Es soll ja Momente geben, wo man dem Weltgeist quasi ins Auge blickt. Seinen Atem spürt. Wo man kosmische Gefühle hegt. Sozusagen. Einmal zum Beispiel stand ich in New York auf dem Bürgersteig, da standen die Zwillingstürme noch, der Himmel war blau und ein steifer Wind wehte mir entgegen. Ich legte den Kopf in den Nacken, der Schlagschatten des World Trade Centers fiel mir zur Hälfte aufs Gesicht, links hatte ich Sonne, rechts Schatten. Ich stand im Gewühl der Passanten, unter meinen Füßen fuhr lärmend die U-Bahn durch. Langsam wanderte der Schatten. Kletterte von meiner Nase zu meinem linken Auge und hinüber zum linken Ohr. Die Sonne verschwand hinterm Tower, es wurde kühler, langsam aber spürbar. Die Erde fuhr durchs All. Stehend, wie es Artisten auf den Rücken ihrer Pferde tun, ritt ich. Das Gepolter der Metro unter mir mochte das Gerumpel sein, das der Planet veranstaltet, wenn er durchs All rast. Wie die Kugel auf einer alten, schon lange bespielten, holprigen Kegelbahn. Ich stand da, fuhr die Reise mit. Wenige Monate später fielen die Türme.
Aber solche Augenblicke sind selten. Manche beten deshalb zu irgendwelchen Göttern oder essen spezielle Pilze, um sich dem Weltganzen verbunden zu fühlen. Beides ist nichts für mich. Allein die Angst, wenn man auf einen Horrortrip kommt. Ich hab einen anderen Plan. Wenn es auch nicht der Kosmos ist oder Gott, den ich umarmen werde - wenigstens von der viel gepriesenen Globalisierung will ich was abhaben.
Ich hab einst schon die berühmte Sonnenfinsternis verpasst, von der alle Welt redete. Sie erinnern sich? Der Himmel über Berlin war bedeckt an dem Tag. Nur in Stuttgart soll es sonnig gewesen sein. Sogar die Vögel gerieten aus dem Konzept, und die Kühe machten ein Nickerchen. Allerdings eben nur in Stuttgart, wie gesagt. Naja. Ein Jahr später nach Afrika zu fahren, fehlte mir das Geld. Also mit Sonnenfinsternissen ist es vorbei. Mein Leben wird nicht lang genug sein und meine Geduld nicht ausreichen, um noch eine abzupassen. Grad mal den Halleyschen Kometen hab ich zu sehen gekriegt, aber das ist nun auch schon wieder viele Jahre her. Es war morgens, es war noch dunkel, und ich war betrunken. Wer weiß, was ich wirklich gesehen habe.
Die Sehnsucht nach solchen Gefühlen, sie bleibt. Ich setze jetzt eher auf Enten.
Es ist Freitagabend. Ich lass mir eine Wanne ein. Kippe Salz vom Toten Meer dazu. Zünde ein paar Kerzen an. Außerdem hab ich einen Schwamm, der auch aus den Tiefen irgendeines Ozeans stammt. Ich gleite in das warme Wasser. Jetzt kommt die Ente ins Spiel. Sie quietscht, wie es sich für eine Badeente gehört. Allerdings ist sie sonnenbleich, fast weiß, und ein bisschen angenagt. Ich fand sie am Ostseestrand. Ich mache ein paar Wellen in meiner Wanne, damit die Ente und ich uns wohl fühlen. Schließe die Augen, meine Gedanken gleiten. Mein Leben wohnt nicht in mir, sondern weit weg. In einem verschlossenen Berg ist ein Teich, auf dem Teich schwimmt eine Ente, in der Ente ist ein Ei, in dem Ei brennt ein Licht ...
Vor 15 Jahren, am 10. Januar 1992, geriet im westlichen Nord-Pazifik ein chinesisches Containerschiff in Seenot. Mindestens ein Container ging kaputt und kippte über Bord, voller Badewannenspielzeug. Dreißigtausend Plastikenten, Biber und Frösche sollen seither als Treibgut auf allen Weltmeeren unterwegs sein, schaukelnd und wippend und den Wettern zum Trotz. Tausende Frösche und Enten wurden bereits an verschiedene Küsten angeschwemmt. Sie geben Forschern quakend und quietschend Auskunft über die Meeresströmungen, von denen sie herangetragen wurden. Hochwissenschaftliche Prophezeiungen sagen, dass die Tiere zum Beispiel demnächst, wenn sie den Pazifischen Ozean im Uhrzeigersinn umrundet haben werden und über den Nordpol Richtung Süden in den Atlantik gedriftet sind, in Cornwall und vor der Südwestküste Englands stranden. Mal sehen.
Natürlich kann man diesen ganzen Plastikmüll auch zum Kotzen finden. Wie die Styroporkügelchen, die auch auf allen Wassern dieser Welt unterwegs sind. Ich nicht. Ich studiere aufmerksam die Zeitungen unter der Rubrik "Vermischtes", um keine Neuigkeit in der Enten-Sache zu verpassen.
Mein bleiches Tier lief, wie gesagt, am Ostseestrand auf Sand. Ich bin Hundertprozent sicher, dass es eine von den berühmten Treibgut-Enten ist. Man erkenne sie daran, heißt es, dass sie einen Aufdruck der amerikanischen Firma The First Years trügen. Auf meiner steht nichts. Egal. Es muss mich nicht kümmern. Wie eine Flaschenpost kam sie zu mir. Ich entdeckte sie. Meine weiße Ente. Sie hat schon Hänsel und Gretel nach überstandenen Abenteuern einst nach Hause getragen. So mitgenommen sieht sie jedenfalls aus.
Ich lass jetzt das Wasser raus.
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