Musik Ostinato Records veröffentlichen historische und neue Aufnahmen aus Afrika für ein Publikum in Europa und den USA – auch aus politischen Gründen. Das jüngste großartige Album „Beja Power!“ stammt aus dem Sudan
Bandleader Noori mit seiner selbstgebauten „Tambo-Gitarre“
Foto: Median Yasser/AFP/Getty Images
Vic Sohonie wurde in Indien geboren, heute pendelt er zwischen Thailand und New York. Janto Djassi ist Deutsch-Senegalese mit Wohnsitz in Hamburg. Dass diese beiden Männer zusammen die Plattenfirma Ostinato Records betreiben, deren Schwerpunkt auf Musik aus Afrika liegt, zeigt wieder einmal, dass die Globalisierung längst keine festen Orte mehr kennt, wo Kultur wächst und gedeiht, wie Reben in einem Weinberg. Beide nehmen bewusst die Perspektive des globalen Südens ein, sehen sich als schwarz und braun geführtes Unternehmen, ihre Veröffentlichungen sind ebenso sehr Statements, wie exquisit zusammengestellte Schlaglichter auf verschwundene oder im Verschwinden begriffene Musikkulturen. Afrika hat in dieser Hinsicht besonders viel zu bieten.
Es ist dazu ein Konti
ein Kontinent, dessen Bewohner damit leben müssen, dass man über sie spricht – und nicht mit ihnen. Bilder von hungernden Kindern und islamistischen Terror-Milizen stehen in den Nachrichten meist für sich: „Selten erfahren wir die Hintergründe. Eine historische Einordnung gibt es nicht, die tagesaktuelle Lage ist alles, was wir mitbekommen“, schreibt der auch als Journalist arbeitende Sohonie in einem seiner Texte. Das Motto des Labels lautet deshalb „What the truth sounds like“.Anfangs ging es ihnen noch um die Wiederentdeckung alter Schätze. Hypnotische Grooves aus Kap Verde, kreolischer Jazz und elektrische Folklore aus Haiti. Mit viel Neugier und einigem Aufwand wurde zugehört, kuratiert und lizensiert – fast immer unmittelbar vor Ort. So wie in Somalia, wo während des Bürgerkriegs Mitarbeiter des Senders Radio Hargeisa kistenweise Audio-Kassetten vergraben hatten, um sie vor den Bombardierungen zu schützen. Die 1970er waren die goldenen Jahre der somalischen Popmusik. In Mogadishu und Hargeisa verwoben lokale Bands, wie Waberi oder Dur Dur, arabische und indische Einflüsse mit Soul, Funk und dem an Reggae erinnernden Dhaanto. Es war auch die Zeit, in der die somalische Gesellschaft Künstlerinnen zu akzeptieren begann, der Wohlklang ihrer Stimmen wurde mit der Süße von Datteln verglichen. Sweet As Broken Dates. Lost Somali Tapes from the Horn of Africa heißt deshalb eine Compilation mit vielseitigen Songs, die Sohonie und Djassi 2017 vor Ort auswählten. Das von Kritikern gefeierte Album war mehr als nur eine der üblichen Afrobeat-Zusammenstellungen, es ermöglichte einen neuen Blick auf das vom Krieg gebeutelte Somalia. Die Grammy-Nominierung als „Best Historical Album“ war deshalb mehr als verdient.Mehr als 2.000 Jahre TraditionNun erscheint auf Ostinato ein weiteres außergewöhnliches Album. Diesmal handelt es sich nicht um alte Aufnahmen aus goldenen Zeiten, sondern um neues Material: Beja Power! Electric Soul & Brass from Sudan’s Red Sea Coast, von Noori and his Dorpa Band, ist die erste offizielle Veröffentlichungen mit Musik der Beja. Ein im Osten des Sudan, aber auch in Ägypten und Eritrea beheimatetes Nomaden-Volk, dessen Kultur mehr als zweitausend Jahre zurückreicht, bis zum Königreich von Kusch. Beim Suchbegriff „Beja, Sudan“ zeigt einem YouTube heute noch Bilder, wie aus David Leans Lawrence von Arabien: Lachende, aber mit Schwertern bewaffnete Krieger, die schon die Engländer das Fürchten lehrten: „Sie werden keinen Beja ohne ein Messer auf der Schulter oder ein Schwert treffen“, sagt der Bandleader Noori, der mit vollem Namen Noureddine Atta Al-Mawla Jabar heißt. „Im alten Ägypten bildeten die Beja eine Klasse von Bogenschützen. Wir sind Kämpfer.“Eingebetteter MedieninhaltAuch nach dem Ende des 2019 gestürzten Diktators Omar al-Bashir bekommt die herrschende Militärregierung diese Tatsache regelmäßig zu spüren. Meist geht es um die vielen Bodenschätze und Ressourcen des Landes. In vielen ländlichen Gegenden des Sudan sieht es aus wie auf dem Mond, überall wird nach Gold gegraben. Nach offiziellen Angaben exportiert der Sudan zwischen 80 und 100 Tonnen im Jahr. „Es gibt hier viele Bodenschätze“, bestätigt Noori, „doch von den Erträgen sehen wir nichts. Wir haben deshalb mehrfach die Nationalstraße blockiert, die Port Sudan mit den anderen Städten des Landes verbindet, und dadurch den Betrieb des größten sudanesischen Hafens lahm gelegt. Ich hoffe, dass wir auch die Musik als Teil unseres Kampfs nutzen können. Die Welt weiß zwar, was al-Bashir in Dafur und im Süd-Sudan getan hat, aber sie weiß nicht, was im Ost-Sudan mit den Beja passiert.