Wer nicht kämpft, hat verloren

Debatte Hat Rot-Rot-Grün noch eine Chance? Es gibt dazu keine Alternative, meint Katja Kipping, die Vorsitzende der Linkspartei
Ausgabe 24/2020
Statt mit den Händen im Schoß auf das Ende des Kapitalismus zu warten, sollten wir aktiv zupacken
Statt mit den Händen im Schoß auf das Ende des Kapitalismus zu warten, sollten wir aktiv zupacken

Illustration: der Freitag

Durch die Corona-Krise wird der Kampf um neue linke Mehrheiten in diesem, Land vielleicht nicht leichter, aber auf jeden Fall notwendiger. In der vorigen Ausgabe (der Freitag 23/2020) hat Albrecht von Lucke argumentiert, ein rot-rot-grünes Bündnis sei auf absehbare Zeit nicht möglich. Im Gegenteil. Rot-Rot-Grün ist unbedingt notwendig, um das Land zukunftsfähig zu machen.

Die Corona-Krise wird an der Gesellschaft nicht einfach vorbeigehen wie eine normale Erkältung. Sie wird vielmehr Folgen nach sich ziehen, deren Ausmaße sich heute nur erahnen lassen. Die Regierung hat zwar Milliardenpakete geschnürt. Leider hat sie dabei weniger an die ärmeren Teile unserer Gesellschaft gedacht.

Anstatt die Krisenfolgen nur zu verwalten, müssen wir Deutschland krisenfest machen. Die alten Mittelchen aus dem Krisenapothekerschrank der Großen Koalition verschaffen da höchstens kurzfristig Linderung. Sie werden aber nicht verhindern, dass unsere Gesellschaft immer wieder neu verarztet werden muss. Krisenfestigkeit erfordert, einen neuen Kurs einzuschlagen: einen sozial-ökologischen Systemwechsel, einen linken Green New Deal. Notwendig ist ein sozial gerechtes und klimaverträgliches Wohlstandsmodell, das aus drei Säulen besteht:

• einem starken öffentlichen Sektor mit guter Arbeit, Mitbestimmung und wirtschaftsdemokratischen Elementen.

• dem Ausbau des Sozialstaates, der den Menschen in allen Lebenslagen soziale Garantien und Sicherheit bietet und die soziale Basis für die Verteidigung der Demokratie schafft.

• die ökologische Transformation der Industrie im Sinne von Agrarwende, Energiewende und Verkehrswende. Wir benötigen Weichenstellungen für eine neue Weltwirtschaftsordnung, die Fluchtursachen zurückdrängt und Klimagerechtigkeit herstellt.

Solch ein Green New Deal kann nur über eine höhere Besteuerung von großen Vermögen und Konzernen finanziert werden. Für den ersten Anschub wäre eine Vermögensabgabe denkbar. So eine Steuer wurde in der Geschichte dieses Landes übrigens schon einmal eingeführt: Das war im Jahr 1952 unter dem konservativen Bundeskanzler Konrad Adenauer – im Rahmen des Lastenausgleichs für die Geschädigten des Zweiten Weltkriegs. Es heißt, die Corona-Pandemie sei eine der größten Herausforderungen seit 1945. Wir sollten also die im Grundgesetz vorgesehene Möglichkeit für eine einmalige Vermögensabgabe dazu nutzen, sie zu meistern. Doch solange die Union in der Regierung ist, wird sie die stärkere Besteuerung von Superreichen blockieren. Kommt es nicht zur stärkeren Besteuerung der besonders Wohlhabenden, werden die Kosten der Krise am Ende auf die Ärmsten abgewälzt und auf diejenigen, die gerade mit ihrer Arbeit den Laden am Laufen halten. Schon allein deshalb gilt es, bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr dafür zu sorgen, dass die Union abgewählt wird.

Eine krisenfeste Gesellschaft

Klar ist: Angela Merkel wird nicht noch einmal antreten. Klar ist auch: Eine Fortsetzung der Großen Koalition will eigentlich niemand. Offen ist, ob die alles dominierende Frage im Wahlkampf lauten wird: Wer folgt auf Merkel? Oder ob es gelingt, eine Auseinandersetzung darüber zu führen, welchen Kurs dieses Land künftig einschlagen soll.

Wer glaubt, dass die aktuellen Umfragen, mitten in der Corona-Pandemie, schon die Ergebnisse der Wahlen vorwegnehmen würden, der hat die Dynamiken der letzten Jahre verschlafen. Noch vor etwa drei Monaten waren Mehrheiten links der Union rechnerisch möglich. Heute steht die CDU/CSU bei 40 Prozent. Es ist nicht erstaunlich, dass in akuten Krisenzeiten die Partei der Kanzlerin an Zustimmung gewinnt. Aber nicht alle, die während der Krise Merkel gerne im Fernsehen hören, trauen der Union zu, die Weichen in Richtung einer krisenfesten Gesellschaft zu führen. Wen man während der Krise als Anführer respektiert und wer in ein neues Miteinander führen soll, sind zwei verschiedenen Paar Schuhe.

