Über das Töten - Oder: Erbarmen haben heißt auch Sterben lassen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wir töten Tiere. Das ist weder schlecht noch gut, sondern ein Teil der Nahrungskette. Tiere töten ebenfalls Tiere, Um sie zu verspeisen. Es stellt sich die Aufgabe weniger Tiere zu töten um sie zu verspeisen, wenn wir die Erde im Gleichgewicht halten wollen.

Wir töten Tiere und versuchen, abgesehen von Kriegen und Ausbeutung, gleichzeitig unser Leben und das unserer Artgenossen immer weiter zu verlängern. Wir verlängern das Leben bis zur Demenz, dem Wachkoma, dem Siechtum.

Die Zeit scheint nicht mehr fern, bis wir die biologischen Funktionen des Organismus Mensch nahezu beliebig verlängern können. Wir werden die Grenze überschreiten ab der man das, was wir da Verlängern, nicht mehr korrekt mit Leben bezeichnen kann. Sinn macht dieses Verhalten nur für emotional beinträchtige Menschen - jene, die kein Erbarmen kennen und die anderen, welche an den funktionserhaltenden Maßnahmen verdienen. Also den Betreibern von Häusern in denen man die Menschen nicht sterben lässt, der Gerätemedizin und den Pharmakonzerne. (Selbstverständlich machen die Genannten ihr wesentliches Geschäft mit sinnvollen lebensunterstützenden Leistungen. Aber darum geht es an dieser Stelle nicht.)

Was wir heute aktive Sterbehilfe nennen, ist der Vorläufer eines erforderlichen kulturellen Wandels, der notwendig wird, da der medizinisch-technische Fortschritt - wenn auch als Nebeneffekt - in immer stärkerem Maße in der Lage ist, biologische Systeme künstlich am Funktionieren zu halten. Abgesehen davon, dass dieser Weg irgendwann nicht mehr finanzierbar sein wird, stellt sich die Frage, ob dies die Zukunft ist, die gesellschaftlich gewünscht wird.

Es geht hier nicht um Eugenik im Sinne lebenswerten und unwerten Lebens, sondern darum darauf hinzuweisen, dass die Gesellschaft irgendwann eine humane Antwort darauf finden muss, dass der Fortschritt die Mechanismen der natürlichen Selektion ausgehebelt hat. Wenn wir keine humane Antwort darauf finden, wird es immer weniger Menschen geben, die ohne Hilfe von Pharmakonzernen, Gerätemedizin und Betreibern von speziellen baulichen Einrichtungen leben können. Ohne einen kulturellen Wandel wird die Zukunft nicht mehr human sein, sondern außerhalb dessen liegen, was wir heute als erstrebenswert halten. Die Rede ist von einer Welt in welcher der Mensch, wie ihn die natürliche Evolution hervorgebracht hat und der sich biologisch fortpflanzt, nur noch am Rande vorkommt. Hybride Wesen - durch Technik, Genmanipulation und Gebrauchtorgane* am Sterben gehindert - werden als Folge des aufgehobenen biologischen Selektionsdruckes westlicher Bestandteil der Gesellschaft. Und ihre Existenz wird hohe Kosten verursachen. Wir haben die Wahl.

Abhilfe vor einer solchen- meiner persönlichen Auffassung nach - pervertierten Zukunft kann ein Wandel im Umgang mit dem Sterben bringen. Wir sollten das Sterben wieder enttabuisieren und als integralen annehmbaren Bestandteil des täglichen, familiären, betrieblichen, sozialen Miteinanders zulassen. Auch wenn dies emotional schwer ist, gehört es doch zum Leben dazu. Ob wir den Tod tabuisieren oder nicht.

Wir sollten es (wieder) lernen zu gehen, (wieder) lernen loszulassen. Wir sollten es akzeptieren, dass das Leben endlich ist und nicht einer kranken Unsterblichkeit nachjagen. Wir sollten es den Menschen an denen uns etwas liegt, ermöglichen in Würde Abschied zu nehmen und dies auch für uns selbst einfordern. Wir sollten anwesend sein, wenn diejenigen sterben, an denen uns etwas liegt. Wir sollten ihnen die Angst nehmen, ihnen über den letzten Atemzug hinaus zeigen, wie viel sie uns bedeuten.

Vielleicht wird die Floskel jemanden „die letzte Ehre zu erweisen“ einmal genau dies meinen, anstatt an einem Grab zu stehen. Ich bin mir sicher, vom Erstgenannten haben die Sterbenden mehr, als davon endlos lang an Apparate angeschlossen zu sein und einsam verwahrt zu werden.

Falls wir erkennen, dass es im Sinne einer humanen Zukunft erforderlich ist, mit den eigenen Mitmenschen so umzugehen, wenn sie sterben, dann gelingt es uns vielleicht auch bei den Tieren, deren Tötung unausweichlich ist, ihnen den Respekt zukommen zulassen, der ihnen Leiden, Demütigung und Schmerzen erspart und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass ihre Art erhalten bleibt. Wenn wir es schaffen die biologische Vielfalt - einschließlich unserer eigenen Art - auf unserem Planeten zu erhalten, dann werden wir der Aufgabe, die uns durch die Evolution zugefallen ist, gerecht.

*… Damit keine Irritationen aufkommen: Der Autor ist Besitzer einer Organspender-App

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden