Wertlose Papierschnipsel mit Raketen verteidigen

Absturz des Dollar Die USA flüchten vor dem ökonomischen Kollaps in immer neue militärische Abenteuer

Der Traum eines jeden Konsumenten: Man bezahlt seine Einkäufe mit Schecks, die von den Geschäftsleuten niemals eingelöst werden. Man begleicht die Rechnungen mit fantasievollen Papierschnipseln und seiner guten Unterschrift, aber das eigene Konto wird niemals belastet. Eine Geschichte aus dem kapitalistischen Schlaraffenland? Nein und doch ja. Was für den Einzelnen unvorstellbar scheinen mag, ist seit Jahrzehnten Realität für die US-Volkswirtschaft. Sie kauft Waren bei anderen Nationen und bezahlt die Importe mit grünen Scheinchen, die von der Federal Reserve, der Zentralbank der Vereinigten Staaten, nach Belieben nachgedruckt werden.

Doch seit immer offensichtlicher wird, dass die Dollarflut durch die Wirtschaftsleistung der USA nicht mehr gedeckt ist, hat der Absturz des Dollar begonnen. In den vergangenen drei Jahren hat die US-Währung 35 Prozent gegenüber dem Euro und 24 Prozent gegenüber dem japanischen Yen verloren. Zieht man den historischen Vergleich etwas weiter und nimmt statt des Euro die Deutsche Mark, so wurde das Geld der Yankees gegenüber dem Geld der Krauts seit 1960 um zwei Drittel abgewertet. Damals musste man für den Greenback vier D-Mark zahlen, zur Zeit wären es nur noch etwa 1,30.

Die Schwäche der amerikanischen Wirtschaft ist der wesentliche Grund für diese Entwicklung. Die in den USA hergestellten Produkte sind so schlecht oder so teuer, dass sie sich auf dem Weltmarkt nicht behaupten können. Da die US-Exporte sich im Ausland kaum absetzen lassen und auf dem Binnenmarkt zunehmend ausländische Produkte bevorzugt werden, klafft ein immer größeres Loch in der US-Leistungsbilanz. Und es wächst exponentiell: 1992 betrug es 50 Milliarden US-Dollar, 1998 schon 245 Milliarden, zwei Jahre später 435 Milliarden und für das Jahr 2004 werden 600 Milliarden Dollar, für 2006 gar 825 Milliarden Dollar prognostiziert - über acht Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: In Deutschland würden acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einem Handelsminus von umgerechnet 130 Milliarden US-Dollar entsprechen. Statt dessen wies der deutsche Außenhandel im Jahre 2003 ein Plus von 135 Milliarden Euro aus.

Bushs globaler Keynesianismus

Zur Finanzierung der Importe druckt die US-Notenbank zusätzliches Geld, und die öffentliche Hand wie Privatunternehmen legen gut verzinste Schuldtitel und andere Wertpapiere auf, die vom Ausland gekauft werden. Dies lässt parallel zum Leistungsbilanzdefizit auch die Außenverschuldung der USA explodieren. Ende der siebziger Jahre waren die USA Netto-Gläubiger mit Forderungen an das Ausland in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar, im Jahre 1982 erreichten diese Forderungen mit 231 Milliarden ihr Maximum. Doch kurz darauf kam die Wende in die roten Zahlen: Seit 1985 sind die USA - Staat, Wirtschaft, Privathaushalte - an das Ausland verschuldet. Im September 2001 beträgt die Brutto-Schuld 7.815 Milliarden US-Dollar, verrechnet mit eigenen Forderungen an das Ausland bleibt immer noch eine Netto-Verschuldung in Höhe von 3.493 Milliarden Dollar übrig. Bei einem BIP der USA von etwa 10.000 Milliarden Dollar beträgt die Auslandsverschuldung damit knapp 35 Prozent. Zum Vergleich: Die DDR wurde im Oktober 1989 von einer Arbeitsgruppe des Politbüros für bankrott erklärt, weil sie eine Westverschuldung von 49 Milliarden Valutamark hatte. Das waren lediglich 16 Prozent des BIP der DDR.

