"Manifest für den Frieden" zeigt auch die Schwächen der deutschen Diskussionskultur

Manifest für den Frieden Das von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer veröffentlichte Manifest zeigt, dass eine breite Friedensbewegung möglich ist. Gleichzeitig unterstreicht es eine mangelnde Diskussionskultur in Deutschland.

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Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer stehen überzeugt nebeneinander, als beide am Freitagvormittag ihr neues Projekt "Manifest für den Frieden" vorstellen. Getragen von Dutzenden Personen des öffentlichen Lebens; von Martin Sonneborn über Gerhard Trabert, Christoph Butterwegge, Johannes Varwick, Margot Käßmann bis hin zu Peter Gauweiler und Wolfgang Grupp; vereint es allein unter den Erstunterzeichnern 69 verschiedenste Menschen unter der Forderung nach mehr diplomatischen Initiativen der Westmächte, besonders der Bundesrepublik. Gebunden ist das an eine große Kundgebung, die am 25.02.2023 um 14 Uhr in Berlin am Brandenburger Tor stattfinden soll. Wagenknecht und Schwarzer bilden so eine demokratische Stimme für die Position, die laut Umfragen wohl mindestens 50 % der Deutschen haben und schaffen gleichzeitig ein starkes Bündnis. Die zum Teil haarsträubenden Reaktionen auf den Aufruf könnten dabei eigentlich mit Kopfschütteln abgetan werden, wenn das Thema nicht so ernst wäre.

Zeuge AfD

Schon lange diskutieren wir in Deutschland, warum rechte Parteien wie die AfD einen so großen Erfolg haben können und sie nach der letzten Yougov-Umfrage drittstärkste Kraft in Deutschland ist. Ausgeblendet wird dabei aber, wie nützlich die AfD für CDU, SPD, Grüne, FDP und mittlerweile auch einen Teil der Linken ist, um unliebsame, kritische Meinungen zu diskreditieren. Jede andere Position, sei es eine zu Migration, Corona oder jetzt zum Ukraine-Krieg, wird schnell in die nähe der Rechtspopulisten gerückt, egal wie stark man sich abgrenzt. Die Methode: "Das sagt die AfD auch!" hat dabei neben dem Faktum, dass eine sachliche Diskussion verhindert wird, auch den Effekt, dass die AfD schnell eine Meinungshoheit bzw. starken Einfluss auf den öffentlichen Diskurs hat. Es reicht manchmal schon, wenn ein AfD-Mitglied einen Tweet oder Beitrag auf den Sozialen Netzwerken mit "gefällt mir" markiert, um einen vermeintlichen Nachweis zu bringen, dass jene Meinung schon im Bereich des eigentlich Unsagbaren liegt. Am Aufruf von Wagenknecht und Schwarzer kann man dieses Phänomen erneut feststellen. Der Bundesvorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, wusste welche Knöpfe er bei deutschen Journalisten drücken musste, um auch dieses Anliegen als "rechtsoffen" oder "Querfront" abstempeln lassen zu können. Es reichte ein kurzer Tweet auf Twitter mit dem Link zur Petition und schon diente Chrupallas Tweet als schlichtweg der Beweis dafür, dass man das Thema nicht mehr zu diskutieren braucht. Die CDU Bundestagsabgeordnete und CDU-Vorstandsmitglied Serap Güler postete: "Dass der AfD-Chef die „Friedens“-Petition von Wagenknecht & Schwarzer unterzeichnet, sagt alles. Einfach alles.", Ulrich Schneider, Vorsitzender des PARITÄTISCHEN-Wohlfahrtverbandes und derjenige, der bis vor einem halben Jahr noch selbst einer Partei angehörte, die jegliche Art von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete ablehnte, diffamierte den Aufruf mit einem Verweis auf Chrupalla als "Querfront-Spektakel" und Martina Renner, in der Vergangenheit dadurch aufgefallen, dass sie als Bundestagsabgeordnete der Linken ihren Parteivorsitzenden Schirdewan dafür kritisierte, Sahra Wagenknecht als Antifaschistin bezeichnet zu haben, kritisierte einmal mehr, dass sich der Aufruf nicht klar von Rechtsaußen abgrenze. Das wirklich ärgerliche an diesem Phänomen ist dabei eigentlich, dass auch zu Hauf Menschen, die sich wohl selbst in eine ehr oppositionelleren Rolle zur aktuellen Politik sehen, bei dieser Masche mitmachen. Dass Mitglieder der regierenden Ampel-Koalition und der CDU jegliche Äußerungen der AfD nutzen, um andere oppositionelle Standpunkte zu diskreditieren, darf nicht überraschen; dass jedoch auch Akteure, bspw. aus Wagenknechts eigener Partei der LINKEN, die gleiche Methodik fahren schreckt ab. Wenn der thüringische Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss nichts besseres einfällt, als Reaktion auf den Aufruf ein Bild des rechtsextremen Compact-Magazins zu teilen, dass Wagenknecht einmal mehr instrumentalisiert; übrigens ähnlich wie Compact es auch mit Gregor Gysi und Sören Pellmann bei der Demonstration der Linken in Leipzig machte; zeigt es, dass die eigene politische Positionsfindung einiger Linkspartei-Akteure beim Kampf gegen Rechts aufhört. Der Tweet wurde im Anschluss gelöscht, da das Compact-Bild viele rechtsextreme auf König-Preuss Account lockte; ein amüsanter Vorgang. Ganz und gar absurd wird der Vorgang, wenn man sich nochmals die Unterschriftenliste vor Augen hält, auf der unter anderem auch Menschen wie Hajo Funke stehen, der als Politikwissenschaftler die AfD und das rechtsextreme Spektrum seit ihrer Entstehung im Auge hat und darüber publiziert.

Putinknecht und weitere Diffamierungen

Neben dem AfD-Argument, welches wie festgestellt keines ist, gibt die Diskussion auch andere ähnliche "Argumente" her. Vorwürfe an Wagenknecht, Schwarzer und die 69 Mitunterzeichner, wie der, sie würden Putinpropaganda betreiben und das Blut der ukrainischen Soldaten klebe, wie der stellvertretende ukrainische Außenminister und Bandera-Sympathisant Andrij Melnyk betonte, an ihren Händen, sind dabei nur die Spitze des Beleidigungseisbergs. Der permanente Vorwurf, Putins Position einzunehmen ist eigentlich schon damit zu widerlegen, dass der Aufruf mit "Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität." beginnt; gewiss keine Aussage, der der russische Präsident zustimmen würde. Der zum Parteiorgan der Grünen mutierte Volksverpetzer unterstellt Wagenknecht, sich für "Rechten Diktator, Imperialistischen Kriegstreiber, Superreichen Oligarchen [und] konservativen Macho und Sexisten" einzusetzen. Wie man das aus dem Aufruf herauslesen kann, lässt auch der vermeintlich kritische und analysierende Artikel im Volksverpetzer offen. Aus dem in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder aufkommenden Argument: Wenn wir keine Waffen liefern, würde Putin sofort die Ukraine überrennen" und "es sei einzig Putin, den man überzeugen müsse" leitet die Volksverpetzer Journalistin final ab, dass der Aufruf "Fast so [sei], als würde man Propaganda im Sinne Putins verbreiten". Jegliche Sachverhalte über schon im letzten Jahr verlaufene Friedensverhandlungen, wie sie bspw. der ehemalige israelische Außenminister Bennett zur Kenntnis gab, werden gekonnt ignoriert. Final muss man feststellen, dass einige in der deutschen Medienöffentlichkeit so berichten, als ob Deutschland schon längst im Krieg ist. Eine herbeifantasierte Verbindung zu Russland oder Putin wird schnell zum KO-Argument für jegliche Diskussion. Über die Frage, was Deutschland in diesem Fall vielleicht anders machen kann, um eine Beendigung des Krieges näher zu kommen, bleibt dann keine Zeit nachzudenken. Treu dem Motto: Wir sind im Krieg und ganz ganz sicher sind wir die Guten!

Trotzdem: Kopf hoch!

Auch wenn viele Diskussionen über dieses Thema vergiftet sind, müssen diejenigen, die das Anliegen Wagenknecht, Schwarzers und der anderen 69 teilen, weitermachen! Die Nachricht, dass die Petition nach nicht mal 48 Stunden schon über 200.000 Unterschriften hat, betont, dass es eine breite Unterstützung für die Initiative aus der Bevölkerung gibt. Man muss sich über mögliche diplomatische Wege austauschen, die Deutschland jetzt im Ukraine-Krieg geht; das auch im Detail gerne, wie es bspw. Christian Baron in "der Freitag" tat kritisch, aber sachlich. Der Krieg kann nur am Verhandlungstisch beendet werden und das muss so schnell wie möglich erreicht werden!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

John Lucas Dittrich

Schüler, 18 Jahre, Mitglied im Bundesausschuss der Partei DIE LINKE

John Lucas Dittrich