Nur nicht über den roten Teppich!

Eventkritik Bacardi feiert in Berlin seinen 150. Geburtstag. Dafür lädt die Rum-Firma ihre Marken-Botschafter aus den sozialen Netzwerken zur Party ein

Pünktlich zu Bacardis 150-jähriger Geburtstagsfeier fällt in Berlin der erste Schnee des Jahres. Aber davon will man sich nicht die Party-Stimmung vermiesen lassen. Zwei Feuertonnen vor dem Eingang zeigen: Auch ohne Karibik-Temperaturen soll es heiß werden. Ein paar frühe Gäste verirren sich auf den roten Teppich, neben dem die Fotografen warten. Die Security mit Knopf im Ohr bittet sie freundlich, aber entschieden, einen anderen Weg zu nehmen. Nur für Promis.

Über eine glatte Außentreppe schlittern die Nicht-VIPs in das Kreuzberger Umspannwerk, ein Architekturdenkmal. Die ehemalige Generatorenhalle ist ein imposanter Saal mit Glasdach im Industriearchitekturstil. Drei Themenbars hat Bacardi hier aufgebaut. Die Zwanzigerjahre-Bar mit Kellnern in Hosenträgern und Kellnerinnen mit kunstvollen Retro-Frisuren. Die Neunzigerjahre-Bar mit Palmenblättern und einem Surfbrett soll an die Zeit erinnern, in der Bacardi sich mit Kinowerbung, Lambada-Tanz und dem Song "Bacardi Feeling" in Deutschland als Wohlfühl-Rum etablierte. An der Future-Bar gibt es Trockeneis und Zuckerwatte – die Zukunft wird offenbar neblig-süß.

Partymeute statt Kinospots

Längst vermarktet sich die Rum-Firma nicht mehr nur über die immergleichen Werbespots von glücklichen Menschen am Strand. Man geht mit der Zeit – und wirbt über "Brand Ambassadors", junge Menschen, die weitreichende Kontakte in sozialen Netzwerken haben und über diese kostenlos zur Verfügung gestellte Produkte per Mund-zu-Mund-Propaganda bewerben. Was früher Kinowerbung war, ist heute die Partymeute. Die Werbebranche hat sich von der Einbahnstraßen-Kommunikation entfernt. Man will mit "Narrative-Brand-Planung" selbst zum Stoff von Erzählungen werden. Über Facebook und Co. verbreiten sich die Geschichten, etwa von ausgelassenen Partys mit der richtigen Rum-Marke, schnell und kostenlos. Auch Levi’s, Beck’s oder Jägermeister arbeiten so.

Unter den 600 geladenen Gäste an diesem Abend befinden sich daher auch viele dieser Markenbotschafter. Bacardi hatte im Vorfeld über verschiedene Netzwerke und Webseiten Karten verlost. Anette und Carolin, beide Ende Zwanzig, haben so einen kostenlosen Eintritt gewonnen. Mit einem Cocktail in der Hand erzählen sie, sie wollten sich das einfach mal anschauen, vor allem das angekündigte Konzert der Soulsängerin Joy Denalane und ihres Manns, dem Hip-Hopper Max Herre.

Für die professionellen Berichterstatter liegt am Pressecounter eine Promi-Liste bereit – oder was man hier halt so dafür hält. Der Ochsenknecht-Clan rückt mit Anhang an, der blonde "Bachelor" von RTL kommt, Sängerin Kelly Rowland von Destiny’s Child soll auch da sein, verlässt aber die VIP-Lounge offenbar nicht.

"It all started with a party", ist das Motto, mit dem der Spirituosenhersteller an diesem Abend die Gründung seiner ersten Destillerie feiert. Don Facundo Bacardí hatte sie 1862 auf Kuba eröffnet. In den Roaring Twenties erlebte das Unternehmen dann seinen ersten großen Aufschwung, als durstige Amerikaner vor der Prohibition nach Kuba flüchteten und die Bohème-Szene auf der Suche nach Kreativität regelmäßig Rum-Partys auf der Insel feierte. "Fly with us to Havana, and you can bathe in Bacardi rum four hours from now", warb Pan Am damals.

Auf dem deutschen Markt reichte in den Achtzigern und Neunzigern lange das Versprechen von ein bisschen Karibik, Mädchen in knappen Bikinis und das Klackern von Eiswürfeln in Gläsern. In den Nullerjahren verdiente man dann gut mit Alkopops – Mischgetränken, die vor allem bei Teenagern beliebt waren. Nach einer kritischen Diskussion über den erhöhten Alkohol-Konsum von Minderjährigen wurde 2004 eine Sondersteuer auf die Getränke erhoben, welche die Hersteller weitestgehend durch Preissenkungen umgingen. Die Steuer bedeutete dennoch das Ende für "Bacardi Breezer", ein Mix aus Limonade und Rum. Bacardi stellte die unrentable Produktion 2007 ein. Seitdem hat man sich statt auf Produktdifferenzierung auf die Ausdifferenzierung des Marketings mittels Eventkultur konzentriert.

Viele "fancy Gesichter"

Teil dessen ist auch das Konzert, mit dem Joy Denalane gegen halb zehn die Bühne eröffnet. Die Soul-Sängerin heizt mit ihrer zehnköpfigen Band die Stimmung an. Sie freut sich vor der durch Strohalme schlürfenden Menschenmenge über die vielen "fancy Gesichter", die an diesem Abend anwesend sind. Trotz Auftritt beim Marken-Event will sie sich aber auch als kritische Künstlerin präsentieren: "Es gibt etwas, das alle Menschen eint. Es ist das Gewissen", erklärt sie in der Mitte des Konzertes. "Es kriecht dir den Nacken hinauf", sagt sie und fährt dabei mit den Händen andächtig unter ihrer Lockenpracht entlang.

Die Party-Crowd in den ersten Reihen hört auf zu tanzen und tauscht irritierte Blicke aus. Achselzuckend wird der Versuch der Sängerin, sich mit dem Publikum über das richtige Leben auszutauschen, ignoriert. Falscher Ort, falsche Zeit. Man lauscht lieber wieder Denalanes beeindruckender Soulstimme und dem Bläserduo. Der anhaltende Rum- und Cocktailkonsum zu fortgeschrittener Stunde tut sein übriges. Die Menge amüsiert sich, man blickt in zufriedene Gesichter, die sich über eine gelungene Party zu freuen scheinen.

Für die Strategie der Spektakel-Kultur ist eine Spirituose als Produkt natürlich ein dankbares Objekt – man versorgt die Menschen kostenlos mit Schnaps und Schnapsmischgetränken, der Rest ergibt sich von selbst. Die Barkeeper rotieren, und nein, an der Neunzigerjahre-Bar gebe es immer noch kein Wasser, erklären sie ungeduldig. Der DJ spielt nach dem Konzert die sicheren Sachen, etwas, was jeder kennt. Klassiker wie "Hit the road Jack" dröhnen aus den Boxen. Der Saal ist heiß und brechend voll. Die Menschen sind angetrunken und feiern. Bacardi hat sein Produktversprechen gehalten.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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