Warten auf den vierten Stern

Trikots Es wäre schön gewesen, wenn Adidas den deutschen Kunden die Trikots hätte anbieten können, als sich die Medien überschlugen und das Glücksgefühl grenzenlos war
Ausgabe 30/2014
Warten auf den vierten Stern

Bild: Christof Stache / AFP / Getty

Um das Folgende zu verstehen, muss man vielleicht diese Geschichte kennen. Kurz nach der Wiedervereinigung fuhr ein Mann aus dem Westen mit seinem Auto zwischen Wolfen und Bitterfeld am Montag auf der Landstraße und ärgerte sich, dass er – es ging schon Richtung Mittag – den Spiegel noch nicht hatte lesen können. Endlich sah er in der Ferne einen Kiosk am Wegesrand und bemerkte beim Näherkommen die Werbung für das Nachrichtenmagazin. Er hielt an und verlangte das Heft. Der Kioskbesitzer reichte es ihm, aber unser Autofahrer wies es überrascht zurück: „Das ist ja das alte! Haben Sie nicht das neue?“ – „Schon“, sagte der Kioskbesitzer, „aber erst muss das weg.“

Ebenfalls nur das Alte bekamen viele deutsche Kunden in den vergangenen zehn Tagen in einschlägigen Geschäften, wenn sie das Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft verlangten, das mit den vier Sternen, wie es nach dem Gewinn des Weltpokals in Rio von den Deutschen nun getragen werden darf. Niemand anders als die Firma Adidas aus dem fränkischen Herzogenaurach darf es herstellen. Nur Adidas darf es unter die Leute bringen. Dafür haben die Firmenherren einen Vertrag mit dem Deutschen Fußballbund (DFB). Weil kein anderer das Siegertrikot mit den vier Sternen anbieten darf, müssen die Fans warten. Aber sie warten nicht, sie kaufen trotzdem das alte mit den drei Sternen. Mag sein, dass sie darin jetzt schon eine Antiquität sehen, die dereinst, wenn die vier Sterne Alltag geworden sind, eine branchenübliche Wertsteigerung erfährt.

Für die Verkäufer in den Adidas-Geschäften, die derzeit das Trikot mit den drei Sternen tragen – den dritten Stern gab es vor 24 Jahren – , kann das kaum der Grund sein. Sie müssen tun, was ihnen gesagt wird. Und sie sagen es weiter. Die Weltfirma Adidas lässt die Trikots in China fertigen, auch der vierte Stern findet in China seinen Platz über dem DFB-Logo. Nicht, dass die Menschen in China bummelten bei der Arbeit, aber der Weg von China nach Europa ist weit. Das wusste schon Marco Polo. So kommt es, dass die schön und aufwendig produzierten Bücher zur WM 2014 eher in den Geschäften liegen als die Textilien. Wir Deutschen sind eben doch immer noch das Volk der Dichter und Denker („Gänsehaut“, „Philosophie“) und nicht ein Volk der Krämer und Lenker.

Trotzdem ist das bedenklich. Eine Weltfirma (die sich damit rühmt, dass beim Finale im Maracanã-Stadion beide Mannschaften von Adidas ausgerüstet waren, und der auch Kleines nicht unwichtig ist, weshalb sie jetzt beim Benefizspiel FC Bayern gegen den MSV Duisburg darauf bestand, beide Mannschaften hätten in Adidas-Schuhen zu spielen) unternimmt nichts, um für die ersten Tage nach dem Triumph Viersternetrikots anzubieten, wirkt doch ein wenig jämmerlich. Es mag ja wirtschaftlich vernünftig sein, die Shirts für die nächsten 24 Jahre in China herstellen zu lassen. 24 Jahre sind eine lange Zeit, und da kommt es nicht darauf an, wie weit der Weg von China hierher ist. Aber fürs Erste wäre es doch schön gewesen, wenn die deutsche Firma den deutschen Kunden die Trikots hätte anbieten können, als sich die Medien überschlugen und das allgemeine Glücksgefühl grenzenlos war.

Warum hat Adidas das nicht gemacht? Warum haben sie nicht im tüchtigen Franken oder wenigstens in München produziert? Aus Kostengründen? Kapazitätenmangel? Aus Bequemlichkeit? Vielleicht sind die Beziehungen zwischen Adidas und dem FC Bayern München noch enger, als man bislang schon wusste, und es fehlt auch hier Ex-Präsident Uli Hoeneß. Mit dem wäre das nicht passiert. Vielleicht aber denkt man in Herzogenaurach so praktisch wie einst zwischen Wolfen und Bitterfeld: Erst müssen die Dreisternetrikots weg.

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