Der kaukasische Vorhang

TSCHETSCHENIEN Wozu ein Krieg, den Russland nicht gewinnen kann?

Auf Grosny fallen wieder Bomben. Russische Bulldozer arbeiten an der Aufschüttung eines »Cordon sani taire«, eines Erdwalls und Todesstreifens rund um Tschetschenien. Den Süden der Republik soll, wenn es nach Moskauer Wünschen geht, Georgien abdichten. - Dieser neue imperiale Anfall Moskaus wurde seit langem befürchtet: Zu faul war der Waffenstillstand von 1996, zu viele Fragen blieben offen, allen voran die, welchen Status Tschetschenien zukünftig einnehmen sollte. Noch schlimmer war, dass Moskau die zerbombte Region seit dem Waffenstillstand ihrem Schicksal überließ, keinerlei Wiederaufbauhilfe leistete, wie vereinbart, sondern diesen Raum im Gegenteil auch noch wirtschaftlich isolierte.

Illegale Geschäfte, Betrug, Raub, Erpressung - Methoden, die auch im übrigen Russland durchaus anzutreffen sind, entwickelten sich in Tschetschenien unter solchen Bedingungen zur alleinigen Überlebensstrategie auch der staatlichen Organe. Bewaffnete Banden zapfen regelmäßig Pipelines an, die vom Kaspischen Meer durch tschetschenisches Gebiet nach Norden führen. Das Öl wird verschoben. Alle Versuche, den illegalen Handel zu unterbinden, sind bisher gescheitert. Kidnapping entwickelte sich zur zweitwichtigsten Einnahmequelle. Hunderte Menschen mussten sich in den vergangenen Jahren gegen hohe Summen auslösen lassen; darunter hohe Funktionsträger der russischen Regierung. Die tschetschenische Republik, obwohl an Verständigung mit Moskau und den angrenzenden süd-russischen Republiken interessiert, konnte die Infrastruktur des Landes nur aufrechterhalten, indem sie allen Protesten der Geschädigten zum Trotz seit Jahren Öl, Gas und Strom ohne Gegenleistung aus den Versorgungsnetzen der Nachbarn entnimmt.

Zu all dem kommen fortwährende Nadelstiche religiöser Extremisten, die den Heiligen Krieg gegen die »russischen Kolonisatoren« ausgerufen haben. Da passen die Bombenanschläge auf russische Wohnhäuser, selbst wenn sie - wie gut möglich - nicht auf das Konto der Islamisten gehen, nur allzu gut ins Bild.

Immer wieder wurde in der russischen Presse ein erneutes Aufflammen des tschetschenischen Krieges beschworen. Und doch haben die vielen Zwischenfälle seit 1996 nicht gereicht, die Moskauer Spitze in ein neues kaukasisches Kriegsabenteuer zu treiben, denn ihren Strategen ist klar, dass eine derartig Konfrontation nicht siegreich beendet werden kann. Russland besitzt weder militärisch noch politisch die Kraft, den Kaukasus erneut in einen imperialen Verbund zu integrieren. Bleibt die Frage, wer Interesse an dieser Eskalation hat. Dabei sind verschiedene Konfliktlinien erkennbar. Die erste führt direkt in die russische Führung. Sie braucht ein Ventil, um von dem Bankrott ihrer Politik abzulenken, gegebenenfalls auch einen Notstand zu begründen. Die Stilisierung der Tschetschenen zum kollektiven Terroristen, der den Bestand der Nation bedroht, nützt einer solchen Strategie.

Die zweite Linie führt in die undurchsichtigen Gefilde von russischer Mafia und russischem Kapital. Da die Sicherung der Pipelines durch Tschetschenien nicht mehr möglich sei, werden - wie es heißt - »in Kreisen der russischen Energiewirtschaft« Pläne erwogen, neue Trassen zu bauen, die Tschetschenien umgehen. Die aber müssten durch Dagestan nach Norden geführt werden. Eine dritte Linie führt ins Ausland: Da sind zum einen ausländische Ölfirmen, die das Kaspi -Öl nicht über Russland, sondern über die Türkei ausführen möchten. Denen kommt eine permanente Destabilisierung des süd russischen Raumes mehr als gelegen. Von einigem Gewicht ist auch die vor allem von Washington verfolgte Strategie, eine Front des christlich-abendländischen Kulturraumes gegen den Islam und - noch dahinter liegend - gegen die »gelbe Gefahr« zu formieren. Diese Linien treffen sich im Kaukasus und beschwören an Stelle des Eisernen, nun das Gespenst eines Kaukasischen Vorhangs herauf.

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