Das erste Kind stellt das Leben der Eltern auf den Kopf. Aber, seien wir mal ehrlich: Die Alltagsrealität junger Eltern ist ihrem Wesen nach völlig undramatisch: Tragen, Füttern, Wickeln, Wiegen, Füttern, Tragen und immer so weiter. Kein Wunder, dass Filme über die Ankunft eines Babys meist Situationen behandeln, deren dramatisches Potenzial darin besteht, dass sie der Norm der nuklearen Kleinfamilie die Ausnahme gegenüberstellen: Eingefleischte Junggesellen werden mit ihrem versehentlich gezeugten Nachwuchs konfrontiert. Eine Frau ist nach einem Dreier von ihrem schwulen Kumpel schwanger, oder gleichzeitig mit ihrer Mutter ... „Heterosexuelle Frau bekommt ein Baby von ihrem Partner“, klingt dagegen nach einem miserablen Pitch. Das ist aber in etwa der Plot der australischen Serie The Letdown (deutscher Titel: Milcheinschuss).Audrey, eine urbane Mittdreißigerin, erlebt den Übergang zum Muttersein. Gerade war sie noch berufstätig, unabhängig, sozial vernetzt, jetzt ist sie an ihr Baby gebunden, sitzt zu Hause, einsam, übermüdet und überfordert – völlig normal eben.
The Letdown ist nur eine von mehreren Serien der letzten Jahre, die sich mit dem banalen Alltag des Kinderkriegens befassen. Die kanadische Serie Workin’ Moms, von der Ende August die dritte Staffel auf Netflix online ging, will von der Rückkehr junger Mütter ins Berufsleben erzählen. Und von der Showtime-Produktion SMILF (bei Sky Atlantic), in der sich eine alleinerziehende arbeitslose Schauspielerin durchs Leben schlägt, gibt es seit Januar die zweite Staffel. In allen drei Serien sind Creator und Hauptdarstellerin ein und dieselbe Person. Sowohl Alison Bell (The Letdown) als auch Catherine Reitman (Workin’ Moms) und Frankie Shaw (SMILF) haben sich beim Schreiben von ihren eigenen Erfahrungen des Mutterwerdens inspirieren lassen. Hier ist ein neues Genre der filmischen Autofiktion von Müttern entstanden.
Das Ich wird großgeschrieben
Das Erzählen aus dem eigenen Leben in einer fiktionalen Form, die die Subjektivität betont, ist in der Literatur stark im Trend. Sheila Heti, Rachel Cusk und Chris Kraus sind Beispiele für Autorinnen dieses Genres. Auch im Serienbereich gibt es Vorläufer wie Lena Dunhams Girls oder die Verfilmung von Chris Kraus’ I love Dick – wenn auch die produktionstechnischen Erfordernisse zwangsläufig dazu führen, dass die Serien nicht den anti-ästhetischen Gestus der Romane teilen.
Als ich die erste Staffel von The Letdown sah, ähnelte der darin dargestellte Wahnsinn des Alltags mit einem Neugeborenen meinem eigenen stark: Meine jüngere Tochter war gerade wenige Wochen alt. Begegnet man in dieser Phase völlig fremden Menschen mit Baby, geschieht es häufig, dass man sich zunickt, lächelt, sich vielleicht eine Türe aufhält. Ein Augenblick stillschweigender Solidarität durchbricht die Einsamkeit. Genauso ging es mir mit Audrey in The Letdown: Ich musste sie nicht mögen, um mich für sie zu interessieren. Ihre Selbstbezogenheit und schlechte Laune verzieh ich ihr ohne Weiteres. Ich verstand und fühlte mich verstanden. Ein Effekt, den die Serie auf mich als kinderlose Dreißigjährige sicherlich nicht gehabt hätte. Und mir drängte sich die Frage auf, ob das Spezifische des Kinderkriegens sich überhaupt in eine allgemein verständliche Sprache übersetzen lässt. Die erdrückende Nähe bei gleichzeitiger Einsamkeit. Der Stress, den die unbedingte Abhängigkeit erzeugt, bei gleichzeitiger Langeweile. Die Sehnsucht, wieder man selbst zu sein, und die Unfähigkeit, loszulassen. Wie lässt sich das erzählen? Und woran liegt es, dass alle drei genannten Serien zu Mitteln der Comedy greifen? An der – sicherlich nicht unbegründeten – Angst, ins Sentimentale abzurutschen? Klar ist: Der Fundus an Klischees, an denen man sich komödiantisch abarbeiten kann, ist groß.
In The Letdown ist der Humor am subtilsten und wagt sich häufig bis zur Schamgrenze vor. Audreys Selbstgewissheit ist nach der Geburt ihrer Tochter dahin. Wir sehen sie dabei, wie sie um ihre Souveränität ringt: Sich mit solch banaler Lektüre wie der von Elternratgebern abzugeben, weist sie von sich, obwohl der Schlafrhythmus der Tochter ihr den letzten Nerv raubt. Das wiederum gibt sie in der Elterngruppe nicht zu. Von der Schwiegermutter fühlt sie sich bevormundet, von ihrer eigenen im Stich gelassen. Es geht um die Suche nach einer neuen Identität: Wer bin ich als Mutter? Und wer bin ich, außer Mutter?
