Erkältungen, so erfuhren die Leser deutscher Zeitungen und Nachrichtenwebsites gerade, sind kein Schicksal: Zwar ist gegen die Erreger von Schnief und Malaise noch kein kuratives Kraut gewachsen, geschweige denn ein wirksames Medikament. Aber es gibt ja noch die Welt der Spurenelemente, und aus dieser erreicht uns nun die frohe Botschaft: Zink hilft! Zwar kann es keinen Schnupfen heilen, aber immerhin soll es laut einer neuen, umfassenden Analyse durch die angesehene Cochrane Collaboration die Dauer der Erkrankung verkürzen und, prophylaktisch eingenommen, sogar die Infektanfälligkeit überhaupt senken. Ein Segen, nicht nur für die Virenopfer: Erkältete Arbeitnehmer kosten die Wirtschaft jährlich sehr viel Geld.
Nun wird die Neuigkeit dem ein oder anderen aber vertraut vorkommen, nicht zuletzt, weil jeder Drogeriediscounter seit gefühlten Jahrzehnten Zink-Lutschpastillen „zur Stärkung der Abwehrkräfte“ feilbietet, meist mit Vitamin C kombiniert, aber sicherlich nicht ohne Grund auch mit Zink. Und selbst der Hausarzt hat oft geraten, sich in der Erkältungszeit ein bisschen mit Zink zu wappnen. Tatsächlich gilt das Spurenelement als metallisches Vitamin C, zumal es im Körper einen ähnlichen Job erledigt: Es dient einer Vielzahl von Enzymen als Cofaktor und ist mithin essenziell für den menschlichen Körper. Aber auch für dessen Kampf gegen Erkältungskeime?
Mitte der Siebziger fand man, dass Zink die Vermehrung von Rhinoviren in Zellkulturen bremst. 1984 lieferte ein Team um den US-Forscher George Eby an der University of Texas at Austin erstmals einen Hinweis darauf, dass Zink auch Menschen gegen die Erkältungsviren bisweilen helfen kann, wenn man es nach Beginn der Erkrankung in sehr hohen Dosen einnimmt. Die Ergebnisse waren erstaunlich gut, nachdem man fast die Hälfte der Studienteilnehmer ausgeschlossen hatte.
Es blieb allerdings nicht bei dieser einen Studie: In der Folge wurden weitere unternommen, sowohl zur vorbeugenden als auch therapeutischen Wirkung von Zink, das meistens als Lutschpastille verabreicht wurde. Es taten sich Widersprüche auf. So konnte eine Studie an 124 Studenten, die 1998 im angesehenen Journal of the American Medical Association erschien, keine sogenannte Evidenz für eine beschleunigte Genesung finden, obwohl die Patienten innerhalb von 24 Stunden nach den ersten Anzeichen der Erkältung mit der Zink-Therapie begannen. Evidenz als empirischer Beleg ist aber in der modernen Medizin zum entscheidenden Faktor geworden: Sie, und nicht die Erfahrung, oder Vermutung, soll Grundlage medizinischer Empfehlungen und Entscheidungen sein.
Die Nebenwirkungen bleiben
Die methodische Qualität der JAMA-Studie wurde als hoch bewertet, doch in einem Begleitkommentar verwies die Ärztin Anne Gadomski bereits damals auf die ewig widersprüchlichen Ergebnisse anderer Studien, die für Hausärzte zum Problem geworden seien. Vor allem Eltern erwarteten Hilfe für ihre kranken Kinder. Aber war Zink wirklich empfehlenswert? „Obwohl viele alternative Behandlungsansätze für Erkältungen beschrieben wurden, hat keine das Gewicht der Evidenz auf ihrer Seite, welches eine Empfehlung rechtfertigen würde“, schrieb Gadomski damals, und das bezog sich eben auch auf Zink. Es folgten weitere Studien und weitere Widersprüche. Die jüngste Studie an US-Kadetten, erschienen 2009, konnte erneut keinen Effekt von Zink auf die Dauer einer Erkältung beweisen. Was also ist jetzt, fast drei Jahrzehnte nach der ersten Studie und zwei nach der letzten größeren, so aufregendes passiert, dass uns Zink auf einmal trotzdem und gerade von wissenschaftlicher Seite als hilfreiches Mittel gegen Erkältungen verkauft wird?
Wenn sich die Wirksamkeit einer Behandlung oder eines Medikaments nicht klar in einzelnen Studien offenbart wird, versucht man, die Evidenz zu bündeln und erstellt sogenannte Meta-Analysen. Das Prinzip leuchtet ein: Wenn zwanzig Studien nicht dasselbe zeigen, guckt man eben, welches Erkenntnis insgesamt überwogen hat. Das Problem dabei ist: Nach Abschluss einer Meta-Analyse werden weitere Studien vorgenommen, die zu einer veränderten Bewertung führen können. Das ist auch im Fall Zink und Erkältungen der Fall. Eine erste Bewertung in den Archives of Internal Medicine stellte vor 14 Jahren fest, dass es keine Evidenz für die Wirksamkeit von Zinksalzen zur Behandlung von Erkältungen gibt. Wenige Jahre später nahm sich die Cochrane Collaboration erstmals der Zink-Lutschpastillen-Frage an, mit dem Ergebnis, die Frage könne nicht zugunsten einer Behandlung beantwortet werden. Angesichts der potenziellen Nebenwirkungen seien weitere Studien notwendig. Die gab es, dennoch kam eine Neuauflage der Meta-Analyse 2006 zu demselben Resultat.
Die jetzt vorgelegte dritte Cochrane-Meta-Analyse modifiziert die Erkenntnis letztlich in nur einem Punkt. Die Autoren glauben, aus einer neuen Auswahl von 15 Studien nun Evidenz für eine Wirksamkeit erkennen zu können. Demnach kann Zink die Dauer einer Erkältung reduzieren. Es kann auch die Anfälligkeit mindern. Kann. Muss aber nicht. Am Ende wird weder die prophylaktische noch eine therapeutische Einnahme von Zink empfohlen, weil noch immer unklar ist, welche Dosierungen sowohl wirksam als auch akzeptabel in den Nebenwirkungen sind.
Denn die gibt es eben. Abgesehen von dem schlechten Geschmack im Mund bereitet Zink, so essenziell es sein mag, in den gegen Erkältungen notwendigen Dosierungen nicht nur einigen der rund 200 verschiedenen Erkältungserregern Probleme, sondern auch den Patienten selbst. Zum einen, weil es in den Kupferstoffwechsel eingreift und mithin den Mangel eines anderen essenziellen Spurenelementes provozieren kann. Zum anderen, weil der Schnupfen ab spätestens 200 Milligramm Zink pro Tag durch schwere Übelkeit abgelöst wird. Und das alles für die eventuell mögliche, aber keinesfalls sichere Aussicht, ein, zwei Tage kürzer erkältet zu sein? George Eby jedenfalls wird sich freuen. Er ist ja seit 1984 überzeugt, dass gelutschtes Zink „die einzige effektive Behandlung für gemeine Erkältungen“ sei. Eby sagt das nicht ohne Eigeninteresse. Er besitzt ein Pharmaunternehmen, das Zink-Pastillen vertreibt. Nicht nur gegen Erkältungen, sondern auch gegen Menstruationsbeschwerden oder Herpesinfektionen.
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