Ist das echt – oder nicht?

Biodesign Tuur van Balen führt an Tauben vor, wie die Gentechnik unseren Lebensraum verändert. Ein Gespräch über Kontrolle, Evolution und Öl­­

Der Freitag: Sie haben in Brüssel gerade ihr aktuelles Projekt gezeigt. Sie verpassen Tauben da per biotechnologischem Eingriff nützliche Funktionen. Warum ausgerechnet Tauben?

Tuur van Balen: Tauben haben etwas Kurioses an sich, insbesondere in Belgien und Großbritannien, wo Taubenrennen eine große Tradition haben. Auf englisch heißen die Leute, die solche Rennen wöchentlich als Hobby betreiben, Taubenliebhaber.

Darum manipulieren Sie Tauben?

Das Interessante für meine Arbeit ist, dass Tauben, Luftratten, nach unserer Definition eigentlich nichts Natürliches mehr haben. Es sind die Nachkommen von Zuchttieren, die seit Jahrhunderten gehalten wurden, weil sie immer nach Hause zurückfinden. Diese angeborene Kompetenz machte sie wertvoll, und sie wurden so gezüchtet, dass sie noch schneller nach Hause kommen. Charles Darwin war sehr interessiert an Tauben, weil sie in seinen Augen eine ausgesprochen unnatürliche Form der Evolution widerspiegeln.

Stimmen Sie Darwin zu – ist das eine unnatürliche Form von Evolution?

Unnatürlich ist nicht der richtige Ausdruck. Für mich ist das kontrollierte Evolution. Kontrolliert von Menschen. Diese Tauben sind genauso ein Produkt dieser Kontrolle, wie die Nahrung, die wir essen – unser Gemüse ist letztlich auch nur das Resultat einer von Menschen gelenkten Entwicklung.

Warum dann nicht Gemüse?

Die Tauben haben für mich etwas Metaphorisches, sie verkörpern diese Ideen. Sie sind historisch, ihre Geschichte reicht mehrere hundert Jahre zurück. Aber dieselben Ideen von Kontrolle gibt es jetzt und hier. Die neuen Technologien werden ähnliche Fragen aufwerfen: Wie wir mit unserem Lebensraum umgehen, wie wir damit interagieren. Ist das noch Natur, oder doch nicht?

In jedem Fall ist das, was Sie den Leuten konkret zumuten, zwar realistisch, aber nicht ganz real.

Ich will diesen Zusammenhang, die Realität und den fiktionalen Aspekt zu verbinden. In gewisser Hinsicht stimmt ja alles: Es gibt die Installation, es gibt richtige Tauben und die Biotechnologie, die ich nutze, gibt es auch. Ich versuche, diesen Eindruck von Realität zu vermitteln, weil ich die Verwirrung um die Frage „Ist das echt, oder nicht?“ will. Die Leute sollen darüber nachdenken, was das für ihre Begriffe von Natürlichkeit und Ethik bedeutet, wenn diesen Tauben neue Funktionen hinzugefügt werden, wenn man ihren Metabolismus optimiert.

Optimieren klingt befremdlich.

Einige Leute reagieren auch etwas geschockt. Aber es ist keine Provokation um der Provokation willen – es ist eine charmante Art der Konfrontation. Und die meisten sind weniger angeekelt, als dass sie das lustig finden. Und trotzdem absurd. Es ist zwiespältig für sie. Die Leute kratzen sich den Kopf, und genau das mag ich.

Sie sind kein Wissenschaftler. Warum liegt Ihnen so viel daran, dass sich die Leute über Gentechnik den Kopf zerbrechen?

Ich war Industriedesigner, Designer für Produkte. Meine Rolle als Designer war, neue Technologien sexy zu machen. Sie den Leuten zu verkaufen. In dieser Arbeit liegt kein kritisches Denken, es wird überhaupt nicht über die Art der Entwicklung und die Folgen reflektiert. Das hat mich frustriert.

Und deshalb schaffen Sie jetzt Installationen mit hohem wissenschaftlichen Anspruch.

Ich bin nicht so sehr an der Technik als solcher interessiert, mir geht es um die größere Dimension, die kulturellen und sozialen Implikationen. Es geht um unsere Auffassung von Natur und Ursprünglichkeit. Das ist eine grundlegende Frage, die wir uns immer wieder stellen müssen, wenn neue Technologien aus den Labors zu uns kommen.

Diese Labors sind allerdings eher verschlossen. Woher wissen Sie das alles so genau?

Ich habe mich viel mit synthetischer Biologie befasst und habe Kontakt mit vielen Wissenschaftlern. Ich habe einen Crashkurs in synthetischer Biologie in Cambridge belegt. Je mehr man sich dieser Wissenschaft öffnet, desto offener werden auch die Forscher. Wenn ich eine Ausstellung habe, interessieren sie sich dafür, und sie laden mich in ihre Labors ein oder zu ihren Kursen. Ich will das alles auch mit Respekt vor der Forschung tun.

