Petitionen generieren nur selten eine beeindruckende Zahl von Unterschriften. Noch seltener, wenn sie sich gegen etwas richten, das es gar nicht gibt – wie den Grund für die elektronische Petition, die Wasilika Heim im September auf der Website des deutschen Bundestags einrichtete: Das zum 1. April EU-weit geplante Verkaufsverbot von Heilpflanzen, hieß es in dem Begehren, dürfe nicht in Kraft treten, weil es die freie Verwendung von natürlich wachsenden Arzneien zugunsten patentierter Medikamente aus der Großindustrie stark behindere. Der Bundestag möge einschreiten und einen Beschluss fassen, der das Verbot außer Kraft setzt.
Dass ein Verbot von Heilpflanzen gar nicht geplant ist, sondern eine seit Jahren beschlossene EU-weite Zulassungspflicht f
licht für traditionelle pflanzliche Arzneizubereitungen, und dass diese Pflicht mit Stichtag 30. April erfüllt sein muss, hinderte bis dato 121.819 bange Naturfreunde und Herbalmixturvertreiber nicht daran, die Petition zu zeichnen. Zugleich gereichte der fraglos undurchdachte Reflex der Frau Heim samt seiner erstaunlichen Resonanz zahlreichen Medien als Vorlage für Belehrungen über den tatsächlichen Sachverhalt: Keine Angst, euer Kamillentee ist nicht in Gefahr!Man kann sich allerdings über die gleichmütige und teils herablassende Reaktion genauso wundern wie über den panischen Aufschrei der Kräuterfreunde selbst. Denn es mag bei der Regulierung traditioneller pflanzlicher Heilmittel zwar nicht um Pfefferminzblättchen oder Eisenkraut gehen, aber doch immerhin um ein Segment des pharmazeutischen Marktes, das längst nicht mehr nur von Esoterikern nachgefragt wird: Phytopharmaka boomen seit Jahrzehnten, der Anteil der Bevölkerung, der auf pflanzliche Arzneimittel zurückgreift, ist zwischen 1970 und heute von 50 auf stabile 70 Prozent gewachsen. Nur sieben Prozent würden niemals pflanzliche Heilmittel einnehmen. Und wie eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach kürzlich erneut feststellte, nehmen die 70 Prozent ihre grünen Mittelchen ausgerechnet deshalb, weil sie sich von Medikamenten natürlichen Ursprungs eine sanftere Wirkung und an erster Stelle weniger Nebenwirkungen erwarten. Was ein so breit gestreuter wie hartnäckiger Irrtum ist, denn gerade pflanzliche Mittel haben aufgrund ihrer komplexen Zusammensetzung oft mehr Nebenwirkungen als synthetische Wirkstoffe, die gezielter und in niedrigen Dosierungen eingesetzt werden können. Das erklären auch Apotheker ihren Kunden seit vielen Jahren immer wieder bereitwillig, obwohl sie mit alternativen Heilmitteln aus der Natur keine schlechten Umsätze machen.Vermeintlich sanfte KraftDass die Kluft zwischen Naturwunsch und Wirklichkeit trotzdem dauerhaft ignoriert wird, liegt sicher nicht an der Dummheit der Leute: Es sind gerade die Einkommensstarken, Gebildeten und dabei insbesondere die Frauen, die der vermeintlich sanften Heilkraft vertrauen – gerade auch für Kinder, von denen einer aktuellen Untersuchung von Forschern der Uni Leipzig des Haunerschen Kinderspitals München zufolge rund 85 Prozent pflanzliche Präparate bekommen. Die Autoren vermuten, dass dem nicht unmittelbares Misstrauen gegenüber der Schulmedizin zugrunde liegt: Die meisten der betreffenden Eltern gehen mit ihren Kindern noch immer zum pädiatrischen Facharzt und nicht zum Heilkundler. Es ist eher ein grundlegendes Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie und deren synthetischen Produkten – eben wegen der vermuteten Nebenwirkungen. Was kaum weniger irrational erscheint als der empörte Protest der zahlreichen Petitionszeichner, die die Kontrolle traditioneller pflanzlicher Arzneien jetzt als Anschlag auf die Unabhängigkeit der Patienten von der Pharmalobby betrachten.Das eigentliche Problem liegt deshalb aber woanders und macht den Phytomedizinern selbst zu schaffen: Während der Wunsch nach Naturmedizin ungebrochen bleibt, fallen die meisten Naturheilmittel inzwischen nicht mehr unter die Erstattungsfähigkeit der Krankenkassen. Entsprechend befassen sich immer weniger Ärzte mit dem Spektrum an pflanzlichen, vor allem traditionellen Arzneien, obwohl diese einst die Grundlage der modernen Medizin bildeten und laut WHO in vielen Entwicklungsländern nach wie vor den einzigen Zugang zu medikamentöser Hilfe darstellen. Mal ganz davon abgesehen, dass viele konventionelle Medikamente bis heute nicht am chemischen Reißbrett entstehen, sondern in der Natur gesucht, isoliert und dann als reiner Wirkstoff hergestellt werden.Wer sich als Patient den eigenen Wunsch nach Kräutermedizin erfüllen will, bleibt deshalb aber zunehmend auf sich alleine gestellt und sucht sich seine Informationen aus Packungsangaben, Ratgebern, Internetforen und – bestenfalls – aus dem Beratungsgespräch beim Apotheker zusammen. Und bezieht die selbst zu zahlenden Präparationen dann auch nicht unbedingt aus geprüfter Quelle, sondern gern auch aus dem günstigeren Online-Versandhandel.Traditionell mit SchussWas nicht nur wegen der Nebenwirkungen Folgen haben kann: Immer wieder tauchen Zubereitungen auf dem Markt auf, die gesundheitsschädliche Verunreinigungen oder gar gezielt chemische Zusätze enthalten, wie vor einigen Jahren etwa ein Potenzmittel, das angeblich auf der traditionellen chinesischen Medizin fußte, tatsächlich aber einen synthetischen Wirkstoff enthielt. Dazu kommt, dass die meisten Konsumenten pflanzlicher Heilmittel trotzdem weiter zum Schulmediziner gehen und sich Medikamente verschreiben lassen, mit denen die komplexen Tinkturen und Extrakte der Naturheilkunde bisweilen heftig wechselwirken – angefangen beim Johanniskraut, das gegen Depressionen wirken soll und dabei besonders wirksam den Effekt der Antibabypille unterbindet. Bis hin zu pflanzlichen Mitteln, die die Wirkung von Gerinnungshemmern verstärken oder hemmen, was zu gefährlichen Komplikationen führen kann.Die Zulassungspflicht, die jetzt greift, versucht diese Risiken zu mindern und etwas Übersicht in den europäischen Markt bezüglich pflanzlicher Arzneien zu bringen. Die Reaktionen aber zeigen, dass ganz andere Maßnahmen angezeigt wären: Das Interesse an Naturheilmitteln lässt sich nämlich nicht wegdiskutieren. Bis dieser Umstand auch in der Praxis wieder hinreichend berücksichtigt wird, geht es nur um Schadensbegrenzung.