Was dieser Mann so veranstaltet, lässt sich wohl am besten als Kunst-Musik-Bildungs-Revuen beschreiben. Lecture Shows nennt er es selbst. Man könnte wahrscheinlich auch sagen: Armin Chodzinski tanzt die Theorie. Allegorie der Unsterblichkeit – Was Sie schon immer über Wachstum wissen wollten ist der Titel seiner neuen Performance, die am 27. März in der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel Premiere hat. Mit seinen Mitstreitern von der Max Clement Foundation wird Chodzinski hochkomplexe Begriffe musikalisch performen. Extra ein bisschen verkrampft. Um Konstruktion und Dekonstruktion bemüht. Und: selbstverständlich mit Krawatte.
Chodzinski wurde 1970 in Hamburg geboren, hat als Meisterschüler freie Kunst bei Thomas Huber studiert – und ist von jeher fasziniert von der Ökonomie. Eines seiner ersten Projekte trug den Titel Armin Chodzinski muss ins Management, und seine Dissertation widmete er dem Thema: Kunst und Wirtschaft. Peter Behrens, Emil Rathenau und der dm-Drogeriemarkt. Über einige Jahre hat er sogar – ernsthaft – in der Führungsriege eines Lebensmittelkonzerns mitgearbeitet. Sein Atelier befindet sich in einer ehemaligen Dosenfabrik in Hamburg-Altona. Großformatige Gemälde gibt es dort nicht zu sehen, nur ein paar Zeichnungen. Und sehr viele Bücher. Und dann steht da noch eine runde Tanzplattform mit einem bunten Zielscheibenmuster, einem „Target“, dem Symbolzeichen der Mod-Szene, mitten im Raum.
Der Freitag: Herr Chodziniski, was ist der Unterschied zwischen Kunst und Ökonomie?
Achim Chodzinski: Das ist seit den 90er Jahren nicht mehr eindeutig zu definieren. Während der Renaissance waren Kunst-Unternehmer wie Rembrandt etwas völlig Normales. In der Moderne ist das gekippt. Die Entdeckung des Genius und des Einzelkämpfertums führte zu abgeschnittenen Ohren und zu einer männlichen Machtbehauptung. Davon lebt das große Versprechen der Kunst: mehr zu sein als ein Handwerk.
Gegen diesen Mehrwert haben Sie als Künstler sicher nichts einzuwenden?
Nein. Aber ich fühle mich nicht verpflichtet, zweckfreie Luxusartikel herzustellen. Ich komme aus einer Tradition der Moderne, wo Wahrheits- und Erkenntnissuche eine Rolle spielt. Im 19. Jahrhundert gab es für das Unbehagen an der Welt den wunderbaren Begriff des Malkontentismus. Diese Tradition möchte ich fortführen.
Sie haben eine Zeit lang als Manager für den Handelskonzern Spar gearbeitet. War das eine Art Selbstversuch?
Das ergab sich logisch aus meiner Arbeitsweise in der Kunst, die nach gesellschaftlicher Relevanz fragt, und nach dem Unwohlsein mit den herrschenden Bedingungen. Es gibt diese Genius-Typen, Meese oder Polke, die sich auf dem Motto ausruhen: Ich muss nur einmal meinen Kopf in eine Kloschüssel halten, dann gewähre ich mir eine Handlungsfreiheit. Diese Handlungsfreiheit habe ich nie gespürt, für mich gibt es die nicht. Ich bin mit großer Ernsthaftigkeit in das Unternehmen gegangen. Ich wollte wissen, wie das funktioniert.
Immerhin haben Sie es bis zum Assistenten der Geschäftsleitung gebracht. Wie kommt man so weit, wenn man dort eigentlich gar keine Karriere machen will?
Ich habe alles als Bild ernst genommen, habe es mit einer malerischen Haltung betrachtet. So wie man im Museum vor einem Vermeer steht. Man kann diese Haltung auch auf eine Powerpoint-Präsentation anwenden. Ich habe mir die Dinge auch auf ihre Performativität hin angeschaut, die Firma als sozialer Organismus.
Und? Was fanden Sie da heraus?
Im Lebensmittelhandel traf man Ende der 90er noch Leute, die schon mit 13 angefangen hatten, Regale aufzufüllen. Dann machten sie ihre Ausbildung, und mit Ende Fünfzig waren sie Geschäftsführer mit 10.000 Mitarbeitern. Diese Leute trugen noch ein altes Ökonomiemodell in sich. Im Management begegneten sie dann den Vertretern einer jüngeren Generation. Die glaubten, weil sie mal ein Buch gelesen hatten, hätten sie mehr Ahnung als die Alten. Sie wussten andere Dinge – besaßen aber nicht dieses Generische.