Die Amerikaner verwandeln das vom Ausland geliehene Kapital in Nachfrage nach Produkten anderer Nationalökonomien und kurbeln so die weltweite Konjunktur an. Damit funktioniert die Globalökonomie nach dem Muster des deficit spending, das heute bei den meisten Ökonomen so sehr verpönt ist. Ausgedacht hat es der Brite John Maynard Keynes, bis heute der Vorzeigeökonom der sozialen Marktwirtschaft. Auf drei Sätze gebracht lautet seine tragende Idee: Im marktwirtschaftlichen System gibt es aus strukturellen Gründen eine Nachfragelücke, die für die Arbeitslosigkeit verantwortlich ist. Diese Nachfragelücke muss geschlossen werden, indem die Regierung über Fiskal- und Zinspolitik Industrie und Privathaushalten billiges Geld zur Verfügung stellt, und notfalls mittels Staatskonsum die Konjunktur stimuliert. Erhöhung der Geldzirkulation und der Staatsverschuldung sind hierfür obligatorisch.

Die Realitätstüchtigkeit von Keynes´ Vorschlägen zeigte sich in der Depression der dreißiger Jahre: Die führenden Ökonomen empfahlen den Regierungen, abzuwarten und ihre öffentlichen Ausgaben zu beschneiden. Das hieß: Der Staat solle sparen wie ein Tante-Emma-Laden, der in Zeiten guter Geschäfte Investitionen tätigt und in schlechten Zeiten darauf verzichtet. Nur so ließen sich die Defizite in den öffentlichen Haushalten begrenzen - andernfalls drohe der Staatsbankrott. In Deutschland setzte Reichskanzler Heinrich Brüning diese Ratschläge mit Notverordnungen gegen das Parlament durch, die Arbeitslosigkeit stieg steil auf sechs Millionen an. Keynes forderte von der britischen Regierung 1929 das Gegenteil: Sie solle sich bei den Banken pro Jahr hundert Millionen Pfund leihen und damit eine halbe Million Jobs schaffen.

Keynes blitzte zunächst ab. Seine Ideen setzten sich dennoch durch, wenn auch ohne seine Mitwirkung: Sowohl der New Deal in den USA der dreißiger Jahre wie die NS-Wirtschaftspolitik fußten auf Staatsverschuldung und darüber finanzierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, also auf den Prinzipien, denen Keynes 1936 in seiner General Theory eine allgemeingültige Fassung gab. In den USA wurde dazu die Notenpresse in Gang gesetzt, in Deutschland staatliche Schuldscheine ausgegeben. Bereits 1936 erreichte das US-Haushaltsdefizit 4,6 Milliarden Dollar oder 50 Prozent der Bundesausgaben, die Schulden der Staaten und Gemeinden nicht mitgerechnet. In Deutschland wurden zur Kaschierung der Schulden seit 1936 überhaupt keine Haushaltspläne und keine Staatsbilanzen mehr veröffentlicht.

Als bekannt darf man den Zusammenhang zwischen Arbeitsplatzbeschaffung und Kriegsvorbereitung in Nazi-Deutschland voraussetzen: Die Autobahnen waren ein ABM-Programm für Millionen und ließen später die Panzer schneller an die Ostfront rollen. Der Krieg stopfte dann die Löcher im Budget: Der Raub von Rohstoffen und Arbeitssklaven sorgte für die Wertdeckung der aufgeblähten Geldmenge in Nazi-Deutschland. Als am 8. Mai 1945 der grausige Spuk zu Ende war, explodierte die vorher politisch-militärisch zurückgestaute Inflation.

Dass dieser Zusammenhang auch für die USA galt, ist weniger bekannt: Zwar sank dort die Arbeitslosigkeit von 23 Prozent (1933) auf 11,2 Prozent (1937) - ein selbsttragender Wirtschaftsaufschwung kam jedoch nicht zustande. Als die Staatsausgaben - in Keynes´ Theorie eigentlich nur als Initialzündung für eine Belebung der privaten Wirtschaftstätigkeit gedacht - 1937 gekürzt wurden, war sofort ein rezessiver Absturz die Folge, der sogar das Ausmaß von 1929 überstieg. Erst mit Kriegseintritt 1941 erreichte die Roosevelt-Regierung das Ziel der Vollbeschäftigung. Die USA konnten angesichts gewaltiger Aufblähung der Dollar-Emissionen ihre Währung nur deswegen materiell sichern, weil sie praktisch sämtliche Goldvorräte der Welt im Gegenzug für Rüstungslieferungen in ihren Besitz brachten.

