Der Unterschied zwischen Tarif und Penis

Diskriminierung Verstößt es gegen die Grundrechte der EU, wenn Frauen weniger fürs Auto und mehr für die Rente zahlen? Ja, entschied der Europäische Gerichtshof - zur rechten Zeit

Lange Zeit verstand sich der Begriff der Diskriminierung als wertfreies Synonym für den Vorgang des Trennens und Unterscheidens und wurde wohl deshalb nicht allzu oft benutzt. Doch als im 20. Jahrhundert das Unterscheiden selbst in Misskredit geriet, weil es stets das Eigene und das Andere definiert und das Andere dabei erwartungsgemäß schlechter wegkommt, begann seine steile Karriere als Wort, das von Herabsetzung, Ungleichbehandlung und Benachteiligung erzählt – und das sich schließlich auch die Europäische Union auf die Fahnen schrieb, freilich mit einem „Anti-“ als Präfix.

Erst am vergangenen Dienstag stand am Gerichtshof in Luxemburg wieder einmal eine Interpretation des Begriff an. Die Europäische Union verbietet jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und verlangt im Umkehrschluss die Gleichheit von Männern und Frauen in allen Bereichen. Verstößt es also gegen die Charta der Grundrechte der EU, dass Versicherungsunternehmen das Geschlecht in ihre Tarifberechnungen einbeziehen? So ist es ja: Männer zahlen ein bisschen mehr fürs Auto, aber weniger für die Rente. Die Statistik sagt nämlich: Frauen fahren sicherer und leben (nicht nur deshalb) länger.

Was in manchen Ohren nach fader juristischer Verhandlung klingen mag, bedeutete tatsächlich mehr als das. Die Auseinandersetzung benennt all die Widersprüche, die in der Debatte über Emanzipation und Feminismus nicht selten die Fronten gerade zwischen den weiblichen Diskutanten verhärten: Ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen bloß ein biologischer oder auch ein sozialer? Lässt sich das überhaupt trennen? Rechtfertigt dieser Unterschied eine unterschiedliche Behandlung, ja, fordert er diese vielleicht sogar ein? Oder muss im Gegenteil, Stichwort Frauenquote, eine statistische Gleich­behandlung vorausgesetzt werden, damit der physische Unterschied nicht auch einen sozialen macht? Ungleichbehandlungen, die auf die Biologie zurückgeführt werden, darf es in der EU per Gesetz nicht geben. Das ist keine Leugnung der nicht zu ignorierenden äußerlichen Unterschiede, sondern vielmehr deren Anerkennung: Gerade als solche dürfen sie keine Rolle spielen, um nicht zu Selektionskriterien zu gerinnen. Und so erklärte Juliane Kokott, Generalanwältin am Luxemburger Gericht, denn auch, dass das Geschlecht als Berechnungs­faktor von Versicherungstarifen nicht dienen darf. Womit sie nichts gegen die Statistik gesagt haben wollte, solange diese nicht mit diskriminierenden biologischen Fragen einhergeht. Die Richter folgten dieser Argumentation und verpflichteten die europäischen Versicherungen, spätestens ab Dezember 2012 ausschließlich Unisex-Tarife anzubieten.

Der Entschluss kommt zur rechten Zeit: Ein Grund also, den Frauentag am 8. März als Freudentag zu feiern? Der Aufschrei diverser Lobbyverbände, die umgehend Teuerungen ankündigten, ist jedenfalls kein Argument dagegen. Auch den Einwand, dass die neue Regelung womöglich gar keine Vorteile, sondern eher Nachteile für Frauen berge, darf man weit von sich weisen, da er schon wieder den Mann als Norm und die Frau als sein Anderes begreift: Frauen soll man beileibe nicht dafür entschädigen, dass sie sich von Männern unter­scheiden. Sie dürfen aber auch nicht darauf reduziert werden, dass sie ohne Penis und mit Gebärmutter auf die Welt kommen. Auch wenn die Statistik es sich gerne so einfach machen würde.

Katrin Schuster schreibt im Freitag vorwiegend über Medien- und Literaturthemen

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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