Manche Theatermacher, etwa Rimini Protokoll, stellen „echte Menschen“ auf die Bühne, als Zeugen des Alltags. Warum bevorzugen Sie Lecture Shows?
Rimini Protokoll begeben sich in die komfortable Tradition der kuratorischen Praxis. Sie lassen andere reden, sind Intendanten der Diskurse – und das machen sie auf brillante Weise. Meine Methode ist der Selbstversuch: Wie viel Machtbehauptung, oder auf Deutsch, wie viel Arschlochhaftigkeit halte ich aus? Ich mache mich selbst zum Exempel und versuche die Widersprüche zwischen Denken und Handeln aufzuspüren und sichtbar zu machen. Dabei entsteht meist auch das Amüsante. Trotzdem ist alles, was ich tue, komplett ironiefrei!
Um was geht es Ihnen genau, wenn Sie Begriffe wie Kontrolle, Identität oder Deutschland durch Tanz erklären?
Die Grundidee kommt von dem Satz: Die Sedimente des Handelns sichtbar machen. Ich möchte he-rausfinden, was meine eigene Brüchigkeit mit der Gesellschaft zu tun hat. Mit dem Tanzen ist es ähnlich wie beim Fußball. Die Herstellung von Repräsentationsideologien greift nur in einem ganz geringen Maß, höchstens die ersten paar Minuten. Danach geht es einfach ums Fußballspielen – oder ums Tanzen. Weil dann die Körper aktiv werden, erzählen und kommunizieren. So banal die Erkenntnis ist, so groß finde ich sie. In meinen Shows mache ich jedenfalls immer etwas mit Tanz, das hängt natürlich auch mit meiner Mod-Geschichte zusammen.
Was bedeutet das „Mod“-Sein?
Für mich war das in der Sozialisation sehr wichtig. Pete Meaden, der erste Manager von The Who, sah die Bewegung in den 60er Jahren auf abstruse Weise gesamtpolitisch. Er träumte von einer Mod-Revolution. Die Welt sollte durch Stil geregelt werden. Das Anti-Modische fand ich immer sehr interessant. Ich habe hier ein zehn Jahre altes Zitat von der ambivalenten Figur Noel Gallagher (liest): „Mehr als alles andere hat mich meine Herkunft aus der Arbeiterklasse geprägt. Als ich aufwuchs, wussten meine Eltern nie, ob das Geld am Ende des Monats reichen würde. Umso wichtiger war es, sich am Samstagabend zum Ausgehen gut anzuziehen. Mit Hilfe von Kleidung den Zuschreibungen von Außen zu trotzen und sich für seine eigene Clique selbst Regeln zu geben. Das war Mod. Ein gewisses Stilbewusstsein habe ich mir bis heute gerettet.“ Das kann ich so unterschreiben.
Geht es bei Kleidung und Mode nicht immer um Identität?
Ja, aber die Brechung ist hier schon eingebaut: Man affirmiert das Bürgertum, aber in der Detailverliebtheit wischt man denen eins aus. Ich habe angefangen mich für Kunst zu begeistern, weil ich aus einer Mod-Haltung heraus überzeugt war: Form bedeutet etwas!
Mit der „Allegorie der Unsterblichkeit“ wollen Sie nun das Thema Wachstum erklären.
Ja. Es wird viel Musik geben, dazu werde ich in Slots die Strategien der Wachstumskritiker erklären. Von Dennis Meadows über Malthus, Brecht, Eisler, bis hin zu Fukushima und Knut dem Eisbären. Alle reden über Schulden und Wachstum, aber: Woher kommt das, was bedeutet das? Was ist eigentlich Geld? Wachstum ist vom Heilsversprechen zu einem fast unauflöslichen Paradoxon geworden und paralysiert eine ganze Gesellschaft. Es wird viele Blicke auf diese Paralyse geben, und auf unterschiedliche Strategien, damit umzugehen. Es geht ja längst nicht mehr um das berühmte „Was tun?“. Das wissen ja inzwischen alle. Es geht um die große Frage: Warum tun wir es nicht?
Das Gespräch führte Jürgen Ziemer Armin Chodzinski ist nicht nur Künstler, sondern auch bekennender Mod. Das Wort steht für Modernist und bezeichnet eine subkulturelle Haltung, die in den 60ern in Großbritannien entstand. Mit ausgeprägtem Stilbewusstein wollten Jugendliche aus der Arbeiterklasse und unteren Mittelschicht ihre ärmliche Herkunft überwinden. Motorroller und Maßanzüge waren (und sind) die Erkennungszeichen der Bewegung
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