Es ist Donnerstagnachmittag, die Sonne scheint auf eine große grüne Wiese, auf der mehrere Zelte aufgebaut sind. Aus einem rot-weißen Zirkuszelt kommt ein Mädchen mit langen blonden Locken. Jana Boltersdorf ist 17 Jahre alt; und wäre morgen ein gewöhnlicher Freitag, würde sie nicht zur Schule gehen, sondern mit den „Fridays for Future“ für die Einhaltung der Pariser Klimaziele demonstrieren.
Aber der anstehende Freitag ist in Köln ein Feiertag, und außerdem findet im Rheinland das Klimacamp von „Ende Gelände“ statt – dem Bündnis, das den sofortigen Ausstieg aus der Kohle fordert. Jana teilt diese Forderung und ist bereits auf dem Camp in Viersen.
Gerade hat ein großes Plenum stattgefunden. Etwa 1.000 Menschen sind schon auf dem Gelände und haben ihre Zelte aufgebaut. Es ist das vierte Jahr in Folge, in welchem das Bündnis Ende Gelände ein Protestcamp organisiert. Die Klimabewegung wird immer professioneller. Bereits im Vorfeld des Wochenendes gab es viel Pressearbeit, drei Pressesprecherinnen sind stets für Journalistinnen und Journalisten zu erreichen, das Bündnis hat viele eigene Mitteilungen veröffentlicht. Mit Videos haben die InitiatorInnen für die Teilnahme an den Blockaden im Rheinland mobilisiert.
Jana ist nicht zum ersten Mal dabei. „Ich war schon bei Ende Gelände, bevor es die Fridays for Future gab“, erzählt sie. Doch aus ihrer Ortsgruppe Köln seien viele SchülerInnen neu bei Ende Gelände und wüssten noch nicht, ob sie sich an den Aktionen des zivilen Ungehorsams beteiligen wollten. Jana schätzt, dass etwa 20 Mitglieder der Fridays for Future aus Köln mit nach Viersen gekommen sind.
Für die Gymnasiastin ist sonnenklar, dass sie sich an den Protestaktionen von Ende Gelände beteiligen und in einem der verschiedenen Finger mitlaufen wird. Nach der Fünf-Finger-Taktik legt man eine Hand auf eine Karte und plant verschiedene Demonstrationszüge. Je mehr Gruppen unterschiedliche Wege laufen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass alle auf die Polizei treffen. Dieses Jahr hat Ende Gelände so viele TeilnehmerInnen, dass es für sechs Finger reicht. In jedem laufen mindestens 500 Menschen mit.
Das Ziel aller Finger ist es, die Kohleinfrastruktur zu blockieren. Jana ist bereit, dafür das Gesetz zu brechen. „Das ist notwendig, um ein klares Zeichen gegen die Klimapolitik zu setzen“, sagt sie. Angst vor Polizeigewalt habe sie nicht. „Durch die Aktionstrainings und meine Erfahrungen aus den Blockaden 2018 im Hambacher Forst und 2017 in der Lausitz fühle ich mich gut vorbereitet.“ Die 17-Jährige kommt nicht aus einem grünen Haushalt, ihre Mutter habe früher sogar die CDU gewählt. Seit sie sich politisch engagiere, habe auch bei ihren Eltern ein Umdenken stattgefunden, ihre Mutter wähle nun die Grünen. „Aber das reicht natürlich nicht. Die Ziele von Ende Gelände sind viel weitfassender als die der Grünen.“
Die Fridays for Future haben explizit nicht zu Aktionen des zivilen Ungehorsams aufgerufen, sondern eine Großdemonstration in Aachen angemeldet. Zu dieser kommen laut Veranstalter 40.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Im Anschluss besuchen einige auch Mahnwachen des Bündnisses „Alle Dörfer Bleiben!“. Dieses setzt sich dafür ein, dass kein Ort aufgrund des Kohleabbaus umgesiedelt werden muss. Wenngleich die SchülerInnen nicht öffentlich für Ende Gelände mobilisierten, haben sich viele von ihnen dafür entschieden, am Protestcamp teilzunehmen.
Auf dem Camp in Viersen ist die Verjüngung der Klimabewegung deutlich zu sehen, besonders im Vergleich zum ersten Protestcamp, das Ende Gelände 2015 in der Nähe von Erkelenz im Rheinland durchführte. Alexis Passadakis bestätigt diesen Eindruck. Der 40 Jahre alte Mann hat lange schwarze Haare und einen Kinnbart. Er ist seit der ersten Stunde bei Ende Gelände dabei. 2007 und 2008 hat er auch Vorläufer der Camps mit organisiert. In den vergangenen Jahren hätten sich Menschen, die älter als 40 und 50 Jahre sind, aus der Bewegung zurückgezogen. Doch dafür seien neue nachgekommen.
