Plastikbeutel, Gras, Sand oder schmutzige Stofffetzen: „Ich wusste nicht, was ich während der Blutung nutzen sollte, bevor ich in die Stadt kam. Ich konnte mit niemandem darüber reden“, sagt Sneha Dey. Die 27-jährige Inderin steht in einem Raum voller Frauen. Inmitten von Stoffbergen messen, falten und schnüren sie Pakete, die an andere Frauen geschickt werden sollen, damit diese während ihrer Menstruation die Blutung mit Binden statt Plastik oder Schmutz auffangen können. Sie alle wollen die Periode sicherer, vor allem aber zu etwas Normalem machen, etwas, über das man redet ohne Scham und Ekel.
Ein einzelner Mann sitzt zwischen den Frauen in dem kalten Raum eines Hinterhofs eines Industrieviertels in Neu-Delhi, Indiens Hauptstadt. Die zeitig untergehende Sonne ist kaum sichtbar durch den Smog, der die Millionenmetropole jedes Jahr zur Winterzeit vernebelt und den Menschen das Atmen schwer macht.
Im Hygienelabor
In Delhi leben heißt mit vielen Dingen kämpfen – auch gegen Vorurteile. Einmal im Monat werden Millionen von Inderinnen aus der Gesellschaft ausgestoßen, weil sie Frauen sind. Sie dürfen keinen Tempel betreten, sie dürfen kein Essen anfassen, sie dürfen keine Menschen berühren, sie dürfen nicht in der Nähe ihrer Familien oder Männer sein, sie schlafen in einer Ecke anstatt im Bett. In Dörfern ziehen sie manchmal in sogenannte Gaokors, simple Hütten mit Wänden aus Lehm und Holz und Dächern aus Palmenblättern, ohne Möbel, mit einer rudimentären Wasserversorgung. Weil sie bluten, angeblich unrein seien, manchmal wird ihnen sogar erzählt, sie seien verhext. Um das Blut aufzufangen, nutzen Frauen das, was sie gerade finden: Plastiktüten, Zeitungen, Putzlappen oder sogar Asche. Viele leiden an Infektionen, einige sterben sogar daran. Die Menstruation ist für viele wie ein Fluch, vor allem aber ein Tabu.
In Indien, der größten Demokratie weltweit, leben 355 Millionen Frauen. Nur zwölf Prozent von ihnen nutzen während ihrer Periode Binden oder andere Hygieneartikel. Binden gibt es in den Drogerien der Städte zu kaufen, Tampons oder Menstruationskappen sind selten und in weiten Teilen des Landes gar nicht zu bekommen. Selbst wenn sie in den Regalen lägen, würden viele Frauen nicht wissen, wozu ein Tampon überhaupt gebraucht wird. Einer Studie von UNICEF und AC Nielsen von 2010 zufolge gehen neun von zehn Mädchen während ihrer Tage nicht zur Schule, 23 Prozent der 12- bis 18-Jährigen verlassen das Bildungssystem endgültig nach dem Einsetzen der ersten Periode. Grund für diese hohen Zahlen sind oftmals Scham und Unwissenheit. Wenige Mädchen wissen, worum es sich bei der Blutung handelt, 83 Prozent werden der Studie nach von der ersten Menstruation überrascht. Eine Vertrauensperson fehlt oft, da in Schule und Familie darüber nicht gesprochen wurde.
„Die Menstruation ist etwas, das offiziell nicht existiert. Ich durfte während der Tage nichts anfassen und nicht neben meinem Bruder sitzen“, sagt Sneha Dey in Delhi. Die Erklärung ihrer Mutter: „Du bist eben dreckig.“ Das hat sich in die Köpfe der Mädchen gebrannt. In einer Untersuchung des Menstrual Hygiene Management Lab sagten drei Viertel der Befragten, Menstruationsblut sei „dreckiges Blut“.
Dabei sprechen in Neu-Delhi mittlerweile viele über die Menstruation, wie die NGO Goonj, in der Sneha Dey arbeitet. Goonj ist eine Organisation, deren Wurzeln im Recycling von Stoffen liegt: Arme erhalten Kleidung, die andere wegwerfen. Mit ihrem Projekt NJCP – Not Just a Piece of Cloth fokussiert die Organisation auf die weibliche Periode, weil gerade Frauen aus armen und ländlichen Gebieten keinen Zugang zu Hygieneartikeln besitzen. Es sind Frauen aus Armenvierteln, die in den Zentren von Goonj Baumwollstoffe bearbeiten: Knöpfe entfernen, die Stoffe heiß waschen und desinfizieren, und letztendlich in Taschentuchgroße Stücke schneiden. In einem letzten Schritt werden diese einzelnen Stoffe dann gefaltet und in Fünferpacks zusammengeschnürt – fertig ist das Paket Stoffbinden. 1.500 dieser sogenannten My Pads entstehen täglich in den Zentren – mehr als drei Millionen Pakete wurden davon verteilt.
Im Hygienebusiness
Anders als bei den selbstgebastelten Binden, die in den Dörfern sonst genutzt werden, sind die Pads gereinigt, desinfiziert und gebrauchsfertig zurechtgeschnitten. Sie können wieder gewaschen oder im Innenteil mit anderen Stoffen ausgelegt werden. „Es ist nicht perfekt, aber hygienischer als viele herkömmliche Methoden, und weil es der traditionellen Form ähnelt, nehmen die Frauen es an“, sagt Dey. Tatsächlich zeigt die Studie der Menstruations-Labs, dass der Großteil der Frauen eher „Hygienekleidung“ tragen würde, als industriell hergestellte Binden zu benutzen.
