Ein NPD-Kranz-Oder: Warum Deutschland nicht mit Nazis umzugehen weiß

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Laut MDR hat es im thüringischen Nordhausen bei der Gedenkfeier für die Opfer der Bombardierung vor 67 Jahren einen Eklat gegeben. Wie MDR Thüringen meldet, hat ein NPD-Stadtrat einen Kranz mit einer Gedenkschleife der rechtsextremistischen Partei niedergelegt. Als Oberbürgermeistern Ringe das Gebinde entfernen wollte, sei sie in ein Handgemenge mit mehreren NPD-Anhängern verwickelt worden. Dabei sei auch gedroht worden, ihr Auto anzuzünden. Die Polizei nahm den NPD-Stadtrat wegen versuchter Körperverletzung vorläufig fest. Bei der Bombardierung Nordhausens am 3. und 4. April 1945 waren mehr als 8.000 Menschen getötet worden. - Soweit der MDR.

Nazis sind Menschen, auch wenn sie einer Weltanschauung anhängen, von der sie meinen, diese gäbe ihnen das Recht selbst die größten Verbrechen zu begehen. Nazis haben - wie alle Menschen - das Recht zu trauern. Das Zurückweisen des NPD-Kranzes zeugt eher von den Schwierigkeiten der deutschen Öffentlichkeit mit Nazis als von politischem Stil. Sie hat es nicht gelernt zu akzeptieren, dass es unter uns immer einen Bodensatz mit brauner Ideologie geben wird.

Es ist keine Frage, die Gesellschaft muss sich vor diesem braunen Bodensatz schützen und alles erforderliche dafür tun, ihn so klein wie möglich zu halten. Ob da das zurückweisen eines NPD-Kranzes die geeignete Vorgehensweise ist, scheint mir fraglich und eher obrigkeitsstaatlich. Geeigneter sind wirksame Aufklärung, Exit-Programme für Aussteiger oder Unterstützung der Antifa, aber vor allem Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe und Entwicklung von attraktiven Perspektiven für die Bevölkerungsgruppen, welche sich von sozialem Abstieg bedroht fühlen.

Statt sich dieser Aufgabe mit der nötigen Konsequenz zu stellen, übt sich die politische Klasse darin, Nazis aus dem öffentlichen Raum wegzudefinieren. Das fängt beim „Räumungsbeschluss“ für faschistische Gebinde an und beim wiederholten Anlauf zu einem NPD-Verbot nicht auf. Derartige Maßnahmen sind eher geeignet, die Wahrnehmung zu verzerren, als die Realität zu verändern. Derartige Maßnahmen sind untauglich in Bezug auf das Ziel den braunen Bodensatz in unserer Gesellschaft zu verringern, sondern nur kehren ihn nur unter den Teppich.

Es stellt sich die Frage: Warum handelt die politische Klasse in Deutschland so?

Meine Hypothese:

Weil es die deutsche Gesellschaft - bis auf die Zeit in der sich alte BRD als attraktivere Alternative zur DDR beweisen musste - nie geschafft hat, soviel Gleichheit zu entwickeln, dass allen Bevölkerungsgruppen eine ausreichende Teilhabe am Wohlstand gewährt wird. Weil nicht allen die Existenzsicherheit geboten wurde und wird, welche nötig wäre, um sie vom Wert der Demokratie dauerhaft zu überzeugen. Weil nie ein Maß an individueller Selbstbestimmung eingeräumt wurde, welches allen Menschen gelehrt hätte, dass man Differenz auch aushalten kann, mit anderen Worten: eine legale rechtsextreme Partei zu ertragen und gleichzeitig mit allen demokratischen Mitteln zu bekämpfen.

Es gibt sozialwissenschaftliche Untersuchungen (z.B. Emmanuel Todd: Weltmacht USA…) die ausführten, dass im europäischen Vergleich Deutschland schon in seiner Geschichte eines der Länder war, in dem die Herrschenden ihre „Untertanen“ am wenigsten gleich behandelten und ihnen am wenigsten individuelle Selbstbestimmung zugestanden. Diese spezifische deutsche Ausprägung der gesellschaftlichen Verhältnisse war einer der Ursachen für die faschistische Machtübernahme vor knapp 80 Jahren und erklärt, warum man auch heute noch eher Kränze und Parteien verbietet, als sich auf Maßnahmen einzulassen, die darüber hinausgehen nur Symbole und Symptome zu bekämpfen.

Wirksames Handeln scheut man wie der Teufel das Weihwasser, weil dieses Umverteilungswirkungen von oben nach nach sich zöge. Und das wollen diejenigen, deren Handlanger die politische Klasse unseres Landes ist, nicht. Dann doch lieber Scheuklappen auf und ab und an einen zusammengeschlagenen Antifaschisten oder getöteten Mitbürger, dessen Einwanderungsgeschichte weniger als 60 Jahre zurückliegt, ertragen.

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