Am Samstagmittag sitzt Passadakis auf den Gleisen unweit des Kraftwerks Neurath des Energiekonzerns RWE, das der grüne Finger seit Freitagabend blockiert. Kein Kohletransporter kommt mehr zum Kraftwerk, das Ziel der Aktivisten und Aktivistinnen, dass das Kraftwerk seine Leistung drosseln muss, scheint greifbar. „Bei Ende Gelände funktioniert es sehr gut, dass erfahrene Mitglieder ihr Wissen an neue Menschen abgeben, davon lebt die Bewegung“, sagt Passadakis. Deswegen sei diese auch sehr offen und wachse stetig an. Schüler und Schülerinnen der Fridays for Future könnten sich gut anschließen. Bei dieser Bewegung vermisse er jedoch eine Verbindung der Kritik an der Klimapolitik mit Kritik am Kapitalismus. Zudem befürchtet Passadakis, dass die Bewegung von den Grünen vereinnahmt werden könnte.
„Zu wenig People of Color“
Auch SchülerInnen vermissen bei Fridays for Future Kritik am Kapitalismus. Zwei Jungen, die im roten Finger von Ende Gelände mitgelaufen sind, erzählen unweit der Abbruchkante des Tagebaus Garzweiler in der Nähe von Jackerath von ihren Erfahrungen bei den freitäglichen Demonstrationen. Eigentlich wollte der Finger in die Grube, aber nicht alle haben es geschafft. In einem von der Polizei gekesselten Kreis sitzen etwa 200 AktivistInnen.
Zwei von ihnen sind Johnny und Che. Wobei dies nicht die richtigen Namen der Schüler sind. Die wollen sie lieber nicht in der Zeitung lesen und geben daher diese Pseudonyme an. Beide kommen aus München und waren dort bei den Fridays for Future aktiv.
Johnny ist 18 Jahre alt und hat sein Mandat als Delegierter bei Fridays for Future kürzlich aus Kritik abgegeben. Er trägt kurze schwarze Haare und hat eine schwarze Hautfarbe. Bei den SchülerInnenprotesten gab es ihm „zu wenig People of Color“, außerdem sei die Bewegung geprägt von „sehr wohlständigen“ Menschen. Beide Punkte seien bei Ende Gelände besser. Ein anderer Kritikpunkt war, dass sich Fridays for Future nur für die Einhaltung der Pariser Klimaziele einsetze. Das reiche ihm nicht. Johnny ist zum ersten Mal bei einem Klimacamp und beteiligt sich auch zum ersten Mal an Aktionen des zivilen Ungehorsams, die über das Fehlen in der Schule hinausreichen.
Sein Freund Che hat lange blonde Haare, einen längeren Bart und ist 19 Jahre alt. Seit Dezember letzten Jahres engagierte er sich mit viel Zeitaufwand bei Fridays for Future, was sich auf seine Schulleistungen auswirkte. Mittlerweile hat er beschlossen, die Schule vorerst nicht abzuschließen. Kurz vor den Abiturprüfungen brach er ab. „Mir ist es wichtiger, ein gesundes, anderes Leben zu führen, und deswegen bin ich in den Hambacher Forst gezogen“, sagt Che. Seit zwei Wochen lebt er in den Bäumen.
Ende Mai nahm er an den Protesten von „Ende Geländewagen“ in Wien teil, einem Bündnis, das zu Ende Gelände gehört und sich für autofreie Städte einsetzt. Bei der Demonstration setzte die Polizei massiv Gewalt ein. Es war der erste Kontakt, den Che mit Ende Gelände hatte, doch abgeschreckt hat ihn diese Erfahrung nicht.
Wenngleich es Johnny und Che nicht in die Grube geschafft haben, so sind sie doch nah herangekommen und scheinen mit ihrer Protesterfahrung zufrieden zu sein. Nike Mahlhaus, Pressesprecherin von Ende Gelände, zieht ebenfalls eine positive Bilanz über die Beteiligung der Fridays for Future an den Protestaktionen: „Ich denke, wir sind durch dieses Wochenende zusammengewachsen und werden auch in Zukunft gut zusammenarbeiten“, sagt Mahlhaus.
Radikalisierung?
Von den Fridays for Future heißt es offiziell, man könne nichts dagegen tun, wenn sich SchülerInnen dafür entschieden, sich an den Blockaden von Ende Gelände zu beteiligen. Nach einer Radikalisierung der ganzen SchülerInnenbewegung klingt das noch nicht. Das Potenzial dafür gibt es nach dem vergangenen Wochenende im Rheinland aber allemal.
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