Audrey oszilliert zwischen Supermom und Karrierefrau. In einem Moment bestellt sie einen doppelten Cappuccino, besteht darauf, ihr Baby übers Wochenende mit dem Partner alleine zu lassen, sagt einen Job zu. Heimlich liest sie die Ratgeber dann doch, läuft kilometerweit durch die Wildnis, um einen Kontrollanruf zu Hause zu machen, und backt nächtens Törtchen für den ersten Geburtstag. Eine so realistisch zerzauste, in ihrer Widersprüchlichkeit lächerliche Mutter hat man auf dem Bildschirm selten gesehen. Und klar, diesen Spiegel vorgehalten zu bekommen und ein wenig über sich selbst zu lachen, verschafft Erleichterung.
Doch steht hinter dem Interesse an Autofiktion oft die Annahme, das Private sei politisch. Ein Slogan, der dazu verleitet, sich selbstzufrieden auf die Schulter zu klopfen. Hat man nicht gerade durch den Serienkonsum sein Bewusstsein für die Unterdrückung der Frau geschärft? Grund genug, sich zurückzulehnen und (weiter) mit sich selbst zu beschäftigen. Oder?
Dass The Letdown mehr sein will als die realistische Darstellung einer Mittelschichtsmama, zeigt sich, ebenso wie bei Workin’ Moms, in den Nebenplots: Als hätten sie voneinander abgeschaut, nutzen beide Serien eine Art Krabbelgruppe als sozialen Dreh- und Angelpunkt, der unterschiedliche Plots zusammenlaufen lässt. Da gibt es noch die perfektionistische Supermutti, die auf Social Media ihre Babywelt inszeniert. Und den Quotenpapa, einen Schluffi, der zu Hause bleibt, während seine Frau ihre Karriere verfolgt, sowie die lesbische Mama, mit oder ohne Partner. Unterschiedliche Normen und Erwartungen, die in der Gruppe zusammentreffen, bieten Stoff für Komik und beugen dem Vorwurf vor, die heteronormative Mutter-Vater-Kind-Familie als einzige Möglichkeit zu präsentieren. Und doch wirkt dieser Versuch in beiden Fällen ein wenig halbherzig – bleibt doch der Fokus klar auf weißen Mittelschichtsfrauen.
Workin’ Moms ist in ihrer Zuspitzung der Figuren ganz Comedy. Die Mamas dieser Serie, von der die beiden ersten Staffeln in einem „all-female writers’ room“ entstanden sind, lehnen sich mit ihrer ganzen negativen Energie gegen das Rollenbild der aufopferungsvollen und dabei glücklich strahlenden Babymama auf: Während Workaholic Kate neun Monate nach der Geburt ihres Sohnes mit Inbrunst um ihren Aufstieg in der PR-Agentur kämpft, ist ihre Freundin Anne voller Wut über ihre neue Schwangerschaft. Die lesbische Frankie schwelgt in postpartalen Selbstmordfantasien, und Jenny regressiert zum sexgeilen Teenager und will von ihrem Baby und dessen sich kümmerndem Papa nichts mehr wissen.
Workin’ Moms
Workin’ Moms gibt sich von den drei genannten Serien die größte Mühe, das Leben der Mütter in universell nachvollziehbare Konflikte zu übersetzen. Das Resultat ist, dass man die Babys wenig zu Gesicht bekommt. Sind sie für die Handlung irrelevant, verschwinden sie auf magische Weise. Das Versprechen des Titels, den Konflikt zwischen Arbeit und Mutterschaft zu verhandeln, wird nicht wirklich eingelöst. Im Vordergrund stehen die Karrieren und Partnerschaften der Frauen, ihre Mutterschaft ist ein ergänzendes Feature. Dass die größte Herausforderung des Elternseins darin besteht, dass man sämtliche Krisen bewältigen muss, während man Windeln wechselt, wird weitgehend ausgeblendet.
Diese innere Zerrissenheit verbindet Audrey viel eher mit Bridgette in SMILF (kurz für: Single Mother I’d Like to Fuck), die sich von Job zu Job hangelt und für die Betreuung ihres Sohnes auf ihre bipolare Mutter und den drogenabhängigen Ex angewiesen ist. In ihrem beengten Leben gibt es weder Zeit noch Raum für sich selbst – sodass sie sich erst recht ständig hin- und hergerissen fühlt zwischen der Fürsorge für ihren Sohn und dem Wunsch, noch etwas anderes zu sein. Diesen Zwiespalt, in dem Eltern stecken, können die sozialen, kulturellen, ökonomischen und weiteren Lebensumstände lindern – ganz auflösen lässt er sich in der Regel nicht. SMILF und The Letdown stellen ihn ehrlich und unterhaltsam dar. Es sollte nur niemand meinen, sich durch die vielen Stunden vor dem Bildschirm einen feministischen Orden verdient zu haben.
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