Aber wie finden die Forscher das denn, wenn Sie die Leute zur kritischen Betrachtung ihrer Errungenschaften animieren?

Die meisten Wissenschaftler finden das tatsächlich gut. Genetik, Biotechnologie, in Großbritannien sind das ja zweifelhafte Themen, mehr noch als in Europa. Als die ersten genetisch veränderten Organismen zugelassen wurden, hat es heftige Reaktionen auf all das gegeben. Sogar Forscher merken endlich, dass, obwohl sie genetisch veränderte Nahrung für eine gute Sache halten, es nichts helfen wird, solange die Menschen das als Frankenstein-Food ablehnen.

Das ist aber eine Erkenntnis. Und es ist den Forschern nicht möglich, diesen unglücklichen Eindruck selbst zu begradigen?

Wenn Wissenschaftler öffentlich reden, versuchen sie oft nur, den Leuten ihre Technologien zu verkaufen. Es geht da auch um Geld. Mir ist aber die kritische Auseinandersetzung wichtig, nicht kritisch in dem Sinne einer dystopischen Darstellung von Biotechnologie, in der alles düster und voller patentierter Organismen ist. Das alles ist nicht gut oder böse, es ist irgendwas dazwischen und es geht darum herauszufinden, was wir als Gegenleistung zu erwarten haben – und ob wir das wollen. Jede neue Technologie ist ein Handel: Es gibt Gründe, warum wir das wollen. Und Gründe, das auf keinen Fall zu wollen. Wir müssen immer schneller erkennen, was für ein Handel das ist, und ob wir uns darauf einlassen können.

Erkennen das denn nicht als erstes die Wissenschaftler?

Forscher können diese Fragen nicht immer beantworten – und das sollten sie auch gar nicht. Viele von ihnen leisten großartige Arbeit. Sie forschen eben. Es ist absurd, sie noch für die gesamten kulturellen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen verantwortlich zu machen.

Denken sie auch so über Craig Venter? Er hat angeblich gerade eine künstliche Mikrobe geschaffen, ein synthetisches Lebewesen.

Das war zunächst einmal ausgezeichnetes Marketing. Ich denke, dass Venters Arbeit durchaus ein Erfolg ist, aber nicht der Erfolg, der weltweit durch die Schlagzeilen gegangen ist. Ich will das nicht kleinreden, Venter hatte bestimmt eine Menge Spaß. Aber diese Forschung passiert überall, in Labors weltweit, sogar in Garagen und Kellern. Das ist ja das nette an der Biotechnologie, dass man gar nicht so irre viel Geld braucht, um ein paar lustige Dinge zu tun.

Do-it-yourself-Biotechnologie?

Es ist nicht genau so, aber so ähnlich wie Programmieren. Wenn sie einen Computer kaufen, können sie darauf Apps fürs iPhone entwickeln. Die Hardware in der Biotechnologie ist nicht ganz so billig, aber immer noch billig. Und das alles zusammen wird Folgen für uns haben, in jeder Hinsicht – wir wir leben, welche Medikamente wir haben, was wir essen. Es gibt aber verschiedene Möglichkeiten, neue Technologien zu nutzen.

Synthetische Bakterien, meint Venter, könnten zum Beispiel auch auslaufendes Öl, wie jetzt im Golf von Mexiko, wegfressen.

Ich hoffe, dass die das erstmal testen. Bevor man tonnenweise synthetische Bakterien im Ozean versenkt, damit sie Öl fressen, sollte man sicherstellen, dass sie nicht auch Dinge fressen, die sie nicht fressen sollen. Sonst folgt der ersten Pest, der Ölpest, gleich die nächste.

Das klingt jetzt aber nicht mehr so optimistisch.

Klar, wir werden Mikroorganismen mit verrückten Fähigkeiten haben. Auch so etwas wie Venter vor fünf Jahren angekündigt hat: Bakterien, die CO2 essen und es in Diesel oder Benzin umwandeln. Die lösen dann alle Probleme rund ums Öl mit einem Schlag. Aber ölfressende Bakterien oder Mikroorganismen, die das CO2 aus unseren Flugzeugen aufnehmen – die werden unsere Einstellung und unser Verhalten nicht ändern. Mich interessieren diese anderen Sachen, der Do-it-yourself-Aspekt. Das wird sich auf unser Leben auswirken. Wir werden uns selbst analysieren, anders mit unserem Körper interagieren.

Liegt es in der menschlichen Natur, ständig etwas verändern zu müssen?

Der Mensch hat immer Einfluss auf die Natur genommen, sie seinen Bedürfnissen angepasst, sich Werkzeuge gebastelt. Das ist es, wo die ganzen neuen Technologien hergekommen sind. Das Interessante an der Biotechnologie aber ist, dass die Technologie der Biologie, der Natur selbst ist – sie wird formbar. Wir stehen noch an der Startlinie, mit den Mikroorganismen, Bakterien und Hefen. Aber es wird nicht lange dauern, bis es vielleicht uns Menschen selbst betrifft.

Das Gespräch führte Kathrin Zinkant

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