Ein todsicheres ­Rezept

Medientagebuch Eine Rückrufaktion der besonderen Art: Warum Werbung, die an Gefühle appelliert und keine Produkte preist, die Finger von der Ironie lassen sollte

Bislang war ich verschont geblieben von Rückrufaktionen, von denen man mittlerweile fast täglich zu lesen meint. Aber jetzt hat es mich auch erwischt. Und wie passend: Kein technischer Produktfehler bedroht meine körperliche Versehrtheit, sondern ein rhetorischer Mangel. Zurückgerufen wird – man höre und staune – eine Postkarte. Die klebte in der Herbstvorschau des Verlags Hoffmann Campe, um einen Kriminalroman zu bewerben. Auf der Karte wurde eine der „todsicheren Rezeptideen“ der Heldin ­Maxie Kaiser zum Besten gegeben: „Wildkaninchen mit Kapern“ – und ein paar weiteren Zutaten, darunter auch drei Blätter Fingerhut. Neben dem Flyer ist von einer „Kooperation mit dem Feinschmecker“ die Rede, was auf eine leckere Mahlzeit schließen ließe. Wenn sie nur nicht tödlich enden würde: Fingerhut enthält das Gift Digitalis.

Eine Leiche mit beiliegender Verlagswerbung wollte man wohl lieber nicht gewärtigen müssen, deshalb ist die Rechtsabteilung von Hoffmann Campe eingeschritten. Das Risiko ist so ­gering tatsächlich nicht, schließlich war die Rezeptkarte dazu gedacht, unter die Leute gebracht zu werden. Ein kurzes Ziehen genügt, schon hat man sie aus ihrem PR-Zusammenhang gelöst und die Worte „Mord“ oder wenigstens ­„Krimi“ kommen nicht mehr vor, so dass sie von einer der ­üb­lichen Sammelkarten aus Kochzeitschriften kaum zu unterscheiden ist. Zudem wächst Fingerhut in vielen ­Gärten, deren Besitzer womöglich nicht alle von dessen fataler Wirkung ahnen – und die Ironie des Rezepts folglich nicht erst begreifen. Vor allem wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen ist. Nur in Verbindung mit der Anzeige des neuen Buches ist die fiktionale Grundlage einer mordlustigen Köchin ­erkenntlich, zu der dieses „Rezept“ zu passen scheint.

„Ironie – versteht der Leser nie“, lautet ein Gebot im Journalismus; Glossen werden deshalb meist als solche gekennzeichnet, um den Widerspruch zwischen wörtlicher und gemeinter Bedeutung zu markieren. Und wer einen Roman mit einer ähnlich tödlichen ­Anleitung in Händen hielte, der wüsste eben, dass es sich um einen Roman handelt. Die Werbung aber entledigt sich zunehmend des Rahmens, der die Ironie überhaupt erst zur Ironie macht – und zwar nicht nur, wenn sie Guerilla-Marketing betreibt. Oft konterkariert sie absichtsvoll ihre eigentliche Aufgabe, indem sie sich lustig macht über das Informationsbedürfnis der Zielgruppe (auf manchen Verpackungen findet man seit geraumer Zeit etwa die Zutat „viel Liebe“); Fakten und Daten der angepriesenen Produkte sucht man in Spots und auf Plakaten dagegen meist vergeblich.

Stattdessen werden die Märchen von der „Bestseller“-Autorin, von der „verbesserten Rezeptur“, dem „unschlagbaren Preis“ und dem „Extraschuss Milch“ unters Volk gebracht. Und wer aus diesem Volk so etwas einmal wirklich ernst nimmt, dem streckt die Werbung die Zunge heraus: War doch nur ein Witz, dass unser Deodorant die Frauen scharenweise anlockt, dass unsere ­Limonade Flügel verleiht, dass unser Auto auch mit 180 Stundenkilometer wie auf Schienen durch die Kurven ­gleitet, dass man Kaninchen mit Fingerhut würzt.

Über eine Werbung, die nicht mehr von Produkten, sondern allein von den Gefühlen erzählt, die deren Besitz angeblich erzeugen, schrieb Klaus Kreimeier vor mehr als zehn Jahren: „Die Erfinder der emotionalen Commercials haben es darauf angelegt, diejenigen, die ihre Aussagen überprüfen wollen, einfach um die Ecke zu bringen.“ So hart muss man es nicht ausdrücken, aber etwas Wahres steckt in diesem Satz. Nur hoffentlich im Fall von ­Hoffmann Campe nicht.


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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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