Am Grunde der Moldau wandern die Steine…

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es liegen drei Kaiser begraben in Prag. Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.“

Aber nicht von alleine. Unsere Kanzlerin hat eine Voraussage getroffen, an deren Verwirklichung Europa nicht vorbei kommen wird. An der Prager Karls-Universität sagte sie, die EU-Kommission werde so etwas wie eine europäische Regierung werden. Die Staats- und Regierungschefs würden dann über die Nationalstaaten wachen. (Warum klingt das eigentlich so nach Überwachungsstaat? - Na das ist wohl ein anderes Thema…)

Wo Frau Merkel recht hat, muss man es ihr auch zugestehen. Entscheidend für die Bewertung ihrer Aussage wird sein, in welchem Maße die erstarkenden EU-Kommission demokratische Legitimation erhält. Bisher wird sie von den europäischen Regierungen nominiert und vom EU-Parlament bestätigt. Dieses geringe Maß an demokratischer Legitimation wird bei einer erstarkten EU-Kommission nicht ausreichen, um in schwierigen Situationen eine ausreichende Identifikation der europäischen Bevölkerung mit ihrer „Über“-Regierung sicherzustellen. Ein handlungsfähiges Europa ist jedoch von zentraler Bedeutung, wenn es sich weiter in stabilen Bahnen entwickeln soll. Europa ist diesbezüglich zum Erfolg verdammt. Ohne ein geeintes Europa werden die Nationalstaaten des Kontinents schon in naher Zukunft keinen wirksamen konstruktiven Beitrag bei der Gestaltung der globalen Entwicklung mehr leisten können. Sie würden in einer von China/Japan, USA, Indien, Brasilien, Iran, Russland, Türkei mehr oder weniger dominierten Welt nahezu bedeutungslos.

Aber zurück zur Innensicht:

Damit die künftig noch mächtigere EU-Kommission eine ausreichende demokratische Legitimation (einschließlich demokratischer Kontrolle) für ihr Handeln erhält ist es erforderlich, dass die Verfahren ihrer Einsetzung (und Absetzung) weiterentwickelt werden. Wie dies ausgestaltet werden kann, beschreiben unterschiedliche Modelle. Ein denkbares wäre, das europäische Parlament zu einem Zwei-Kammern-Parlament zu erweitern. Das „Unterhaus“ wird direkt - also in etwa wie bisher - durch die Bevölkerung gewählt. Im „Oberhaus“ sitzen die Vertreter der europäischen Nationalregierungen. Die EU-Kommission wird dann vom „Unterhaus“ ge- und bei bedarf abgewählt und vom (mit einem Vetorecht ausgestatteten) Oberhaus bestätigt. Andere Modelle sind ebenfalls denkbar.

Eine solche Weiterentwicklung wird allerdings nicht im Selbstlauf zu Ergebnissen führen, die demokratisch und stabil sind sowie zur Identifikation der europäischen Bevölkerung mit ihrer „Über“-Regierung führen. Das hat die unleidliche Geschichte mit der gescheiterten Europäischen Verfassung und dem ihr vorausgegangenen Konvent gezeigt. Die Sache ging bekanter Maßen gründlich vor den Baum.

Wenn sich Europa nicht in eine postdemokratische Zukunft begeben will, müssen die Träger der politischen Willensbildung jetzt mit Blick auf diese Aufgabe wirksam aktiv werden. Dies ist das aktuell entscheidende Handlungsfeld. Es ist wichtiger als Vorratsdatenspeicherung, Atomkraftausstieg oder Hartz IV. Warum? Weil schon bald die EU-Kommission die Pflöcke für diese und weitere Politikfelder einrammen wird, viel spürbarer als wir es heute bereits erleben. Die Maßnahmen zur Euro-Sicherung waren da nur ein Vorgeschmack.

Jetzt steht auf der Tagesordnung, dass sich neben den Gewerkschaften vor allem Piraten, Grüne und Linke* viel stärker als bisher mit ihren Pendants in den anderen EU-Ländern vernetzen und abstimmen. Sie alle werden gefordert sein, sich gemeinsam für die Weiterentwicklung der Demokratie in Europa einzusetzen. Das Brett was es zu bohren gilt ist so dickt, dass nationale oder theoriegeschwängerte Sonderwünsche einfach unter den Tisch fallen werden. Die Konservativen und Liberalen sind wie immer in der Geschichte so stark, dass sie nur gemeinsam von jenen, denen Partizipation am Herzen liegt, davon abgehalten werden können, eine schleichende Entdemokratisierung Europas zu betreiben.

Gelingt dies nicht, kann es passieren, dass Obrigkeitsentscheidungen einer autokratischen EU-Kommission zu kommenden Aufständen führen, welche die Ausscheidungen in Genua beim G8-Gipfel 2001, die Unruhen in den Pariser Vororten 2005 oder die Auseinandersetzungen in Athen 2011/12 wie ein Vorspiel anmuten lassen.

„Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.“**

* … Warum fehlt hier die SPD? Gegenfrage: Ist von ihr diesbezüglich noch etwas zu erwarten?

** … Brecht: Das Lied von der Moldau

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