Die Vermarktung queerer Symbole

Einhorn-Bratwurst Eine Innovation im Fleischregal erzählt einiges über die kapitalistischen Verwertungszyklen einst widerständiger Symbole
Ausgabe 19/2017
Lange Zeit stand das Einhorn symbolisch für die queere Bewegung
Lange Zeit stand das Einhorn symbolisch für die queere Bewegung

Foto: Josh Edelson/AFP/Getty Images

Es soll nur eine Weise geben, auf die ein Einhorn gefangen werden kann, heißt es: Das scheue Tier vergisst durch die reine Liebe einer Jungfrau seine Wildheit und schläft in ihrem Schoß ein. Diese in der Renaissance verbreitete Vorstellung beschrieb Leonardo da Vinci in seinen Notizen zu einer Skizze mit Jungfrau und Einhorn. In der Antike wurde das Einhorn in Indien vermutet. Im 13. Jahrhundert verwechselte Marco Polo es auf seinen Reisen mit einem Nashorn und empörte sich darüber, dass es am liebsten in Schlamm und Dreck badete.

Längst ist klar: Das weiße Pferd mit dem langen Horn existiert nur in der Vorstellung. Gerade deswegen wurde das Fabelwesen zu einem Symbol dafür, an sich selbst zu glauben, für die eigene Existenz und Einzigartigkeit einzustehen, abseits aller Schubladen. Zusammen mit dem Regenbogen wurde das Einhorn ein Symbol für Bisexualität, aber auch für queere Identitäten im Allgemeinen. Der Begriff queer wurde Ende der 1980er Jahre in den USA eine politische Selbstzuschreibung und ein Sammelbegriff für von der Norm abweichende sexuelle Orientierungen. Als Alternative zu gay wurde queer als widerständiges Wort genutzt, um aus den Dualismen homo- oder heterosexuell, männlich oder weiblich auszubrechen. Es ging darum, sichtbar zu werden, ohne sich einordnen zu lassen: Ihr denkt, ich bin unmöglich, aber es gibt mich doch. Das Einhorn passte dazu als Symbol.

Doch die Bedeutung von Symbolen wird immer wieder neu verhandelt. Wenig widerständig sind Einhörner heute niedliche, ungefährliche Wesen einer heilen Welt. Mit pinker oder bunter Mähne pupsen sie Glitzerstaub oder kotzen Regenbögen. Europas größtes LGBTIQ-Karriere-Event „Sticks & Stones“ hat zum Beispiel das Einhorn als Logo gewählt. Die Beliebtheit des Einhorns und der Anspruch, etwas ganz Einzigartiges zu sein, wurden in den vergangenen Jahren als Vermarktungsstrategie entdeckt, nicht nur für Kinder-, sondern massiv auch für Erwachsenenprodukte. Ritter Sport entwickelte vergangenes Jahr eine Einhorn-Schokolade, die innerhalb kürzester Zeit ausverkauft war. Starbuck’s hat vor einigen Wochen einen Unicorn-Frappuccino auf den Markt geworfen. Edeka verkauft Einhorn-Klopapier mit Zuckerwatte-Geruch. Das Neueste: gegenderte Fleischwaren-Spezialitäten von dem ostdeutschen Konzern Puttkammer. Neben „Kerle“- und „Ladies“-Bratwurst gibt es jetzt auch „Einhorn-Bratwurst“. Auf der bräunlichen Kerle-Bratwurst ist ein Krug Bier abgebildet, auf der pinken Ladies-Bratwurst eine weibliche Silhouette und auf der rosafarbenen Einhorn-Bratwurst ein Regenbogen kotzendes Einhorn.

Diese Innovation im Fleischregal erzählt einiges über die kapitalistischen Verwertungszyklen einst widerständiger Symbole. Das Einhorn liegt als lustiges Sei-wie-du-bist-Versprechen nun als eine Wahlmöglichkeit neben der sexistischen Vorstellung eines „richtigen Kerls“, der Bier trinkt, und einer „richtigen Lady“, mit sexy Körper und Vorliebe für Pink. Egal, wie die Wurst schmeckt, die Bratwurstwahl – männlich, weiblich, Einhorn – lässt das, was als männlich und was als weiblich gilt, unangetastet. Das Versprechen einer selbstbestimmten Individualität, in der jede Sexualität, jede geschlechtliche Selbstdefinition Platz hat, wird für die Vermarktung von Bratwurst, Frappuccino und Klopapier aufgegeben. Dass Normen aufgelöst werden könnten, dass Schubladendenken überwunden werden könnte – das hat keinen Platz mehr im Einhorn-Hype.

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