„Wir zeigen Ihnen jetzt kurze Beschreibungen fiktiver Personen. Bitte stellen Sie sich vor, dass diese Personen sich für eine Ausbildung für die häufigsten Ausbildungsprogramme in Ihrem Unternehmen bewerben.“ Mit dieser Aufforderung hat das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) hypothetische Bewerbungen an Personaler von über 600 Ausbildungsbetrieben in Deutschland geschickt. Diese sollten angeben, wie wahrscheinlich es wäre, dass sie die Bewerberin oder den Bewerber zum Vorstellungsgespräch einladen. Und die Studie kommt zu einem klaren Schluss: Frauen werden bei ihren Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz benachteiligt.
„In technischen und überraschenderweise auch in erzieherischen und pflegerischen Ausbildungsberufen haben Frauen schlechtere Chancen“, sagt Dorothea Kübler, Direktorin der WZB-Abteilung Verhalten auf Märkten. Ausbildungsberufen kommt in Deutschland eine wichtige Stellung für den gesamten Arbeitsmarkt zu, weil sich knapp zwei Drittel aller Schulabsolventen laut Studie für eine Ausbildung entscheiden. Mehr als die Hälfte bleibt dann auch bei der Firma angestellt, bei der sie in Ausbildung waren. Und laut Bundesagentur für Arbeit sind in Deutschland jedes Jahr 600.000 Ausbildungsplätze in mehr als 340 anerkannten Ausbildungsberufen zu besetzen.
Eine Note schlechter
Die Studie zeigt nun, dass die Besetzung dieser Plätze nicht gleichberechtigt stattfindet. Die Diskriminierung von Bewerberinnen variiert dabei aber je nach Branche. In manchen Branchen, zum Beispiel in der Systemgastronomie, ist die Benachteiligung von Frauen so stark, dass sie vergleichbar mit einer ganzen Note schlechter im Zeugnis ist.
In Branchen, in denen es insgesamt nicht so viele geeignete Bewerber gibt, fällt die Diskriminierung von Frauen dagegen geringer aus. Am stärksten ist die Benachteiligung in den männerdominierten Ausbildungsberufen, besonders in technischen Berufsfeldern wie der Mechatronik. Wenn es mehr Frauen gibt, die die Ausbildung absolvieren, erhöht das auch die Wahrscheinlichkeit für andere Frauen, eingestellt zu werden. Männer werden dagegen in frauendominierten Ausbildungsberufen nicht diskriminiert, resümiert das WZB. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Die Diskriminierung in kleineren Betrieben ist größer als in größeren Betrieben. Und auch die Bildungsanforderungen machen einen Unterschied: Die Benachteiligung ist insgesamt stärker in Ausbildungen mit niedrigen Bildungsanforderungen. Mit einem höheren Prestige des Ausbildungsberufs nimmt die Diskriminierung von Frauen dagegen ab.
Ein Punkt, der am Ende der Studie als möglicher Faktor für die Benachteiligung von Frauen in Ausbildungsberufen mit niedrigen Bildungsanforderungen erwähnt wird, ist körperliche Kraft. Unterschiedliche Erwartungen an die Kraft von Frauen und Männern könnten die besonders starke Diskriminierung in Berufen, die mit schwerer physischer Arbeit verbunden sind, erklären. Allerdings sei häufig durch die fortschreitende Technisierung auch in diesen Branchen körperliche Kraft gar nicht in erster Linie gefordert. Die skizzierte Benachteiligung legt nahe, dass Frauen noch zusätzlich in frauendominierte Jobs gepusht werden. Bestehende Ungleichheiten werden so verstärkt, insbesondere wenn Frauen ihre schlechteren Aussichten in männerdominierten Berufen antizipieren und sich gar nicht mehr bewerben.
Womit hängt diese Diskriminierung zusammen? Die Ergebnisse der Studie können unterschiedlich interpretiert werden. Klar ist aber: Für einen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt besteht Handlungsbedarf. Nur aus der Studie lassen sich keine eindeutigen politischen Handlungsanweisungen folgern. Dafür ist ein Blick in die Praxis nötig. Wie sieht die Suche nach einem Ausbildungsplatz in Deutschland also aus?
Meike Al-Habash von der Industrie- und Handelskammer Berlin zeigt sich über die Ergebnisse der Studie verwundert. Die IHK vertritt als Selbstverwaltungsorgan die Interessen aller Gewerbetreibenden in Berlin gegenüber Politik und Öffentlichkeit. „Die Rückmeldung, die wir von Unternehmen bekommen, ist, dass sie unter Druck stehen, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen, und dass sie ganz aktiv nach Frauen suchen, auch in männerdominierten Berufen.“ Diskriminierung aufgrund von Geschlecht ist Al-Habash nicht bekannt – außer im Zusammenhang mit Berufen, in denen eine bestimmte körperliche Konstitution gefordert wird. Es gebe aber genauso Frauen, die die körperliche Konstitution erfüllen, wie Männer, die sie nicht erfüllen. „Uns ist kein Fall bekannt, dass eine Frau aufgrund des Geschlechts einen konkreten Ausbildungsplatz nicht bekommen hätte.“ Offen zugeben wird das ein Arbeitgeber aber auch kaum.
