Keine Zeitung, die nicht über den Skandal berichtete: Am 1. Juni dieses Jahres deckte der leitende Redakteur des Nachrichtendienstes epd medien, Volker Lilienthal, zum wiederholten Mal einen Fall von Schleichwerbung auf. Und weil es diesmal die ARD traf, ließen manche ihrer Entrüstung gleich mehrmals freien Lauf. Nicht nur in der FAZ - was zu erwarten war -, sondern auch in vielen anderen Zeitungen fragte man sich laut, welchen Sinn Gebühren noch haben, wenn Sender und Produktionsfirmen zusätzliches Geld verdienen, indem sie heimlich ihr Publikum als Zielgruppe an Firmen verhökern, ohne dass den Zusehern bewusst ist, dass gerade Werbung läuft, und nicht, wie es in dem Fall schien, Marienhof.
Doch die lautstarke TV-Schelte übertönte vor allem ein anderes Grummeln, ein Schweigen wurde beredt im besten Sinne: Von der Presse selbst sprach fast keiner. Als wäre unzulässiges Product Placement allein ein Problem des Fernsehens. Dass Volker Lilienthal eine Debatte angeregt hatte, blieb oft unerwähnt, wo doch die muffige Grauzone zwischen Schleichwerbung und Product Placement ihr Thema hätte werden können. Was auch die Presse beträfe.
Denn deren Tätigkeitsbericht aus diesem Geschäftsbereich wäre nicht minder interessanter Lesestoff. Angefangen bei denjenigen Journalisten, die mit dem Versprechen einer positiven Erwähnung Rabatte hier und da einfordern. Weiter mit den von der Wirtschaft bezahlten PR-Autoren, denen ganz gratis redaktioneller Raum zur Verfügung gestellt wird. Und noch weiter mit den Jugend- und Frauenzeitschriften, die immer gerne ein paar positive Zeilen über diese oder jene Crème oder CD oder Hose ins Blatt bringen, wenn sie dafür ausreichend Frei-Exemplare erhalten, die sie unter ihren Lesern verlosen können (eine der hilflosesten Methoden, um wenigstens irgendein Feedback zu erhalten).
Doch nicht nur die Lifestyle-, Beauty-, Star-Magazine nähern sich immer mehr den Kundenmagazinen an, (und werden vielleicht bald gegen sie verlieren, die vielfach sinkenden Auflagen der kostenpflichtigen Zeitschriften und die ständig steigenden der Kostenlos-Magazine sprechen jedenfalls dafür), auch die seriösen Zeitungen loten immer mehr möglichst unauffällig aus, wie viel man den Lesern unterschieben kann, um die eigene Attraktivität für Werbekunden zu erhöhen. Da gibt es zum Beispiel die bunten Beilagen - das Leben der Zeit, die SZ am Wochenende -, die allesamt im vorauseilenden Gehorsam entsprechend den Wünschen der Anzeigenschalter umgestaltet oder erst erfunden wurden: vierfarb, leichtere Texte, mehr Konsumorientierung. Die SZ am Wochenende hatte plötzlich eine Modeseite, und Zeit-Redakteure testen seither Autos. Beim jetzt-Magazin der Süddeutschen Zeitung wurde ebenfalls unangenehm deutlich, worum es wirklich ging. Die Beilage band zwar Leser, aber trotz allem zu wenig Anzeigenkunden - sie wurde eingestellt. Obwohl die Zielgruppe tagelang dagegen demonstrierte: ein Engagement, von dem man als Zeitung eigentlich nur träumen kann.
Heute ruht die Hoffnung der Verlage unter anderem auf "Sonderbeilagen" und "Verlagssonderveröffentlichungen": Als hätte man alle Freiheiten, wenn man sein Potenzial verkauft, so lange nur oben klein darüber steht, dass nicht die Zeitung die Inhalte bezahlt hat, sondern eine Firma, ein Verein, ein Interessenverband oder ähnliches. Die Themen dieser Beigaben zum gewohnt guten Produkt (gerne mit dezenter Ähnlichkeit dazu) richten sich hauptsächlich nach den Bedürfnissen der werbetreibenden Wirtschaft, nicht denen der Leser. Oder spielen Sie vielleicht ständig Golf, frönen ohne Unterlass dem leiblichen Genuss, verreisen permanent und sind andauernd auf der Suche nach einer neuen Uhr? Für den Verlag ist das gutes Geld. Für den Journalismus allerdings immer öfter peinlich, da er häufig gar nicht so gut zwischen die bunten Kauf-mich!-Bildchen passt. Zudem mittlerweile selbst ordentliche Mitglieder der Redaktion vor den Karren der Werbung gespannt werden, nicht mehr nur ausschließlich für diese Aufgaben abgestellte Journalisten oder PR-Fachkräfte. Da greift man dann tatsächlich besser gleich zum Kundenmagazin der Stadtwerke, der Krankenkasse, der Autofirma. Denn dann weiß man wenigstens, wer einem hier gerade was verkaufen möchte. Vor allem, da sich bei derlei Magazinen ohnehin die Ansicht durchgesetzt hat, dass kritische Leser die besseren Kunden sind und kritische Texte deshalb gerne zugelassen werden.
Doch im Glashaus der unabhängigen Presse zögert man scheinbar, nach dem ersten Stein zu greifen, die Krähen hocken lieber züchtig nebeneinander und schimpfen stattdessen zum flimmernden Plappergei hinüber. Die Angst, die eigene Glaubwürdigkeit, diesen vermeintlich letzten Vorteil gegenüber dem TV, zu verlieren, ist offensichtlich groß. Doch die Gefahr, sie genau dadurch zu verraten, auch. Und ob die Anzeigenschalter noch lange im Ghetto des "Werbeumfelds" bleiben wollen, wenn sie auch mitten in der Redaktions-City wohnen können, ist sowieso fraglich. Der bitter fade Nachgeschmack des Ganzen: Die Publikumspresse unterschätzt die Qualität ihrer Leser. Wo doch gerade die das beste Argument sein sollte im Poker um die schönen Werbeetats.
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