Die Parallelisierung des deficit spending in einem faschistischen und einem demokratischen Staat will nicht deren Kriegsziele auf eine Stufe stellen. Selbstverständlich war Hitlers Aggression verbrecherisch und der Kriegseintritt der USA und der Sieg der Alliierten ein Glück für die Menschheit. Doch die Moral, die den US-Kriegsanstrengungen in einer spezifischen historischen Konstellation zukam, verdeckt das ökonomische Gesetz hinter diesem Spezifikum: Keynesianismus funktioniert so richtig nur als Kriegskeynesianismus.

Siegen oder platzen

Bush und Fed-Chef Alan Greenspan müssen dasselbe fürchten wie Hitler und Reichsbanker Hjalmar Schacht: Dass die inflationäre Geldblase platzt, wenn ihre Armeen nicht mehr von Sieg zu Sieg eilen. Für den Dollar (und dollarnominierte Wertpapiere) gilt heute, was für die Reichsmark im Zweiten Weltkrieg galt: Die Anleger glauben den aufgedruckten Wert nur, solange jedermann jederzeit und an jedem Ort mit militärischer Gewalt gezwungen werden kann, die Papierschnipsel in Waren einzutauschen. Je tiefer die US-Ökonomie in die roten Zahlen rutscht, um so aggressiver muss die US-Außenpolitik auftreten.

Würde das Gesetz von Angebot und Nachfrage gelten, wäre der Dollar längst schon viel tiefer gestützt. Reiche Ausländer und internationale Privatfonds ziehen seit zwei Jahren Kapital aus Dollaranlagen ab, und nur der ständig wachsende Aufkauf der US-Währung durch die Nationalbanken in Tokio und Peking stützt den Greenback noch. Japaner und Chinesen wollen durch diese Politik die US-Währung hoch, ihre eigene niedrig und damit ihre Exporte in den Dollarraum konkurrenzfähig halten. Doch wie lange werden sie es sich noch leisten können, ihr gutes Geld dem schlechten amerikanischen nachzuwerfen?

Das Ende des Dollars als Weltwährung wäre erreicht, wenn der internationale Ölhandel nicht mehr auf Dollarbasis abgewickelt würde. Vorreiter dieser Entwicklung war der Irak. Ende des Jahres 2000 stellte Saddam Hussein die Fakturierung der irakischen Ölexporte auf Euro um. Dies wurde nach der Eroberung des Irak durch die USA wieder rückgängig gemacht. Auch andere Staaten, die von den USA bedroht werden, liebäugeln mit einer Umstellung der Öl-Exporte auf Eurobasis. Entsprechende Überlegungen gibt es in Venezuela - 25 Prozent der US-Öleinfuhren kommen von dort - und in Russland. So veröffentlichte die Moscow Times im Oktober 2003 einen Artikel unter der Überschrift: "Putin: Warum Öl nicht in Euro abrechnen?" Bereits Ende 2002 wechselte Nordkorea vom US-Dollar zum Euro. Iran fordert seit dem Jahr 2003, Öllieferungen in Euro zu zahlen. Zuvor hatte Teheran bereits das Gros seiner Devisenreserven auf Euro umgestellt - eine Entwicklung, die auch in Russland begonnen hat.

Sowohl im Irak wie bei den möglichen Kriegen gegen die eben genannten Staaten geht es also nicht in erster Linie um "Blut für Öl", sondern vor allem darum, die Zahlungsfähigkeit der USA zu verteidigen. Dabei ist die Kontrolle über das Öl ein wichtiger Faktor. In letzter Konsequenz wird jedoch kein Rohstoffkrieg geführt, sondern eine Weltwährungsschlacht - Dollar gegen Euro. Der ökonomische Zusammenbruch soll mit außerökonomischen Mitteln gestoppt werden. Der Münchner Gegenstandpunkt schrieb dazu: "Es ist, als wollten Bush und seine Antiterrorkrieger den strategischen Welterfolg, den sie sich vorgenommen haben und zu erkämpfen gedenken, an die Stelle des kapitalistischen ›Wertgesetzes‹ setzen und eben diesem ›Gesetz‹ genau dadurch gerecht werden." Beim letzten Mal kostete das skurrile Experiment etwa 60 Millionen Menschenleben.

Mehr zu diesem Thema in Jürgen Elsässers Buch Der deutsche Sonderweg. Historische Last und politische Herausforderung (Diederichs/Hugendubel 2003).


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