“Nun könnte man annehmen, dass das Album Beja Power! wütend und aufpeitschend klingt. So wie die Musik von Fela Kuti, dessen Zombie die nigerianische Regierung 1977 so sehr provozierte, dass sie Kutis Anwesen „Kalakuta Republic“ von eintausend Soldaten stürmen und niederbrennen ließ. Doch Noori und seine Dorpa Band arbeiten anders. Wie Archäologen legen sie mit ihrer lyrischen, von alten Melodien durchzogenen Instrumentalmusik Schicht um Schicht einer großen kulturellen Tradition frei. „Diese Aufnahmen waren für uns sehr wichtig“, sagt Noori. „Beja Musik ist auch deshalb weitgehend unbekannt, weil unsere Kultur von den verschiedenen sudanesischen Regierungen marginalisiert und vernachlässigt wurde. Al-Bashir wollte sie komplett auslöschen, er hielt uns für ein rückständiges Volk, mit Köpfen voller Läuse. Beja-Musiker hatten bisher keine Gelegenheit, ihre Musik zu verbreiten“.Die Melodien von Songs wie Saagama oder Qwal erinnern an den äthiopischen Jazz von Mulatu Astatke, Surf klingt an, ebenso thailändische und peruanischer Musik, aber auch der bereits erwähnte Dhaanto. Als wären sie Fischer, die mit ihren Netzen kulturelles Treibgut an Land ziehen, arbeiten Noori und seine Dorpa Band mit allem, was sie hören und vorfinden. Eine Methode, die im HipHop längst selbstverständlich ist, unter den Bedingungen eines von Krieg und Krisen geschüttelten Landes aber zu anderen Ergebnissen führt.Das großartige Jabana wurde während einer Improvisation live im Studio eingespielt und thematisiert eine traditionelle Kaffee-Zeremonie. Ein meditativer Dialog zwischen Saxophon und der elektrischen „Tambo-Gitarre“, die sich Noori selbst gebaut hat. Es ist ein Hybrid aus dem traditionellen Tambour, einer viersaitigen Laute, und einem E-Gitarrenhals, den Noori auf dem Schrottplatz von Port Sudan gefundenen hat.Auf TikTok entdecktVik Sohonie hatte Noori letztes Jahr auf TikTok entdeckt und war sofort begeistert: „Man hört und spürt, dass dies Sudans Erfahrung mit Klang ist, die über Tausende von Jahren hinweg zu dem wurde, was es ist – hypnotisierend, anmutig und einfach einzigartig“. Omer Alghali, ein Event-Veranstalter aus Khartum, stellte einen Kontakt her. Die fünf Musiker der Dorpa Band kommen aus unterschiedlichen Ecken des Landes, in Hotelbars, auf Hochzeiten oder in Clubs haben alle bereits mit Noori zusammengespielt. Die Aufnahmen, in einem Proberaum der Musiker-Gewerkschaft von Omdurman, dauerten deshalb nur wenige Tage. Auf den Straßen von Khartum herrschte derweil der Ausnahmezustand. Nur wenige Wochen vorher, am 25. Oktober 2021, hatte das Militär erneut geputscht, die Preise für Strom und Wasser waren um über 400 Prozent gestiegen, Stromausfälle gehörten zum Alltag. „Es gab permanent Demonstrationen, Straßen waren gesperrt – wir hatten sogar einen Bodyguard, der aufpasste, dass uns nichts passiert“, erinnert sich Co-Produzent Janto Djassi. „Das Tränengas drang nachts bis in unsere Zimmer, auch Schüsse waren zu hören.“Djassi geht es bei solchen Projekten auch um eine Zusammenarbeit mit dem globalen Süden. Für das nationale Archiv von Dschibuti organisierte er 2020 eine Technics Bandmaschine, damit man dort alte Tonbänder und Musikkassetten digitalisieren und für die Nachwelt erhalten kann. Das Equipment war Teil eines Deals mit dem nationalen Radiosender Radiodiffusion-Télévision Djibouti und dessen Hausband Groupe RTD, mit denen Sohonie und Djassi in Djibouti das Album The Dancing Devils of Djibouti produzierten. Ein für beide Seiten vorteilhaftes Geschäft auf Augenhöhe. Doch wie alle Alben mit afrikanischer Musik, egal ob alt oder neu, sind auch die Veröffentlichungen von Ostinato Records letztlich für den europäischen und amerikanischen Markt bestimmt – in Afrika selbst spielen Tonträger längst keine Rolle mehr. Schon weil es dort keine Plattenläden gibt: „Früher waren im Sudan Tapes sehr beliebt“, erinnert sich Noori, „doch heute hören wir Musik hauptsächlich digital und übers Telefon.“
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.