Es ist so eine Metapher, die bis heute vor allem Wissenschaftler mögen und an die sich das Publikum leider auch schon gewöhnt hat: Wer etwas über Forschung schreibt, hat in allererster Linie Dolmetscher zu sein. „Komplizierte Sachverhalte anschaulich darstellen“, die fremde Sprache mit ihren Fachbegriffen in eine für Unkundige verständliche Sprache transformieren, das ist die Mission dieses Dolmetschers, der Fachdeutsch ins Deutsche übersetzt, um Bürger im Sinne der Wissenschaft zu informieren – sie aber nicht anspornt, kritische Fragen zu stellen. So war sie zumindest mal gemeint, die Metapher. Aber stimmt sie überhaupt noch?
Sebastian Vogel hat für seine Übersetzungen immer viel Lob bekommen – von der FAZ, der Süddeutschen, von Geo oder anderen Medien, die Wissenschaft als kulturellen Schwerpunkt begreifen. Es liegt aber nicht daran, dass Vogel so anschaulich von Fach- in Laiensprache übersetzte, das Erklärbärentum vorantriebe, sondern weil er bedeutende Sachbücher von Autoren aus der britischen oder US-amerikanischen Wissenschaftsszene ins Deutsche bringt – was sprachlich eine Herausforderung ist, aber auch ein Wandel zwischen Welten.
Denn solche Bücher gibt es, wenn überhaupt, selten von deutschsprachigen Autoren: Es sind Der Gotteswahn von Oxford-Ikone Richard Dawkins, Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen des Evolutionsbiologen Jared Diamond, Eine kurze Geschichte von fast allem von Bill Bryson, einem Journalisten, Wie das Denken im Kopf entsteht des Psychologen Steven Pinker, Der Fisch in uns von Neil Shubin, ebenfalls ein Evolutionsbiologe, oder Ein Dinosaurier im Heuhaufen von Paläontologie-Legende Stephen Jay Gould, einem so politischen wie sprachbegabten Forscher, der leider viel zu früh starb – das sind nur wenige Beispiele aus einer langen Liste von Werken, die Vogel in den vergangenen 25 Jahren übersetzt hat. Viele davon verknüpfen Anthropologie, Evolution und gesellschaftliche Fragen spielend miteinander, werfen einfach einen wissenschaftlichen Blick auf die Welt, und Vogel hat sich als ein wichtiger Bote im deutschsprachigen Raum etabliert.
Wer ihn trifft, würde das nicht sofort vermuten. Vogel ist ein großer Mann, der in einem sehr großen Mantel steckt, aber trotz seiner Gestalt wirkt er sehr zurückhaltend, fast schüchtern. Die Haare schon recht grau, er trägt eine unauffällige Brille, strahlt große Höflichkeit aus, und er spricht nicht oft über seinen Beruf, denn Übersetzer sind keine Stars und wohl auch nicht dafür geschaffen.
Vogel etwa hat es einige Male auch als Autor versucht, unter anderem fürs Fernsehen. Die Öffentlichkeit dieser Tätigkeit wurde ihm bald unangenehm: „Meine Nummer stand im Telefonbuch, ich bekam Anrufe von Zuschauern, das wurde mir sehr schnell zu viel“. Er nennt sich einen Eigenbrötler. Schreibtisch. Stuhl. Computer, Internet. Mehr braucht Vogel nicht.
Es hängt an Persönlichkeiten
Was ist so schwierig daran, wissenschaftliche Sachbücher zu übersetzen? Die Themen sind sperrig, sicher. Außerdem sind die Honorare für Übersetzer exorbitant schlecht für eine kulturell so bedeutsame Leistung, findet Vogel, aber das treffe weniger ihn als jene Kollegen, die dramatische Literatur übersetzen. Er selbst erklärt sich die Nähe zu „seinen“ Büchern durch seinen Hintergrund als Biologe. „Man muss die Zusammenhänge schon verstehen, um solche Texte zu übersetzen“. Er selbst hat in der Virologie geforscht, über die Jahre ist sein Schwerpunkt hin zu den evolutionsbiologischen Themen gewandert. Aber es geht eben über das reine Sachverständnis hinaus, es muss eine Übereinkunft geben, inhaltlicher Art. „Ich könnte niemals ein Buch übersetzen, das die Atomenergie verteidigt, oder rassistische, rechtsextreme Ideen“. Letzteres wurde ihm schon einmal angeboten, zum Glück informierte er sich zeitig genug über den Verlag.
