurde zwar gedruckt, aber auf dem Cover prangte schließlich Bruce Springsteen. Kritiker lasen das als Symbol für den strukturellen Sexismus in der noch immer von Männern dominierten Musikindustrie.

Das Cover ist für Joy Denalane kein Thema. Sexismus und Machogehabe im Musikbusiness dagegen schon. „Es gab immer wieder Männer, die mir sagen wollten, wie ich mich verhalten, wie ich aussehen und wie ich reden soll. Es ist ein Problem der Struktur, wenn man Frauen bestimmte Rollen zuschreibt und sie besonders promotet, wenn sie diese Rollen bedienen“, sagt sie. „Aber ich gehöre zu den Künstlerinnen, die immer wussten, was für sie richtig oder falsch ist und das auch durchsetzen konnten.“

Die Klänge Südafrikas – und Kreuzbergs

Denalane wird 1973 als Tochter einer Deutschen und eines Südafrikaners in Westberlin geboren und wächst in Kreuzberg auf. Ihre Eltern geben ihr den Namen Joy: Freude. Sie ist das dritte von sechs Kindern – die lang ersehnte erste Tochter. Als Soul- und R&B-Sängerin lässt sie ihre südafrikanischen Wurzeln in die Arrangements ihrer Songs einfließen und bringt sie mit deutschen Texten zusammen.

Mit 19 Jahren geht sie zu einem Vorsingen und hat Erfolg. Sie wird als Sängerin in den Reggae- und Soulbands Culture Roots und Family Affair engagiert und unterschreibt wenig später ihren ersten Plattenvertrag als Solokünstlerin. 2002 erscheint ihr Debütalbum Mamani – es bedeutet Mutter, Großmutter oder Ahnin. Joy Denalane reiste nach Südafrika und arbeitete dort mit hochkarätigen afrikanischen Musikern. Einen Song, Setho, singt sie in der südafrikanischen Sprache Xhosa. Das Lied Im Ghetto von Soweto handelt von der Apartheid, dem Schüleraufstand von Soweto und Aids. Joy Denalane arbeitete mit dem senegalesischen Sänger und Komponisten Youssou N’Dour zusammen, ging mit dem Jazztrompeter Till Brönner auf Tour und gab Konzerte in New York und Philadelphia. Sie gewann einen Comet in der Kategorie „Best HipHop/R&B National“.

Mit der Hip-Hop-Band Freundeskreis nahm sie Ende der 1990er Jahre das Duett Mit Dir auf, es wird ein Sommerhit, Freundeskreis-Frontmann Max Herre Denalanes Freund. Von 2003 bis 2007 waren die beiden verheiratet, seit 2011 sind sie wieder ein Paar. Sie haben zwei gemeinsame Söhne. Die 47-Jährige hat bis heute fünf Soloalben veröffentlicht, auf dem aktuellen singt sie zum zweiten Mal auf Englisch.

Johann Voigt ist Autor und Journalist in Wien und Berlin. Er schreibt vor allen Dingen über Musik, Subkultur und Gesellschaft

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