Vorspiel

RUSSLAND IM KOSOVO Jelzin zwischen Abhängigkeit und Aufbruch

US-Präsident Clinton ist des Lobes voll, und der deutsche Kanzler dankt den Russen. Ohne sie wäre man nicht soweit gekommen, erklärt er. Wie weit das sein mag, wird sich zeigen. So viel aber ist sicher: Es wurde lange nicht so viel diplomatisches Holz geraspelt, während gleichzeitig die militärische Gewalt eskalierte.

In diesem Krieg ging es schon lange nicht mehr um die Lösung humanitärer Probleme im Kosovo. Ebensowenig hakten die Verhandlungen an humanitären Sachfragen. Die wären schnell zu lösen gewesen, wenn sich die kriegführenden NATO-Staaten bereit erklärt hätten, die Vertriebenen vorläufig und unbürokratisch bei sich aufzunehmen.

Es ging vielmehr um die Neuordnung der Beziehungen zwischen Rußland und der westlichen Welt, um die Neuorientierung Deutschlands zwischen Amerika und Rußland. Kurz, um die Herstellung einer neuen Ordnung zwischen den Völkern nach dem Kalten Krieg. Und hier liegt der Teufel in der Tat im Detail.

Die Position der USA ist klar: Sie verstehen sich als Sieger der langjährigen Systemkonkurrenz und versuchen am Beispiel des Kosovo nun das Erbe global zu stabilisieren. Die erkennbare Unterwerfung von Milosevic unter das Friedensdiktat der NATO ist für sie unerläßlich; sie hat demonstrativen Charakter gegenüber allen, die diese Ordnung nicht anzuerkennen bereit sind.

Die eigentlichen Adressaten aber sind Rußland und China, die eine von den USA diktierte Ordnung schon durch ihre bloße Existenz in Frage stellen. Darüber hinaus haben sich beide Staaten erst in den letzten Tagen wieder demonstrativ gegen die »unipolaren« Vorstellungen der USA gewandt und eine stärkere Kooperation bei der Schaffung einer multipolaren Welt vereinbart.

Die jüngste chinesisch-russische Deklaration ist nicht die erste dieser Art, und es gibt auch keinen Grund, sie als aggressiven Schritt zu bewerten. Zumal solche Erklärungen allein durch die wirtschaftliche Abhängigkeit beider Staaten von den USA und der von ihr dominierten westlichen Allianz konterkariert werden.

Gerade jetzt befindet sich Rußland in hochnotpeinlichen Verhandlungen mit dem Londoner Club, einer Gruppe von cirka 600 Privatbanken und Investoren, um die fällige Rückzahlung von Kreditschulden in Höhe von 578 Millionen Dollar. Angeschlagen durch den Bankenkrach vom Vorjahr ist Moskau zudem außerstande, seine Gesamtschulden von 150 Milliarden Dollar zu tilgen. Der einzige Ausweg wäre die Bereitschaft des IWF, schon lange versprochene, aber immer wieder zurückgehaltene Raten von 4,5 Milliarden Dollar jetzt auszuzahlen.

Vor diesem Hintergrund bekommt Rußlands Haltung in diesem Krieg sein Gesicht. Einerseits begreift man sich als Objekt der NATO-Strategie und als Anwalt einer neuen, multipolaren Welt. In den Auftritten der Opposition, die keine Rücksicht auf internationale Verhandlungspartner nehmen muß, kommt das unmißverständlich zum Ausdruck, wenn sie zum Widerstand gegen die »Aggression der NATO« und zu einer aktiven Rolle Rußlands in der Weltpolitik aufruft. Andererseits ist Rußland selbst an der Stabilität der bestehenden, vom Westen dominierten Ordnung interessiert, weil sein Überleben davon abhängt.

Ausdruck dieser Lage Rußlands zwischen amerikanischer Abhängigkeit und multipolarem Aufbruch ist die diplomatische Doppelstrategie Boris Jelzins, der einerseits den »Westler« Tschernomyrdin, andererseits den »Ostler« Iwanow einmal mit-, einmal gegeneinander agieren läßt. All das heißt: Dieser Krieg war für die russische Politik lediglich ein Vorspiel.

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