Vogels heutige Autoren lassen sich dagegen auf einen anderen Nenner bringen, einen, der dem Kerpener sehr nahe steht: Namentlich Dawkins und Pinker sind Mitglieder der sogenannten Brights, einer Gruppe von Naturalisten, deren Name sich mit „die Hellen“ übersetzen ließe (von bright: aufgeweckt, helle). Aber auch da zeigt sich, wie schnell man vorschnell deutet. Die Brights verstehen sich weniger als intellektuelle Elite denn als Atheisten, die gegen Aberglauben und Mythen kämpfen.
Warum sind solche oder ähnliche Stimmen hier so selten oder zu leise? Vogel erkennt durchaus eine Tradition: Es habe hier schon früher kaum Autoren gegeben, Wissenschaftler, die bereit gewesen wären, für das breite Publikum zu publizieren, weil das als unter der Würde empfunden wurde. „Nach dem Motto: Wenn ich für Lieschen Müller ein Buch über DNA schreibe, bringt mir das keine Ehre ein.“ Das sei zum Teil heute noch so, aber er habe den Eindruck, es werde besser. Öffentliche Diskussionen über Atomenergie oder Gentechnik hätten jene Generationen, die sich als Studenten selbst an diesen Debatten beteiligt haben, offener werden lassen. Es sei heute klarer, wie wichtig es ist, dass die Öffentlichkeit über Wissenschaft informiert wird. Und sicher hat es Persönlichkeiten gegeben wie Heinz Haber (siehe Freitag Nr. 12/2011) oder Hoimar von Ditfurth.
Aber gerade Vogel weiß auch, dass da viel Luft nach oben ist: Die sogenannte Wissenschaftskommunikation in Deutschland liegt Längen hinter dem zurück, was im Mittelpunkt seines eigenen Schaffens liegt. Die Autoren der Bücher, die Vogel vorgelegt bekommt, sind keine Wissensvermittler, die der Öffentlichkeit bloß etwas über die Wunder der Wissenschaft erzählen. Sie sind politisch motiviert, soziologisch interessiert. Und viele von ihnen scheuen die Provokation nicht, sondern suchen sie. „Das hat natürlich auch mit dem gesellschaftlichen Hintergrund zu tun, der vor allem in den USA weit fundamentalistischere Strömungen zeigt“. Und auf den groben Klotz käme dann eben ein grober Keil.
Vier Monate hat er für das zuletzt erschienene Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit von Steven Pinker gebraucht – ein Werk von bescheidenen 1200 Seiten, über das vor allem in der britischen Presse (und auch im Freitag Nr. 42/2011) heftig debattiert wurde. Es spiegelt wohl auf besondere Weise, wie schwierig der Brückenschlag zwischen Geistes- und Naturwissenschaft sein kann – oder sein muss. „Die naturwissenschaftliche und die geisteswissenschaftliche Denkweise unterscheiden sich schon sehr“, sagt Vogel, viele Fragen ergäben für Naturwissenschaftler einfach wenig Sinn. „Wenn in der Stammzelldebatte etwa nach dem Beginn des Lebens gefragt wird. Ist es die Eizelle oder der Zellklumpen mit 8 oder 16 Zellen, der Embryo oder erst der Fötus? Es existiert keine Antwort auf so eine Frage, ein Beginn lässt sich da ganz einfach nicht bestimmen“.
Vogel ist auch in der Debatte um Steven Pinkers Gewalt, das im Oktober erschien, immer wieder auf diese Diskrepanz gestoßen. Warum etwa spielt der Holocaust als monumentale Beispiellosigkeit des technisch organisierten Massen-Genozids in Pinkers Buch nur so eine geringe Rolle? „Pinker begründet das in seinem Buch sehr ausführlich, er hat es auch später in Interviews gesagt: Der Holocaust ist einzigartig in seiner Perfidie, in seiner rationalen Boshaftigkeit“. Niemand wolle das in irgendeiner Weise relativieren, „Aber: Der Holocaust ist nicht einzigartig, wenn man die Zahl der Opfer im Verhältnis zur Bevölkerung betrachtet.“ Es sei eine andere Art der Analyse, die Pinker da versuche, um historischer Kurzsichtigkeit entgegenzuwirken. Man merkt Vogel deutlich an, dass er fürchtet, missverstanden zu werden. Muss er das? Seine Arbeit zeugt vom Gegenteil.
Sebastian Vogel ist promovierter Biologe. Er wurde 1955 in West-Berlin geboren, studierte in Heidelberg, später in Köln. Seit Mitte der Achtziger hat er sich als Übersetzer für wissenschaftliche Literatur vom Fachbuch bis zum Roman etabliert. Sein Spezialgebiet sind Sachbücher für das breite Publikum, die sich oft mit ungewöhnlichen Aspekten von Evolution befassen. Vogel lebt und arbeitet in Kerpen.
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