Bärendienst

Medientagebuch Von "Aspekte" bis "Temperamente": Eine Woche mit Kulturmagazinen

Eine Polizistin führt das Mädchen unter einer Decke zum Polizeiauto; Kameraschwenk durch den engen Raum; ein Passfoto des Entführers; belegter Off-Kommentar. Den ganzen Tag schon hatten alle Sender diese Bilder von "Österreichs Fall Dutroux" geloopt. Kein Grund für die 3Sat-Sendung Kulturzeit, das alles nicht noch einmal vorzuführen - als durchweg überflüssigen Vorspann für ein Gespräch mit einem Psychologen. Wohl um das Thema in ein feuilletonistisches Format einzupassen, fragte Moderator Ernst A. Grandits gegen Ende des Interviews nach dem Verhalten der Medien in solchen Fällen. Der Experte mahnte erwartungsgemäß Zurückhaltung an. Zu spät. Denn schließlich hatten sich die 3Sat-Redakteure gerade selbst beteiligt an der Jagd nach den Bildern dieser Tat.

Dass das Fernsehen seine Themen danach aussucht, ob sie sich visuell umsetzen lassen, ist keine Neuigkeit und gilt natürlich in gleichem Maße für Kulturmagazine. Filme lassen sich demnach im TV ganz prima vorstellen, Bücher nicht so gut (entweder man inszeniert den Autor oder die Landschaft) und auch mit der Musik fällt´s manchem schwer. Zwar dudelt im Hintergrund immer irgendetwas, reine Klänge und Instrumenten spielende Menschen dagegen scheinen nicht ganz geheuer. Deshalb lauscht man in dem Aspekte-Porträt der Mezzosopranistin Magdalena Kozena (das ist die Frau von "Stardirigent" Simon Rattle) leider weniger ihrem Gesang als vielmehr ihren Äußerungen über die Liebe (sie ist die Frau von Simon Rattle) und einem hoffnungslosen Off-Text über "das neue Glamourpaar der klassischen Musik" (sie ist die Frau von Simon Rattle!).

Wie man das richtig macht, zeigt die Arte-Kultursendung Metropolis am Samstagabend in einem Beitrag über den Blues-Meister B.B. King. Da wundert man sich nicht nur einmal, wie lange so ein Sprecher glücklich schweigen kann, um den herrlichen King-Sound erklingen zu lassen. Ein guter Schnitt sowie eine immer anregende Zusammenstellung von Text und Bild tun das Übrige, um zu beweisen, dass Weiterbildung in Sachen Kunst Kultur eine unterhaltsame Sache ist. Was womöglich auch daran liegt, dass Metropolis keine letzten Sätze zum Thema tun will, sondern nur einen ersten Einblick gewährt, der den Raum öffnet fürs Selberweiterdenken. Als B.B. King von dem ersten Mal erzählt, da er vor einem überwiegend weißen Publikum spielte, sagt er nur: "Was mir das bedeutet hat, würde ich gerne beschreiben, aber ich kann es nicht." Und das bleibt dann so stehen - ganz ohne das übliche Schwadronieren über Rassenunterschiede und Kulturkämpfe. Bei Arte scheint man ganz zu Recht davon auszugehen, dass jedes Feuilleton politisch ist. Und weist also nicht andauernd darauf hin.

Metropolis, das übrigens ganz gut ohne Moderation auskommt, ist das Zuckerl am Ende einer Woche Kultur-TV. Der Beitrag über den Vergewaltiger-Film Der freie Wille ist so angemessen kurz gehalten wie auch die Würdigung des 50-jährigen Bestehens der Jugendzeitung Bravo. Den PR-Spektakeln setzt man lieber eigene Themen entgegen, vergangenen Samstag etwa (neben B.B. King): den Musiker Gonzales, die Abuelas del Plaza de Mayo, die Modekünstlerin Lisa D. und den "Führerauftrag", deutsche Fresken und Deckengemälde in Diafotos festzuhalten. Sagt Ihnen alles nichts? Na wunderbar, was will man mehr!

Kulturzeit ist es kaum übel zu nehmen, dass es der kulturellen Agenda arg brav folgt, schließlich läuft das Magazin fünfmal pro Woche und ist also so etwas wie die Tagesthemen in Sachen Kultur. Dass sich Aspekte (ZDF), titel thesen temperamente (HR/ARD) und andere Magazine, die viel, viel seltener senden, zumindest inhaltlich so sehr gleichen, statt ernsthaft um Themen zu konkurrieren, ist dagegen schwer zu verschmerzen. Immerhin regt es zu Vergleichen an - wobei Aspekte nicht gut wegkommt: Die Texte vieler Beiträge würde jede zuständige PR-Abteilung ohne Änderungen übernehmen. Da wandelt Moderatorin Luzia Braun durch das wiedereröffnete Grüne Gewölbe in Dresden - die Preziosensammlung von August dem Starken -, schwärmt über diesen Mohren und über jenes Goldstück, nicht ohne am Ende darauf hinzuweisen, man solle sich schnellschnell Karten besorgen, denn "die Tickets sind begrenzt" (gemeint ist vermutlich die Anzahl). Auch die Vorstellung des Films Das Parfum fingiert ihr kritisches Niveau nur.

Wie anders ttt. Über das Grüne Gewölbe weiß man viel zu erzählen, etwa von den Methoden und Menschen, die diese Restaurierung möglich machten. Auch Das Parfum erfährt eine deutlich schärfere Kritik, die schlüssig zusammenfasst, was Film und Buch unterscheidet. Aussehen wie Charakter der Hauptfigur - im Roman von Patrick Süskind ein hässlicher, misanthropischer Zwerg - seien "geschönt" worden, unter der Regie von Tom Tykwer habe der Duftmischer Grenouille plötzlich ein Gewissen bekommen. Das ist interessant - gerade weil der Regisseur bei Aspekte noch sagte, was für einen tollen Film dieses Buch abgibt. Ohne dass der Kommentar irgendwelche Einwände zu bedenken gab.

Meist beruht diese Oberflächlichkeit gerade nicht auf einem Mangel an eigener Meinung, sondern im Gegenteil auf fehlender unvoreingenommener Recherche. Noch einmal am Beispiel Kulturzeit: Ein Jahr nach Hurrikan bemängelt der Beitrag, dass die schwarze Unterschicht nicht zurückkehren dürfe und dass vom Jazz nichts mehr zu sehen sei. Warum ein Häuserblock, in dem einst Sozialhilfeempfänger lebten, gesperrt bleibt, wird gar nicht erst hinterfragt, stattdessen sieht man mehrmals den bösen Zaun drumherum. Und dass es nicht schon vor dem Hurrikan die Sexshops und Technomusik in New Orleans gab, die der Film so vorwurfsvoll zur Schau stellt, darf wohl getrost bezweifelt werden. Nach ein paar Minuten sind die Schuldigen ausgemacht, ist die Meinung mithilfe propagandistischer Methoden dargelegt. Das taugt vielleicht, um auf einer Party total politisch-kritisch rüberzukommen. Der Kultur aber, die von Diversität und Reflektion lebt, erweist man damit einen Bärendienst.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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