Der Ernst und der Spaß des Lebens

Lernmotivation. Schule ist eine Zwangsveranstaltung. Dessen ungeachtet enthält sie für die meisten "Beschulten" sowohl Glanz- als auch Elendsmomente.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ab der siebten Klasse bekamen wir es mit Frau M. zu tun. Sie war gar nicht unfreundlich, aber dass nicht alle von uns mit Begeisterung Englisch lernten, verstand sie nicht. Vielleicht erstaunte es sie. Vielleicht wurde ihr jener Mangel an Begeisterung aber auch gar nicht bewusst.

Vermutlich hatte ihr Unterricht große Ähnlichkeit mit dem, was man früher in Kirchenkreisen Katechisierung nannte.

Ich erinnere mich an die grammatischen Tabellen, die sie an die Tafel malte, von der einfachen Gegenwart bis im Maximalfall zur Vorvergangenheit.

Meiner subjektiven Erinnerung nach machte sie rund hundertfünfzig Unterrichtsstunden lang nichts anderes als Grammatik, aber meine subjektive Erinnerung spinnt. Es gab zum Beispiel auch ein Textbuch, und gelegentlich wurde es geöffnet. Die Aufforderung dazu erfolgte im Imperativ, und ohne please. Englisch war eine ernste Angelegenheit.

Dann begann die achte Klasse, und damit der Spaß. Herr M. (nicht verheiratet mit Frau M.) brachte unter anderem seine Gitarre und Songs von Tom Lehrer mit. Wir verstanden kaum die Hälfte davon, aber das Lied von den vergifteten Tauben konnten wir am Ende mitsingen. Situationsgerechter waren die Gospels, die er ebenfalls mitbrachte.

Wahrscheinlich würde keine der beiden Unterrichtsformen heute das Prädikat "Gut" erhalten - und die zuerst beschriebene schon gar nicht. Sie ergaben auch längst nicht für jeden Schüler Sinn, der nacheinander beide Lernerfahrungen machen musste. Diese Kombination half nicht jedem.

Mir allerdings schon. Frau M.'s Tabellen und ihre Anwendbarkeit bekam ich zwar nur im Halbschlaf mit, aber steter Tropfen höhlt den Mann. Womöglich wäre für mich ohne Frau M.'s drakonische Tabellen in der siebten Klasse gar kein Spaß in der achten aufgekommen, denn die knallharte Struktur, die Frau M. so wichtig gewesen sein muss, war Herrn M. herzlich wurscht, und mir hätte sie gefehlt.

Lehrmethodenwechsel waren also oft personengebunden und erfolgte in manchen Fällen vor allem nach den Sommerferien, einmal im Jahr. Das war sicherlich zu wenig. Aber mir scheint, die meisten Schülerinnen und Schüler waren vor drei bis vier Jahrzehnten lehrertoleranter als heute.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

JR's China Blog