Al-Habash sieht eher eine „Matching-Herausforderung“ und wirbt für eine möglichst facettenreiche Berufsorientierung. „Haben sich die beiden erst mal gefunden, also kommt der richtige Bewerber zum richtigen Betrieb, gibt es viele Möglichkeiten.“ So werden zum Beispiel mehr und mehr Teilzeit-Ausbildungen angeboten für junge Mütter und Väter oder Menschen, die Familienangehörige pflegen.
„Es tut sich einiges“
Zudem erscheint die angespannte Situation der Betriebe hier eine treibende Kraft zu sein, die einiges bewegt. Weil viele Betriebe zurzeit Probleme haben, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen, haben sie von sich aus eine hohe Motivation, Gleichberechtigung zu fördern und Ideen zu entwickeln, wie Ausbildungen attraktiver werden können. Und klar ist auch: Vorbilder, die Orientierung geben, und Frauen, die ihren Interessen in männerdominierten Berufen nachgehen, sind das beste Mittel gegen Vorurteile und Diskriminierung.
Helfen da Maßnahmen, die gezielt bei der Berufsorientierung ansetzen? Bei dem bundesweit durchgeführten Girls’ Day, der seit 2001 jährlich stattfindet, geht es darum, Mädchen für männerdominierte Beru-fe zu begeistern. Der Girls’ Day arbeitet mit interessierten Unternehmen zusammen und macht Mädchen auf Berufe aufmerksam, die sie ansonsten vielleicht nicht in Erwägung ziehen würden. Erklärtes Ziel ist es, Mädchen zu ermöglichen, ihre Interessen und Stärken zu verfolgen – und sie zu motivieren, dies auch in männerdominierten Berufen zu tun.
Lore Funk, die bei der bundesweiten Koordinierungsstelle Girls’ Day für den Bereich Evaluation zuständig ist, sieht die Entwicklungen für Mädchen und Frauen in männerdominierten Ausbildungsberufen positiv. Sie verweist auf den überdurchschnittlichen Beschäftigungszuwachs von Frauen in MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik): „Es tut sich da einiges.“
Über die Ergebnisse der Studie des WZB ist Funk dennoch nicht überrascht. Sie berichtet von Studien, in denen es um die Frage geht, wann Frauen nicht mehr als Ausnahmen gelten. Dieser Anteil werde häufig auf 30 oder 40 Prozent der Beschäftigten beziffert. Eine andere Studie, die Funk erwähnt, räumt aber auch mit dem Vorurteil auf, dass sich Frauen in männerdominierten Berufen nicht wohlfühlen: Selbst wenn Frauen in der Minderheit in einem Betrieb anfangen, sind ihre Zufriedenheitswerte, so eine Auswertung des DGB-Ausbildungsreports 2015, nicht schlechter als die ihrer Kollegen.
Was spricht dann gegen die Einstellung von Frauen, wenn sie – sind sie erst mal eingestellt – sich auch in männerdominierten Berufen wohlfühlen? Funks These lautet: Die Diskriminierung von Frauen entspringt nach wie vor meist der Annahme von Arbeitgebern, dass die Frau aufgrund von Familienplanung irgendwann aus dem Unternehmen rausfällt – und dass sie so langfristig gesehen weniger produktiv für das Unternehmen ist. Wie ließe sich dem entgegensteuern? Durch viele aktive Väter. Lore Funk wünscht sich, dass irgendwann bei Männern genauso wie bei Frauen Familiengründung Berücksichtigung findet.
Von Unternehmen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen und attraktive Arbeitsbedingungen schaffen, profitieren nämlich alle – Frauen genauso wie Männer. Eine feministische Vision von Arbeit nimmt daher notwendigerweise die Teilung zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit in den Blick. Und vor allem die unterschiedliche Wertschätzung und finanzielle Honorierung, die diese beiden Sphären erfahren. Beim Blick auf die Arbeitswelt kann es nicht nur darum gehen, wer wie viel und wie gleichberechtigt zu welchen Bedingungen einer Lohnarbeit nachgeht, sondern es muss auch darum gehen, wer wie viel und wie gleichberechtigt zu welchen Bedingungen in Haushalt, Kindererziehung oder Pflege tätig ist.
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