Diese Woche war die Kommissarin Rosa Roth in Gefahr. Im dreiteiligen Special Der Tag wird kommen geriet die Ermittlerin zwischen die Fronten - "innerhalb kürzester Zeit steht sie beruflich und privat am Rande des Abgrunds", heißt es im zugehörigen Pressetext. Dass eine Sonderausgabe des erfolgreichen Krimis nicht nur den Terrorismus im Stil der Echtzeit-Serie 24 zum Thema macht, sondern auch die Aufklärerin selbst ins Fadenkreuz stellt, war zu erwarten gewesen. Denn kein Krimi scheint mehr ohne die Selbstbeteiligung seiner Kommissare auszukommen.
Im vergangenen Jahr geriet bereits Senta Berger alias Dr. Eva Maria Prohacek unter Mordverdacht, und der Münchner Tatort-Kommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) saß mit einem leidlich Irren im Aufzug des Olympiaturms fest, nachdem der ihm hinterrücks eine nicht näher definierte Substanz gespritzt hatte. Mehr und mehr scheint der Körper des Kommissars ein Einsatz im Spiel um die Wahrheit - ein Körper, der sich von dem des Schauspielers nunmal nicht unterscheiden lässt. Weil Maria Furtwängler gerade schwanger ist, ist auch ihre Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm schwanger. Oder waren die Kausalitäten doch umgekehrt? Die Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind jedenfalls nicht nur beabsichtigt, sondern durchweg eingeplant, ja programmatisch im besten Sinne.
Und wenn das nicht derart umstandslos wie bei Maria Furtwängler zu machen ist, muss sich wenigstens die Figur weitestgehend einbringen, um die eigene Betroffenheit hinreichend zu verdeutlichen. Während manche Krimiserien immer kühler agieren und à la CSI nurmehr den biologischen Beweisen der Toten und keinesfalls mehr den Lebenden trauen, erzählen die anderen immer öfter vom bedrohten Körper der Ermittler. Die leibliche Involviertheit des Personals scheint vielen TV-Autoren offenbar der beste Garant für Spannung. In der US-Serie Profiler etwa geht es um nichts anderes mehr als den Verrückten Jack, der den Ehemann der Protagonistin Sam umgebracht hat und nun auch allen anderen ihr Nahestehenden nach dem Leben trachtet.
Im Fernsehen ist die Polizei also vor allem damit beschäftigt, sich selbst zu schützen - als fände das Verbrechen nicht mehr auf den Straßen von San Francisco statt, sondern ausschließlich im Innersten der Exekutive selbst, die es gleichsam frei Haus geliefert bekommt und dadurch immer wieder als durchweg bedrohte Institution erscheint - gerade ob der Menschlichkeit ihrer Ermittler. So kehrt sich die Privatisierung des Fernsehkrimis letztendlich gegen sich selbst. Denn wenn Bösewichte ihre kriminelle Energie vorwiegend gegen ihre Verfolger richten, schließt sich der Kreis der Gewalt, der Raum des Verbrechens verengt sich und dichtet sich gleichsam ab gegen alles jenseits seiner selbst - auch gegen die Zuschauer und deren Wirklichkeit. Diese zusammengeschnürte Selbstreflexivität führt dazu, dass vom echten Leben bald nichts mehr zu sehen sein wird. Denn wer es auf Polizisten abgesehen hat, ähnelt meist eher dem durchtrieben schlauen Hannibal Lecter aus Das Schweigen der Lämmer als dem Durchschnittsmörder im hirnlosen Affekt. So werden jegliche Täter zu Psychopathen stilisiert, und der Erkenntnis, dass das Böse tatsächlich viel banaler ist, wird ein ums andere Mal widersprochen.
Ganz abgesehen davon, dass es die Trennung der Gewalten gründlich unterminiert. Man stelle sich nur vor, Derrick wäre zu seiner Zeit von einem Durchgedrehten bedroht worden. Vermutlich wäre alles so korrekt abgelaufen, wie es sich gehört, und er hätte den Fall einem zuverlässigen Kollegen in die Hände gegeben. Doch dahingehend herrscht heute fröhliche Anarchie, aus dem Verbot ist längst eine Verpflichtung geworden. Gerade weil Profilerin Sam ständig selbst in Gefahr ist, ist sie die Beste für den Job und muss sich und ihre seherischen Qualitäten einbringen in den Fall. So wird die Objektivität von Außenstehenden zum Störfaktor, während im Innern die Grenzen verschwimmen, die Tat und deren Aufklärung gehen ineinander über. Dass Serien wie Blackout und eben auch Unter Verdacht gerade die Wölfe im Schafspelz im Visier haben und hatten, ist da kein Zufall. Gegen klare moralische Trennungen wehrt sich die Welt schließlich und zu Recht schon lange. Nur, dass das meist auf Kosten der Opfer geschieht, übersieht sie dabei. Denn regelrechte Opfer gibt es gar keine mehr, alle, die man heutzutage als solche auf dem Bildschirm präsentiert bekommt, können sich ja so wunderbar wehren, steckt ihre Knarre doch stets griffbereit im Halfter. Schimanski wurde für eine derartige Selbstjustiz wenigstens noch jedes Mal suspendiert.
So gilt "Du, Opfer!" nicht nur auf Pausenhöfen, sondern mittlerweile offenbar auch im Fernsehen als Beleidigung. Nichts anderes nämlich meint die paranoide Erzählung vom hinterlistigen Täter. Wenn Polizisten selbst in Gefahr geraten, fallen Opfer und Ermittler in eins, die Erlaubnis zum Schuss ist immer schon erteilt - offiziell, weil ein Polizist das eben darf, innerhalb der semantischen Logik handelt es sich jedoch stets um eine private Reaktion aufs Opferdasein, gleichsam um Notwehr also. Die Motive der Täter geraten derweil aus dem Blickfeld, meist genügen krude Kindheitserlebnisse oder weltumspannende Machenschaften, um deren abstruses Tun zu rechtfertigen; von sozialen Gründen keine Spur. Das Böse ist so irrational wie allgegenwärtig. Und das Gute von vorneherein so betroffen wie bewaffnet.
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