Öffnen wir den Blick

20. Juli 1944 Beim Gedenken an den Umsturzversuch in der Nazi-Diktatur geht es selten um den Widerstand aus der Arbeiterbewegung. Dabei war der beträchtlich
Ausgabe 29/2019
Stauffenberg ist überall. Wir erinnern an Franz Jacob und Anton Saefkow
Stauffenberg ist überall. Wir erinnern an Franz Jacob und Anton Saefkow

Montage: der Freitag

Wenn in diesen Tagen mit vielen Veranstaltungen an den 75. Jahrestag des 20. Juli 1944 erinnert wird, dann geht es zwar, im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten, auch um die soziale Breite und weltanschauliche Vielfalt im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Der Widerstand aus der Arbeiterbewegung in der Kriegszeit ist jedoch ein weißer Fleck im kollektiven Gedächtnis der Deutschen geblieben. Und über die Kontaktversuche zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten vor dem 20. Juli 1944 wissen bestenfalls einige Spezialisten Bescheid. In der öffentlichen Diskussion spielen sie keine Rolle – auch nicht in der Literatur. In der kürzlich erschienenen Biografie Stauffenberg. Porträt eines Attentäters von Thomas Karlauf lassen sich die Namen Anton Saefkow und Franz Jacob ebenso wenig finden wie in der ansonsten glänzend geschriebenen Militärgeschichte des 20. Juli 1944, Unternehmen „Walküre“ von Winfried Heinemann.

Bei der Wahrnehmung des Widerstands gegen das NS-Regime nach 1945 muss immer berücksichtigt werden, dass dies nicht die Erinnerung einer Mehrheit der Gesellschaft, sondern ebenso wie der Widerstand gegen den Nationalsozialismus vor 1945 immer Sache von gesellschaftlichen Minderheiten war. Die Erinnerung an die Breite und Vielfalt des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus musste mühsam durchgesetzt werden.

Vieles wurde dabei ignoriert, verdrängt, vergessen. Noch lange Zeit wurde der Widerstand in der BRD als Verrat angesehen. Wäre er direkt nach 1945 als Handlungsalternative zur „Volksgemeinschaft“ der Nazis akzeptiert worden, wäre der deutsche Opfermythos vom „Zusammenbruch“ nicht möglich gewesen. Diesen Spiegel jedoch wollten sich die Deutschen nicht vorhalten.

Die Wege zur Anerkennung des Widerstandes gegen die NS-Diktatur in Nachkriegsdeutschland waren lang; längst nicht alle Formen und Aktionen des Widerstandes wurden akzeptiert, viele von ihnen waren heftig umstritten oder blieben vollkommen unbekannt. Dies gilt auch für den Widerstand aus der Arbeiterbewegung.

Immer wieder kam es zu politischen Auseinandersetzungen darüber. Bundespräsident Heinrich Lübke sprach sich bereits 1964 dafür aus, kommunistischen Regimegegnern eigenständige, idealistische Handlungsmotive zuzugestehen und sie nicht als Handlanger Moskaus zu verstehen.

Als Bundespräsident Gustav Heinemann 1969 den Hamburger Kommunisten Fiete Schulze würdigte, stieß er auf scharfe Kritik. Fiete Schulze, ein Weggefährte Ernst Thälmanns, war 1926 in die Sowjetunion emigriert, im Sommer 1932 nach Hamburg zurückgekehrt, 1933 festgenommen und nach schweren Folterungen im März 1935 dreimal zum Tode verurteilt worden.

Herbert Wehner blieb fort

Der ehemalige Kommunist und langjährige SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner verzichtete nach einer heftigen öffentlichen Debatte 1976 darauf, bei der jährlichen Gedenkfeier zum 20. Juli zu sprechen. Diese Beispiele zeigen, dass von einem Konsens über den Widerstand oder von einer umfassenden Anerkennung des Widerstandes aus der Arbeiterbewegung auch zu dieser Zeit nicht gesprochen werden kann. Der in der Bundesrepublik wirksame Antikommunismus verhinderte, dass vorurteilsfrei über den Widerstand aus der Arbeiterbewegung geredet und geforscht werden konnte.

