Moratorium

WEHRMACHTSAUSSTELLUNG Zweifel an der Kritik der Kritiker

Ob die Austellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht" überlebt, ist nicht ausgemacht und welches Gesicht sie danach hat, ist eine offene Situation. Hat das Moratorium also nur den Sinn, die Ausstellung zu korrigieren, indem "falsche" gegen "richtige" Bild-Beweise ausgetauscht werden? Überhaupt ist zu fragen, ob dieses Moratorium überhaupt notwendig war? Wissenschaftlich anerkannt ist bis heute - trotz der Angriffe der konservativen Geschichtspolitik -, dass die Wehrmachtsführung einen verbrecherischen Krieg führte, und dass eine größere Zahl von Wehrmachtssoldaten, in unterschiedlicher Art und Weise, daran mitgewirkt haben. Die Grundaussagen der Ausstellung hatten und haben Bestand. Im Sinne der Aufklärung und im Sinne derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die sie besuchten, wäre es allemal, die zu Recht von Ungvary und Musial kritisierten Bilder abzunehmen und die Öffentlichkeit an der Aufklärungsarbeit teilhaben zu lassen. Doch nun hat der Historiker Christian Streit, der zu Beginn der 70er Jahre schon in seiner Studie Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945 die verbrecherischen Befehle und deren Konsequenzen genau analysiert hatte, seinerseits erhebliche Einwände gegen die Kritiken Ungvarys und Musials. Streit behauptet, dass jene mit gutem Grund lediglich etwa ein Dutzend Fotos der "Wehrmachtsausstellung" kritisierten. Ungvarys Rechnung, nur 10 Prozent der Bilder würden tatsächlich Opfer der deutschen Wehrmacht zeigen, sei eine völlig überzogene These. Er definiere ganz willkürlich, "was ›Wehrmacht‹ war: die Feldpolizei und die Geheime Feldpolizei - die selbstverständlich Teil der Wehrmacht waren und ihre Befehle ausschließlich von Wehrmachtsstellen erhielten - gehören für ihn nicht dazu. - Erschießungen durch Waffen-SS-Einheiten, die unter Befehl von Wehrmachtsgenerälen standen: sind auszuschließen, war ja keine Wehrmacht. - Ungvary, so Streit weiter, scheine unbekannt zu sein, dass die Wehrmacht in bestimmten Situationen dem SD Menschen "zur Exekution" übergeben habe, dass sogar ein Vertreter des Reichssicherheitshauptamtes erklärte, "die SS wolle nicht länger ›der Henker der Wehrmacht‹ sein. - Für den ungarischen Historiker kommt nur derjenige als Täter in Betracht, der selbst schießt. So zählen für ihn zahlreiche Fälle dann nicht zu den Mordaktion der Wehrmacht, wenn diese "nur" Beihilfe leistete, indem sie SD, SS und Polizeieinheiten "logistisch" oder in anderer Form unterstützte. Im Fall Babij Jar, wo das Sonderkommando 4a Ende September 1941 33.771 Juden ermordete, was auch in der Ausstellung so dokumentiert wird, wird in den Prozessakten gegen Überlebende des Sonderkommandos gesagt, dass dem Massenmord eine Besprechung beim Stadtkommandanten von Kiew voranging, bei der die anwesenden Wehrmachtsoffiziere erfuhren, worum es ging. Ungvary unterstellte den Ausstellungsmachern die Behauptung direkter Täterschaft, wo diese abgestufte Formen des Mittuns, der Mittäterschaft und Beihilfe dokumentieren. Diesselben Schwächen gelten auch für Musial: Unter anderm hatte er es nicht für notwendig gehalten, seine Ergebnisse an deutschen Akten zu überprüfen. Er bezweifelt, dass es in der Anfangsphase des Ostkrieges das Fotographieren bei Massenerschießungen gegeben habe; doch belegen gerade die Fotographierverbote zwischen Sommer 1941 und Februar 1942, dass es als Problem bei den verschiedenen Wehrmachtsebenen gesehen wurde. "Die Feststellung", so der Historiker Christian Streit, "ob auf den Bildern Opfer des sowjetischen NKWD zu sehen sind, entnimmt er den Urteilen polnischer, und - vermutlich - ukrainischer Kommissionen, die freilich diese Feststellung erst nach 1989 treffen konnten. Mit welchen Belegen das geschah, ist seinem Aufsatz (in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte - J.K.) nicht zu entnehmen. Musials angeblichem Nachweis, dass die Leichen in einem Massengrab ukrainische Opfer des NKWD und nicht jüdische oder russische Opfer von Wehrmacht, SS oder ukrainischen Nationalisten seien, wollen die Untersuchungskommissionen nach über fünfzig Jahren ermittelt haben. Man wäre dankbar zu erfahren, mit welchen Mitteln das festgestellt worden ist. Gibt es Gründe für ein Moratorium? Ich hätte den Ausstellungsmachern einen längeren Atem gewünscht!

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