In Berlins Mitte, schräg gegenüber der Komischen Oper, parkt eine venezianische Gondel auf dem Trottoir. An der Fassade des Eckhauses hängt ein rot-weißer Rettungsring, wie an einer Spreebrücke etwa, und auf einem schmalen Balkon stehen zwei grüne, aus Stoff genähte Witwen, sie tragen einen Sonnenschirm. Ein Spruchband verkündet: Fundusverkauf.
Seit etwa sieben Jahren gibt es den hier. Quasi das Gegenteil einer Sekundärrohstoff-Annahmestelle. Die Öffnungszeiten sind schwer zu enträtseln. Aber heute stehen die Türen offen. Russische Spediteure tragen Möbel aus dem Haus, immer an der Gondel vorbei, einen ganzen Lkw voll. Vielleicht stammt die Barke, die ihnen da im Weg steht, ja aus einer Inszenierung von Hoffmanns Erzählungen vis-à-vis? "Schöne Nacht, du Liebesnacht, süßer als der Tag uns lacht die schöne Liebesnacht." Wer weiß.
Theater- ja, wie eigentlich? -fundusse? -fundi? Nein, es heißt auch in der Mehrzahl Fundus. Also: Theaterfundus sind Abenteuerplätze. Auf einer Tapetentür etwa steht hinten drauf "Hamlet III/10". Das ist dann die Wand, durch die jeden Abend der neugierige Polonius erstochen wird. Oder an einem Sessel hängt ein Zettel: "Galilei, stehen lassen, spielt noch". Oder unter eine Tischplatte ist weiß gepinselt: "Faust ABK" - Auerbachs Keller. Der Tisch ist dann der, aus dem aufs Zauberwort hin Wein fließt.
Hier nicht. Hier fließt kein Wein, kein Blut, was hier steht, hat ausgespielt. Die Möbel und Requisiten stammen aus abgesetzten Inszenierungen, abgedrehten Filmen. Ein künstlicher Elchkopf grüßt. Eine Garderobenstange voll knisternder Kleider steht da. In einer Ecke lehnt ein Damenunterleib, ein halbiertes Fahrrad gibt es auch. An der Wand ein gefälschter Van Gogh, in einer Vitrine ein Paar amputierter Füße. Die Galionsfigur eines Schiffes, das ungetauft blieb und nie zu Wasser kam, träumt von hohem Meer und salzigem Wind. Ein Aushang verspricht: "Alle Preise werden reduziert, fragen Sie unser Team."
Ein französisches Ehepaar und drei Schwaben begutachten die Utensilien. Die Franzosen überlegen, ob der Porzellanpapagei, den sie in Händen halten, wohl ein "Rauchfänger" sei, und die Schwaben beraten auch irgendwas, aber deren Sprache verstehe ich nicht.
Ich steige in den ersten Stock. Hier ist Schluss mit Pappmaschee und Ramsch. Schreibtische, hohe Spiegel, herrschaftliche Stühle, Lüster. Alles sorgfältig gefertigt à la Biedermeier oder Louis XV. Kaum etwas unter tausend Euro. Sogar ein ganzes Bühnenportal kann man kaufen, 14 mal 6 Meter groß, hier natürlich nur als Foto zu sehen. Die Möbel stammen von der Bavaria in München, aus dem Deutschen Theater Berlin, dem Schauspielhaus Hamburg, wer weiß, woher noch.
Dort, dieser Schreibtisch, hat daran nicht letztens Matthias Schweighöfer als junger Schiller gesessen und sich genialisch und ungestüm die Locken gerauft - so, wie man das als junger, genialischer, ungestümer Schiller halt so macht? Machen muss! Heißt ja Sturm und Drang.
Und da, in diesem Sessel, lümmelte da nicht kürzlich noch Albert Speer alias Sebastian Koch? Oder war es der andere, der, na, wie hieß er gleich, Stauffenberg, Richard Oetker, Klaus Mann, immer alles Sebastian Koch? Wurscht. Der Sessel ist jedenfalls so was von schick, wenn er nicht 900 Euro kosten würde, wär´ er jetzt mein.
Ich bescheide mich stattdessen mit einem auf Leinwand gemalten alten Filmplakat, Hitchcocks Rear Window. Grace Kelly guckt zwar doof wie Hera Lind, aber das ist ja der Reiz solcher Bilder.
Apropos Fenster zum Hof. Als ich das Bild zu Hause an die Wand nagele, fällt mein Blick nach draußen. In unserem Hof türmt sich der Müll. Wir haben keinen Hausmeister. Nur in den Nebenkosten der Wohnung taucht er pünktlich ein Mal pro Jahr auf, genauso rätselhaft und heimlich wie der Fahrstuhl, den es auch nicht gibt. Der Müll dagegen erscheint mehr als ein Mal pro Jahr und nicht rätselhaft und nicht heimlich, sondern nachts und mit lautem Geschepper. Immer, wenn ein Mieter auszieht, wächst der Haufen besonders schnell.
Heute war es mal wieder soweit, eine Seilwinde hing vom Balkon, vor dem Haus stand der Umzugswagen. Was da nicht rein passte oder mit sollte, geriet auf den Haufen im Hof.
Weil es in dem Müll jetzt knispelt und raschelt und kramt, blicke ich nach draußen und sehe die Nachhut der Möbelträger. Jene waren stattliche Araber, die unzählige Kartons das Treppenhaus hinunter schleppten und diverses Mobiliar mit lauten Kommandos vom Balkon seilten. Stolze Kapitäne ihrer Fracht. Jetzt sind ihre Frauen dran. Mit Kopftüchern bekleidet und im Dunkeln durchforschen sie, was liegen blieb. Aschenputtel bei der Arbeit. Ein Hometrainer, ein Spiegelschrank, eine Schreibtischlampe werden als gut befunden und aussortiert. Wieder zeigt sich: Müll ist Ware. Und über Werte lässt sich streiten.
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