Albrecht von Luckes Plädoyer gegen Rot-Rot-Grün und für Schwarz-Grün ist Ausdruck einer Kapitulation vor den Verhältnissen, die es zu ändern gilt, wenn wir eine krisenfeste Gesellschaft wollen. Zu den Gefahren, die es zu entschärfen gilt, gehören der Klimawandel, die militärischen Eskalationen auf der Welt, der Rechtsruck und die soziale Spaltung des Landes.

Schwarz-Grün wird niemals die Ursachen der Krisen in Angriff nehmen können. Noch nicht einmal auf den Klimawandel wird so ein Bündnis eine Antwort liefern können. Denn konsequenter Klimaschutz erfordert erstens die Bereitschaft, großen Konzernen und deren Lobby die Stirn zu bieten. Da wird die CDU nicht mitmachen. Zudem müssen soziale Sicherheit und Klimaschutz eng miteinander verbunden werden. Viele praktizieren dies bereits. So arbeiten Sozial- und Umweltverbände, Fridays for Future und Gewerkschaften inzwischen gut zusammen. Doch die Union blockiert jeglichen sozialen Fortschritt. Und deshalb liegt Albrecht von Lucke falsch mit seiner Analyse, dass nur eine bürgerliche Koalition aus CDU und Grünen die Chance biete, Deutschland aus den multiplen Krisen herauszuführen. Im Gegenteil, wir werden nur Zeit verlieren durch ein ökologisch verbrämtes, konservatives Weiter-so .

Die notwendige sozialökonomische Wende erfordert vielmehr die Ablösung der Union und damit eine Mehrheit links von ihr. Das wird nicht einfach. Doch wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Albrecht von Lucke führt ins Feld, dass sich die Projekte einer Koalition aus Grünen, SPD und Linkspartei gegen eine bürgerlich-rechtsautoritäre Opposition aus CDU/CSU, FDP und AfD gesellschaftlich nicht durchsetzen lassen. Unerwähnt lässt er dabei allerdings all jene Teile, die ein linkes Regierungsbündnis aus der Gesellschaft heraus antreiben könnten und sich gleichzeitig mit der Regierung gegen die Gegner dieses progressiven Projekts stellen. Dazu gehören Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften sowie Umwelt- und Sozialverbände ebenso wie Mieter*inneninitiativen oder Bündnisse wie die „Seebrücke“ oder „Unteilbar“. Das zusammen wären neue linke Mehrheiten, die weit mehr sind als eine einfache rechnerische Mehrheit; mehr als ein Rechenbeispiel, in dem 1 + 1 + 1 = 3 ergibt. So haben in Berlin Mieterinitiativen eine Stimmung geschaffen, die Rot-Rot-Grün dazu brachte, einen Mietendeckel einzuführen und damit ein drängendes soziales Problem zu lösen.

Arzt und Erbe

In neuen linken Mehrheiten wäre die Linkspartei nicht nur irgendein Teil eines progressiven Bündnisses. Sie hätte die Funktion, die besonders kämpferischen Teile dieses Bündnisses zu stärken. Solche Mehrheiten könnten auch dazu beitragen, ein Szenario zu verhindern, das hierzulande durch das Schwächeln der AfD aus dem Blick zu geraten droht: nämlich ein autoritärer Kapitalismus durch eine Verbindung aus Konservativen und völkischer Rechten, wie es sie in den USA, Ungarn, der Türkei oder Brasilien bereits gibt. Es wird also auch um den demokratischen Grundkonsens in unserer Gesellschaft gehen. Dass dieser in Gefahr ist, haben die Ereignisse um die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen gezeigt.

Der Sozialdemokrat und Antifaschist Fritz Tarnow sagte zwei Jahre nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 auf einem SPD-Parteitag, man müsse sich am Krankenbett des Kapitalismus in einer Doppelrolle verhalten: als Arzt, der heilen will, und als fröhlicher Erbe, der das Ende nicht erwarten kann. Ich würde es heute mit Blick auf die kommenden Herausforderungen anders formulieren: Wenn wir die sich wiederholenden Krisen des Kapitalismus immer nur mit kurzfristigen Aufputschmitteln behandeln, wird uns die nächste Notlage umso heftiger erwischen. Doch statt mit den Händen im Schoß auf das baldige Ende und unser Erbe zu warten, lasst uns besser aktiv zupacken und uns zutrauen, ein neues Betriebssystem aufzuspielen. Wer nicht um einen politischen Kurswechsel kämpft, hat schon verloren.

Katja Kipping ist Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Linkspartei. In der nächsten Ausgabe antwortet ihr der Freitag-Autor Wolfgang Michal

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