Dies ist keineswegs nur ein Phänomen der frühen Jahrzehnte der Bundesrepublik. Als in den späten 1980er Jahren in der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstandauch der Widerstand von Kommunisten, die Rote Kapelle, der Widerstand aus dem Exil und das Nationalkomitee Freies Deutschland dokumentiert werden sollten – und wurden! –, erhob sich dagegen ein vielfältiger Protest. Ein Teil der Gesellschaft zeigte sich noch nicht bereit, diese Formen des Widerstandes anzuerkennen. Diese Debatte ist heute beendet. Was aber noch nicht bedeutet, dass der Widerstand aus der Arbeiterbewegung im öffentlichen Bewusstsein tatsächlich verankert ist.

Der zweite deutsche Staat, die DDR, tat sich mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf den ersten Blick leichter. Die Berufung auf den Widerstand, vor allem auf den Widerstand aus der Arbeiterbewegung und aus der Kommunistischen Partei Deutschlands, gehörte zu den wichtigsten Elementen in der Staatsideologie der SED.

Dem sozialistischen und sozialdemokratischen Widerstand wurde zugleich nie jene Würdigung zuteil, die ihm gebührt hätte. Die Geschichtsschreibung der DDR war bis zuletzt von der These geprägt, der Widerstand in Deutschland sei nur unter Führung der aus Moskau geleiteten KPD möglich gewesen. Auch dies war nur eine Konstruktion.

Enorm selbstbewusst hatte einer der führenden Köpfe der illegalen Berliner KPD, Franz Jacob, am 13. Juli 1944 vor der Gestapo Aufbau, Stand und Ziele der Organisation erläutert: „Eine Verbindung zum offiziellen Zentralkomitee unserer Partei (Wilhelm Pieck, Wilhelm Florin und Walter Ulbricht) bestand nicht. Ich vertrat gemeinsam mit ‚Lorenz‘ (Theodor Neubauer, d. V.), daß das, was in Deutschland zu geschehen habe, und welche politischen Möglichkeiten sich für unsere Partei in Deutschland ergäben, auch nur in Deutschland selbst entschieden werden könne. Die obengenannten Leute sind schon seit so vielen Jahren aus Deutschland heraus, daß von ihnen brauchbare Ratschläge für unsere Arbeit nicht zu erwarten seien.“ Derart eigenständige Positionen wurden in der DDR nicht veröffentlicht.

Stattdessen wurde aus der Beschäftigung mit dem Widerstand aus der Arbeiterbewegung in der DDR trotz vieler Detailstudien ein formelhaftes Heldenepos, das die Annäherung an jene Kommunistinnen und Kommunisten, die in Deutschland Widerstand geleistet hatten, fast unmöglich machte.

Erst nach 1989 verbesserten sich die Recherchemöglichkeiten durch den freien Archivzugang entscheidend. Die Erweiterung des Wissens über den Arbeiterwiderstand führte aber nicht zu einer größeren öffentlichen Wahrnehmung und Anerkennung. Im Gegenteil: In den östlichen Bundesländern wurden viele Schulen und Straßen, die nach Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern benannt waren, umbenannt. Die Menschen, die geehrt worden waren, verschwanden so aus dem öffentlichen Bewusstsein.