„Außerdem sind sie biologisch abbaubar“, betont Sneha Dey. Ein wichtiger Punkt, weil mit dem Bindenbusiness auch ein riesiges Müllproblem auf Indien zukommt. Internationale Konzerne haben entdeckt, dass Indien im Hygienebereich Nachholbedarf hat. In urbanen Gebieten liegen die Packungen bekannter Marken in den Drogerien aus, und in den kommenden Jahren wird der Hygieneartikelmarkt boomen, mit Wachstumsprognosen von 19 Prozent pro Jahr, die sich Großkonzerne wie Johnson & Johnson oder Procter & Gamble gern aufteilen würden. Die Produkte bestehen zu großen Teilen aus Plastik und Kunststoffgranulaten – etwas also, das schwer abbaubar ist. Viele der Binden landen wie anderer Müll in der offenen Kanalisation oder der Natur. 60 Prozent der Frauen würden ihre Binden im Freien entsorgen, weil sie zu Hause keinen „Menstruationsmüll“ haben wollen.
Oft ist auch der Preis ein wichtiger Hinderungsgrund. Eine Packung Binden im Supermarkt ist um einiges teurer als das Baumwollmodell der NGO. Das war auch der Auslöser für einen Mann aus dem Süden Indiens für eine bahnbrechende Entwicklung. Fernab der Metropolen Mumbai und Delhi sitzt Arunachalam Muruganantham in Coimbatore, einer Textilgewerbestadt. Muruganantham, der von einigen nur „Menstruation Man“ genannt wird, weil er sich als Mann nicht nur für ein Frauenthema interessierte, sondern am eigenen Körper ausprobierte, was Menstruieren eigentlich bedeutet. Alles begann mit seiner Frau, die versuchte, blutige Stofffetzen vor ihm zu verstecken – kommerzielle Binden waren für sie zu teuer. „Ich würde damit noch nicht mal meinen Roller putzen“, sagt Muruganantham, der über die Entdeckung geschockt war.
Muruganantham, ein Mann ohne Studium und höheren Schulabschluss, tüftelte deswegen jahrelang an einer Binde, die nicht so viel kostet wie Produkte aus der Drogerie. Als er mit Ziegenblut in einem Ballon in der Unterhose durchs Dorf lief, um zu testen, wie sich Blut anfühlt, wann es zu riechen beginnt und wie es die Kleidung trifft, begannen die Leute zu reden – so sehr, dass seine Frau ihn verließ. Peinlich und unhaltbar, fanden ihn die Nachbarn. Als er nach vielen Entwicklungsjahren endlich eine eigene Binde hergestellt und dazu eine Maschine gebaut hatte, die jeder relativ kostengünstig bedienen kann, wurden die Medien auf ihn aufmerksam. Mit den Berichten kam nicht nur der Erfolg, sondern auch seine Frau zurück. Seitdem kann sich Muruganantham vor Auszeichnungen kaum retten – 2014 wurde er vom Time Magazine zu einem der 100 einflussreichsten Menschen weltweit gewählt.
Die von ihm gegründete Jayaashree Industries läuft unter dem Motto „by the women, for the women, and to the women“. Tatsächlich stehen Frauen an den Geräten, packen Watte zusammen, stanzen und kleben recht simple Binden. Murugananthams Ziel, die Maschinen so einfach zu gestalten, dass jeder sie bedienen kann, hat Erfolg. Mittlerweile stehen seine Maschinen in 1.300 Dörfern in 23 indischen Bundesstaaten.
Junge Unternehmer, überwiegend Männer, machen es ihm nach. Saral Designs produziert nicht nur Maschinen, sondern auch Automaten, an denen man einzelne Binden ziehen kann. Aakar Innovations, ist eine weitere Gründung zweier Jungunternehmer, die auf Murugananthams Maschine basiert. „Wir wollen die Maschinen nicht an die Frauen verschenken, denn sie müssen sich anstrengen, um den Wert zu kennen“, sagte Sombodhi Ghosh, einer der Gründer, 2014 in einem Interview. „Wenn wir Frauen auf dem Land über die Periode, Hygiene und Binden weiterbilden wollen, dann sollten sie zuerst lernen, wie man sie produziert.“ Dass der Markt nicht nur mit Produkten erobert werden kann, haben die beiden verstanden und eine soziale Unternehmenstochter gebildet, über die sie Aufklärungskurse anbieten.
Auch online entwickelt sich der Markt: Die Firma Those5Days verschickt Pakete mit Binden und Tampons direkt an die Haustür. Zielgruppe sind besserverdienende Frauen. Es gibt auch Aktivisten, die lieber erklären als verkaufen. Die Macher von Menstrupedia etwa zeigen mit ihren Onlinekampagnen, wie die Menstruation biologisch abläuft und wie Mädchen damit umgehen können.
„Wir müssen darüber reden“, findet Sneha Dey in Delhi. Menstruation müsse zum Thema werden, über das man ganz normal am Esstisch sprechen kann. „Wenn ich rausgehe und einen Fleck auf meiner Kleidung habe, dann sollte ich überlegen können, wie ich meine Kleidung tausche, und nicht als Erstes nur besorgt sein, wie ich es verstecken muss“, sagt Dey.
Inzwischen herrscht ein neues Selbstbewusstsein bei jungen Frauen, die sich nicht mehr verstecken wollen. Als ein Priester ankündigte, er würde bald Scanner vor Tempeln aufstellen, um zu testen, ob Frauen gerade menstruieren, empörten sich viele mit einer Onlinekampagne. Der Hashtag: #happytobleed.
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