Die Werbekampagne „Supergeil!“ mit Friedrich Liechtenstein ist noch in aller Munde, da hat der Künstler seinen Erfolg, der für den wahren Künstler ja immer auch etwas schal ist, schon in einem traurigen Song aufgearbeitet. Seine Traurigkeit ähnelt der Melancholie von Pete Campbell aus der US-amerikanischen Serie Mad Men. „It´s all about what it looks like, isnt´t it?“, sagt der ehrgeizige Werber einmal. Alles nur Oberfläche? Die Filmhistorikerin Daniela Sannwald ist dieser Grundfrage nachgegangen, nun ist ihr Buch Lost in the Sixties. Über Mad Men im Pocketformat bei Bertz + Fischer erschienen.
Die Idee zum Edeka-Spot stammte von der sehr smarten Hamburger Agentur Jung von Matt. Noch smarter sind bekanntlich die Männer der fiktiven Agentur Sterling Cooper an der Madison Avenue in New York. Autor und Produzent Matthew Weiner schrieb das Drehbuch zu Mad Men bereits im Jahr 2000. Und obwohl sich Weiner schon durch die Mitarbeit bei Sopranos empfohlen hatte, lehnten die HBO-Leute (die mit dem guten Instinkt) sein Drehbuch ab. So landete die Serie beim US-Kabelsender AMC, in Deutschland bei FOX und ZDFneo. Lief dort vielleicht gar nur die erste Staffel? Weiß es nicht. Ach Fernsehen...
Nach harzigem Start wurde Mad Men dann in seiner Bedeutung erkannt und preisgekrönt, den Golden Globe gab es 2008, gleich viermal hintereinander – von 2008 bis 2012 – bekam man den Emmy als „Beste Dramaserie“. Jeder Zuschauer spürt: Die Soap ist mehr als nur lakonisch und cool, aber worin besteht dieses „Mehr“? Daniela Sannwald nähert sich der Frage über die Protagonisten. „Es ist diese Generation in Mad Men, vor allem repräsentiert durch die Kinder Sally und Bobby Draper und den Nachbarjungen Glen, die den Kult um die Serie auslöste.“ Auffällig ist jedenfalls, dass der typische Mad Men-Zuschauer (wie Autor Weiner) in den Babyboomerjahren geboren wurde, als die Eltern dem Kapitalismus ja noch exzessiv huldigten. Sally, Bobby und Glen sind quasi die älteren Geschwister der Generation Golf. Kinder, die man ohne großes Schuldbewusstsein vernachlässigte oder permanent maßregelte. Unzählige Male befiehlt die Mutter dem Sohn: „Bobby, go and watch TV!“ Denn Betty, die Frau der Hauptfigur Don Draper (Jon Hamm), hat in Suburbia alle Hände voll zu tun: viel Beauty, bisschen Küche, Reitstunden, Kette rauchen. Die Freundinnen tun es ihr gleich. Die handsome men arbeiten derweil auf der Überholspur, Zigaretten, Whiskey, alles exzessiv. Zum Ausgleich leistet man sich, öfter im stillen Einverständnis mit der Gattin, Affären – einmal muss man schließlich den Kopf frei kriegen.
Der Vietnamkrieg
Nun liegt das Umwerfende an Mad Men eben gerade nicht, oder nicht nur im charmanten Ausstellen von Oberflächen, nicht nur im look der Büros, Kreativen und Sekretärinnen, die unsere Mode und Popkultur geprägt haben. Überragend ist die Serie vielmehr darin, wie sie die kleine Welt der Agentur durch die Geschichte der sechziger Jahre manövriert. Zeitgeschichtliche Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen werden teils wie in einem Zerr-, teils wie in einem Brennspiegel refelektiert: Die Wahl Kennedys zum Präsidenten, die I-have-a-dream-Rede von Martin Luther King, Homophobie, Feminismus, der Vietnamkrieg und der Rassismus.
Kundig, aber auch etwas bemüht, vergleicht Sannwald die amerikanische und die deutsche Geschichte: Während in den USA mit John F. Kennedy der jüngste Präsidentschaftskandidat der Geschichte regiert, haben wir in der Bundesrepublik den steinalten Adenauer. Die Wirtschaftswundermentalität zwischen Euphorie, Doppelmoral und Depression hat dennoch viele Ähnlichkeiten.
Aber die Autorin nähert sich ihrem Gegenstand dann doch primär über die Story, und erklärt, wer sich an wem abarbeitet: Die stille Generation an der verlorenen Generation, die Newcomer an den einstigen Visionären, die ersten Powerfrauen an den unverbesserlichen Chauvinisten. Es bleibt die Frage: Lieber Herr Truffaut, äh, Weiner, wie haben Sie das gemacht?
Die Antwort findet man besser in einem Aufsatz von Annette Kaufmann, der in dem Sammelband Ich kenne dich besser als mich selbst. Serienromane amerikanischer Herkunft (text + kritik, 2013, S. 14-28) erschienen ist. Und Hitchcock spielt hier tatsächlich eine Rolle. Mad Men, so erfährt man, orientiert sich weniger an aktueller Kinoästhetik (wie zum Beispiel The Wire), als vielmehr an der visuellen Eleganz des Großmeisters.
Überstilisiert
Das fängt schon beim Vorspann an. Womanizer Draper sieht Cary Grant schon sehr ähnlich, Ehefrau Betty verkörpert eine Vorstadt-Grace-Kelly. Draper umgibt diese geheimnisvolle Aura, weil man ihn häufig von hinten filmt und in einen Rahmen gesetzt hat. Und anders als üblich für Serienformate wird nur eine Kamera verwendet, wodurch eine Intimität entsteht, die irgendwie süchtig macht. Folgerichtig auch, dass „richtige“ Marken verwendet werden: Lucky Strike, Samsonite, Clearasil. Ein weiterer Kunstgriff ist die Überstilisierung des Authentischen, denn selbst in den 60er Jahren waren ja die Büros nicht ausschließlich stilgetreu möbliert. Bei einem Casting fiel wohl aber eine Schauspielerin durch, weil sie „unzeitgemäß“ die Lippen mit Collagen gespritzt hatte.
Kaufmann erklärt unsere Faszination mit dem „wissenden“, retrospektiven Blick, der die Erzählweise der Serie prägt. In Mad Men rauchen die Schwangeren und der Frauenarzt im Behandlungszimmer. Der Zuschauer weiß natürlich, dass man den ungesunden Lebensstil heute ächtet, er weiß auch, wie man Diskriminierung und Rassismus heute diskutiert. Pornografisch nennt Weiner unseren Blick, wenn wir darauf schauen, was Gott sei Dank (oder bedauerlicherweise) nicht mehr gesellschaftsfähig ist, und wenn wir genüsslich (oder melancholisch) der Dekonstruktion des Mannes zusehen. Insofern stand der Claim, mit dem ZDFneo die Serie seinerzeit ankündigte, nur halb auf Diskurshöhe: „Hinter jeder erfolgreichen Frau steht ein Mann – der ihr auf den Arsch glotzt.“
Lost in the Sixties. Über Mad Men Daniela Sannwald, Fischer + Bertz 2014, 148 S., 9,90 €
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