Schon am Tage nach seiner spektakulären Amtseinführung verkündete der neue US-Präsident weltöffentlichkeitswirksam, er lasse das berüchtigte Folterlager schließen, das die soeben aus dem Amt geschiedene Bush-Regierung im kubanischen Guantánamo Bay errichtet hatte. Dort waren willkürlich aufgegriffene und entführte Terrorverdächtige aus aller Welt konzentriert worden, um sie – aller fundamentalen Menschenrechte entkleidet – in Hundekäfig großen Zellen zu halten, zu erniedrigen und zu quälen. Was freilich den schönen Glanz des hochsymbolischen Aktes trübt, mit dem die neue Regierung ihre Bereitschaft zu signalisieren scheint, ihr Land in die Gemeinschaft zivilisierter Nationen zurückzuführen, ist nicht allein der Vorbehalt, dass dieses Unterfangen allen Ernstes ein ganzes Jahr in Anspruch nehmen soll. Schon ertönen im Umfeld Obamas Stimmen, die eine Freilassung von Guantánamo-Häftlingen als zu riskant für die Sicherheit der USA halten und daher für eine fortgesetzte Inhaftierung plädieren.
Geisterfahrer Bush
Jenseits allen symbolischen Aktionismus‘ könnte Präsident Obama hingegen einen ernsthaften Nachweis für die künftige Selbstbindung der USA an geltendes Völkerrecht erbringen, wenn er seine Unterschrift unter das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) leisten und so eine unsägliche Schurkerei seines Amtsvorgängers revidieren würde. Jenen Vertrag paraphierte zwar bereits US-Präsident Bill Clinton kurz vor Ende seiner Amtszeitt, doch hatte George Bush als „Geisterfahrer des Völkerrechts“ am 6. Mai 2002 in einem für die USA bis dahin präzedenzlosen Akt der Missachtung völkerrechtlicher Gepflogenheiten die Unterschrift seines Vorgängers annulliert.
Ungeachtet des massiven Widerstands aus den USA schritt die Globalisierung des Strafrechts weiter voran. Am 11. April 2002 war es endlich soweit: 64 Staaten hatten zu diesem Zeitpunkt das Römische Statut zur Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert, so dass der Vertrag am 1. Juli 2002 in Kraft treten konnte. Im Frühjahr 2003 nahm dann das Gericht in Den Haag seine Arbeit auf.
Der International Criminal Court, kurz ICC, war krönender Abschluss einer Entwicklung, die mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ihren Lauf nahm. Damals war mit den Kriegsverbrechertribunalen von Nürnberg und Tokio ein erster, wenn auch unzulänglicher Versuch unternommen worden, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bestrafen. Kurz danach, 1948, wollten die gerade gegründeten Vereinten Nationen einen Ständigen Internationalen Strafgerichtshof einrichten, doch blockierte der Kalte Krieg dieses Projekt. Erst zu Beginn der neunziger Jahre gewann der Kampf gegen die Straflosigkeit schwerster Verbrechen, mit denen gegen Völker- und Menschenrecht verstoßen wurde, neue Dynamik. Nach den „ethnischen Säuberungen“, Massenvergewaltigungen, Völkermorden auf dem Balkan und in Ruanda sahen sich die Vereinten Nationen in der Pflicht, Ad-hoc-Strafgerichte zu organisieren. So arbeitet das Tribunal für das ehemalige Jugoslawiens seit 1993 in Den Haag, das für Ruanda seit 1994 im tansanischen Arusha. Beide Gerichte haben seitdem eine Reihe bahnbrechender Urteile zum Völkermord, zur Vergewaltigung als Kriegsverbrechen oder zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit militärischer Vorgesetzter gefällt.
Um dies fortzusetzen, zugleich aber die mit Ad-hoc-Tribunalen verbundenen Defizite zu vermeiden, hatten rund 160 UN-Mitgliedsstaaten die Initiative ergriffen, einen permanenten Internationalen Strafgerichtshof zu schaffen. Am 17. Juli 1998 nahm eine Zwei-Drittel-Mehrheit von Delegierten einer diplomatischen Bevollmächtigten-Konferenz der UNO in Rom das ICC-Statut an – ungeachtet aller Versuche der USA, dieses Unterfangen zu sabotieren. Am Ende hatten neben den Vereinigten Staaten nur noch die Volksrepublik China, der Irak, Israel, Jemen, Libyen und Qatar dagegen gestimmt.
Nachdem die USA den Vertrag von Rom nicht hatten abwenden können, taten sie in der Folgezeit viel, dessen Ratifizierung zu vereiteln. Denn erst nachdem mindestens 60 Staaten das ICC-Statut ratifiziert hatten, konnte es in Kraft treten.
Unter Federführung des erzkonservativen republikanischen Senators Jesse Helms initiierte der US-Kongress mit voller Rückendeckung des Weißen Hauses ein so genanntes „Gesetz zum Schutz der Mitglieder der amerikanischen Streitkräfte“, um damit den ICC zu paralysieren. Dieses Gesetz aus dem Jahr 2002, von Kritikern sarkastisch als „Hague Invasion Act“ apostrophiert, untersagt es allen US-Behörden, mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten und ermächtigt darüber hinaus den US-Präsidenten, jeden Bürger seines Landes, der vor dem Strafgerichtshof steht, mit militärischer Gewalt befreien zu lassen. Darüber hinaus zog das State Department in der Folge alle Register, um kleinere und schwächere Länder davon abzuhalten, das Statut von Rom zu ratifizieren. Welch ein Widerspruch: Bis auf den heutigen Tag unterminiert dieselbe „Supermacht des Guten“, die sich selbstherrlich zum Protagonisten gegen den internationalen Terrorismus und für Menschen- und Völkerrecht aufgeschwungen hat, im gleichen Atemzug aktiv die Universalisierung des Rechts und sabotiert vorsätzlich das Weltstrafgericht!
So sind denn auch Bestrebungen bislang gescheitert, den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger wegen seiner Verwicklungen in den Vietnam-Krieg vor ein Strafgericht in Belgien zu zitieren. Gleiches gilt für erfolglose Strafanzeigen gegen den vormaligen US-Kriegsminister Donald Rumsfeld. Nur soviel ist sicher: dass auch amerikanische Regierungsangehörige selbst ins Fadenkreuz der internationalen Strafjustiz geraten, ist nicht vollends auszuschließen.
Dies gilt nach dem Abgang der Bush-Administration erst recht für deren Mitglieder.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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