Und so wird auch die Geschichte des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 bis heute vielfach ohne eine angemessene Berücksichtigung der Beteiligten aus dem Arbeiterwiderstand erzählt. Dabei ist dies eine höchst spannende Geschichte: Am Abend des 22. Juni 1944 fand – mit Wissen Claus Schenk Graf von Stauffenbergs – ein Sondierungsgespräch zwischen führenden Sozialdemokraten und Kommunisten in Berlin statt. Ziel war es, die Standpunkte auszuloten. Anwesend waren unter anderem die Sozialdemokraten Julius Leber und Adolf Reichwein, die Kommunisten Anton Saefkow und Franz Jacob sowie Ernst Rambow, ein Spitzel der Geheimen Staatspolizei. Saefkow und Jacob konnten sich in Berlin auf Gruppen von mehreren hundert Menschen stützen, die sich an den Forderungen des Nationalkomitees Freies Deutschland orientierten, das 1943 in der Sowjetunion gegründet worden war.

Nicht von Moskau gesteuert

Seit Ende 1943 hatte der Kreisauer Kreis, ein Zentrum des bürgerlichen Widerstands, den Kontakt zu Kommunisten gesucht, was erst im Frühsommer 1944 erfolgreich war. Der bei dem Gespräch anwesende Rudolf Schmid berichtete 1947: „Die Kommunisten waren äußerst entgegenkommend. Freie Demokratie? Ja. Privateigentum? Ja, Konzerne und Großkapital ausgenommen. Einzelheiten wurden nicht berührt. Das war auch nicht beabsichtigt, es war ja nur eine erste Fühlungnahme. Sie verlief in angenehmen Formen, man merkte, niemand wollte etwas Störendes in den Gesprächen vorbringen. Es war auch klar, man wollte zusammenbleiben, man wollte sich verstehen, man hatte eine gemeinsame Aufgabe, von der verschiedene Auffassungen nicht ablenken durften.“

Grundsätzlich hatte man eine erste Verständigung erreicht. Leber setzte aber noch nicht so viel Vertrauen in seine neuen Gesprächspartner, dass er sie in die konkreten Vorbereitungen für den Umsturzversuch eingeweiht oder ihnen gar den Namen des möglichen Attentäters genannt hätte. Die Gespräche sollten fortgesetzt werden: Als neuer Termin wurde der 4. Juli festgelegt. Der Spitzel verriet alles der Gestapo. Am 4. und 5. Juli wurden Leber, Reichwein, Saefkow und Jacob festgenommen. Alle wurden noch im Herbst 1944 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und in Plötzensee oder Brandenburg ermordet.

Analysiert man die Situation Ende Juni 1944 in den beteiligten Gruppen, so sind wechselseitig Vorbehalte zu erkennen, die in weiteren Gesprächen überwindbar gewesen wären. Beide Seiten gaben sich ihr Verhandlungsmandat und hatten als Legitimation ihres Handelns ihre politischen Aktivitäten in der Weimarer Republik.

Leber und Reichwein wollten auch ihre Position als Vertreter der SPD in den Kreisen des 20. Juli stärken, wenn sie die Mitwirkungsmöglichkeiten weiterer Gruppen aus der Arbeiterschaft zumindest ausloteten. Saefkow und Jacob sahen sich als Vertreter nicht einer von Moskau gesteuerten, sondern der illegalen KP im Reich und des Nationalkomitees Freies Deutschland.

Damit können sie als Repräsentanten einer unabhängigen kommunistischen Organisation in Deutschland verstanden werden. Sie sahen in den Gesprächen mit den Sozialdemokraten die Umsetzung der Ideen des Nationalkomitees Freies Deutschland und damit ihren Beitrag zur Vorbereitung der Nachkriegspolitik. Doch niemand hatte die Illusion, in den Gesprächen werde über die Machtverteilung im Land entschieden. Das konnte erst „Tag X“ zeigen.

Auch an diesen politischen Realismus, an diese Bereitschaft zum Dialog sollten wir am 75. Jahrestag des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 erinnern. Nur ein offener Blick auf alle Formen und Aktivitäten des Widerstands aus der Arbeiterbewegung kann dazu beitragen, dass dieser in Zukunft angemessen und frei von jeder Verzerrung im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert werden könnte. Doch das scheint noch ein weiter Weg zu sein.

Johannes Tuchel leitet die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Er ist zudem außerplanmäßiger Professor am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin

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