Ganz „Mitteldeutschland“ ein Tal der Ahnungslosen?

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Von Jena nach Zwickau sind es keine 100 Kilometer. Ein Katzensprung für Paulchen Panther und Nazis. Offenbar jedoch weit genug, um Jahre lang erfolgreich unterzutauchen. Was die Undurchlässigkeit von Grenzen angeht kennt man sich in Ostdeutschland aus. Auch wenn es nur die von zwei ostdeutschen Freistaaten ist. Diese Grenze war als Hindernis unüberwindlich für thüringische Ermittlungsbehörden. Auch ohne Maschendrahtzaun und lauernde Selbstschussanlagen gab es Gründe, die vor Jahren die Fahnder aus dem einen Freistaat daran hinderte den Zugriff im anderen zu wagen. An die genauen Gründe will man sich nicht öffentlich erinnern, denn dann könnte offenbar werden, dass die thüringischen Schützer und Bewahrer der Verfassung 2.000 Deutschmark für neue Pässe an Verbrecher sponserten oder die Polizei daran hinderten ihrer Arbeit nachzugehen.


Von Dresden nach Jena ist doppelt so weit. Macht nichts. Keine Anstrengung und keine Brüskierung der Nachbarn ist den harten Jungs - allesamt vermutlich selbsternannte leibliche Nachfahren von August dem Starken - zu groß, um sich aus dem Elbtal heraus in ungeahnte Höhen zu wagen, Ländergrenzen zu überwinden und einen jenaer Pfarrer in die Mangel zu nehmen, der sich im antifaschistischen Widerstand engagiert. "Da könnt ihr Erfurter Pappnasen, respektive Schlapphüte sehen, wo es lang geht in Mitteldeutschland".


Während also die sächsisch/thüringische Landesgrenze jenenser Neonazis vor dem Zugriff des Rechtsstaates schützt, lässt die Dresdner Staatsanwaltschaft Millionen Mobilfunkdaten zehntausender potentieller Antifaschisten mit Begründungen durchrastern, die sich am Rand der Rechtsstaatlichkeit bewegen. Und sie hält nach wie vor daran fest. Doch damit nicht genug. Nahezu zeitgleich wird dem Fraktionschef der sächsischen Linken von ganz besonderen Geheimräten am dresdner Hof, sprich dem Ausschuss des Landtages, welcher für die Immunität der Abgeordneten zuständig ist, eben diese Immunität aberkannt. Und das ausgerechnet mit der Stimme dieser unsäglichen NPD, die ihre enge Verwandtschaft mit den Massenmördern des Nationalsozialistischen Untergrundes kaum leugnen kann.

Ziel ist es es, dem Franktionschef der sächsischen Linken den Prozess zu machen, weil er evtl. im antifaschitischen Wiederstand eine Form des zivilen Ungehorsams gewählt haben könnte, die über die Auslegung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch die dresdner Staatsanwaltschaft hinaus geht.


In einer Zeit in der Faschisten mordend und raubend durchs Land ziehen, wird versucht denen, die sich diesem Treiben entgegen stellen den Prozess zu machen. Sind da Parallelen zum Fall Carl von Ossietzky zu weit hergeholt?

In machen politischen Ecken „Mitteldeutschlands“ scheint ein Geist zu wehen, ähnlich dem in der Endzeit der Weimarer Republik.

Aber vielleicht muss das so sein, wenn man seit 20 Jahren eine Region mit einem Namen versieht, als ob das Deutsche Reich noch immer in den Grenzen von 1937 bestünde oder man entgegen dem durchschnittlichen Menschenverstand Ostdeutschland nördlich von „Mitteldeutschland“ verortet.

Der Begriff „Mitteldeutschland“ war im Osten vor der Wende übrigens nicht mehr gebräuchlich. Den haben erstmals jene wieder in die Region getragen, die im Winter 1989/90 begannen wirre, kaltblütige oder zynische Ostdeutsche um sich zu scharen. Wie zum Beispiel heranwachsende Jenenser, die von dem schäbigen, vormundschaftlichen Staat in dem sie aufgewachsen sind so satt waren. Die vielleicht in Sandkästen gespielt hatten, in deren Nähe auf einer Bank ein netter Opa saß. Einer der mit leuchtenden Augen von einer tollen Zeit sprach. Jener bevor alles schäbig und vormundschaftlich zu werden begann. Als man mit Andersdenkenden noch kurzen Prozess machte, in dem man sie an Fleischerhaken aufhing, anstatt sie aus dem Knast freikaufen zu lassen. Einer Zeit die so toll war, dass man statt der geplanten 1.000 Jahre nur zwölf brauchte, um in die Ruinen- und Steinzeit zurück gebombt zu werden.


Ohne bei ihren Eltern noch Halt zu finden, die durch drohenden oder tatsächlichen Job- und Werteverlust zu Wendezeiten selbst zutiefst verunsichert waren, sind erhebliche Teile einer ganzen Generation ostdeutscher Jungendlicher alten Nazis und westdeutschen neofaschistischen Rattenfängern nachgerannt. Einige von ihnen wurden zu Monstern oder zu deren Unterstützern. - Auch ein Ausdruck dessen, was man den Menschen im Osten in den 90ern angetan hat.

Denn mit den Rattenfängern kamen auch jene in die Region, welche zu verantworten haben, auf welche Art und Weise im Osten Jobs und Werte geschliffen wurden. Sie verpassten drei Bundesländern nur zu gern wieder den Namen „Mitteldeutschland“, welcher bei Lichte besehen gar nicht mehr passt.

Dieser überkommene Name ist Ausdruck des Denkens und der Kultur der neuen Herren. Sie schleppten ihn aus einer Gegend ein, in der auf Wetterkarten und in Schulatlanten Deutschland noch lange Zeit bis kurz vor Warschau ging. Diese Sichtweise auf die Geschichte, ist nicht unendlich weit von der jener entfernt, welche für die Verwirklichung ihre Ideale radikaler vorgehen, als nur revisionistische Symbolik zu betreiben. Im Gegenteil. Diese ideologische Nähe ist ein geistiger Hintergrund dafür, dass es auch in „Mitteldeutschland“ Rechtsverweser gibt, die seit 20 Jahren kontinuierlich bei der Bekämpfung der faschistischen Gefahr versagen. Dafür sind sie bei der Verfolgung nicht gesetzeskonformer Antifaschisten scharf wie abgerichete Pitt Bull Terrier an den Ketten von Typen in Tarnhosen.


Diese Teile der aus Richtung der untergehenden Sonne ins Elbtal eingewanderten Rechtsstaatselite handeln nicht aus Unbedarftheit. Auch wenn der alte Name der Gegend in der sie sich niedergelassen haben - Tal der Ahnungslosen - das vermuten lassen könnte. Nein, Konservative und Faschisten teilen eine signifikante Anzahl von Werten. Und welche Krähe hackt der anderen schon ein Auge aus? Lieber stimmen CDU und NPD schon mal gemeinsam, wenn es gegen Links geht.

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