Von einer "großen Krise" oder gar einem "bösen Fluch" ist die Rede, von "Hiobsnachrichten" und davon, dass "etwas nicht stimmt": "Eine Krankheit geht um." Wenn Metaphorik im religiösen und medizinischen Vokabular wildert, dann weiß man, dass es ernst ist - oder zumindest als sehr ernst empfunden wird. Von wem aber stammen die Worte? Geschrieben sind sie von Fernsehkritikern, die gerade mit Ach und Wehe das so genannte "deutsche Seriensterben" verfolgen: Während US-Produktionen wie CSI oder Dokusoaps wie Raus aus den Schulden wunderbare Quoten erreichen, gelingt das eigenproduzierten fiktionalen Serien eher selten. Entsprechend harsche Reaktionen folgen meist auf dem Fuße: Die Anwälte (RTL) mit Kai Wiesinger wurde nach nur einer Folge abgesetzt, Herzog (RTL) mit Niels Ruf nach dreien; und eben zittert Pro Sieben um Unschuldig mit Alexandra Neldel: Bei der ersten Folge war noch alles in Ordnung, zur zweiten schalteten allerdings gleich mal eine Millionen Zuschauer weniger ein. Dass von der beim Publikum wenig erfolgreichen Polizei-Serie KDD (steht für Kriminaldauerdienst) eine zweite Staffel produziert wurde, verdankt sich wohl allein der Gebührenfinanzierung des Auftraggebers ZDF: Nur wer nicht auf die Erlöse aus den Werbepausen angewiesen ist, kann es sich leisten, gegen das ostentative Desinteresse des Publikums anzusenden.
Dem Kulturpessimisten passt dabei selbstverständlich gut ins Bild, dass die Quoten mit steigender Qualität sinken - Herzog war gelungenes, Die Anwälte sehr gutes und KDD ist wahrhaft exzellentes, ganz zurecht mit dem Grimme-Preis prämiertes Fernsehen. Alexandra Neldel wiederum war bereits vor dem Start von Unschuldig für den Bayerischen Fernsehpreis nominiert. Die guten Serien-Ideen sterben folglich nicht aus, sie werden oft genug sogar produziert. Nur sind sie immer seltener auch im Fernsehen zu sehen, weil vor allem die privaten Sender schnell die Geduld verlieren und sie im Lager verschwinden lassen. Qualitätsfernsehen ist demnach nicht mehr nur in des Kulturpessimisten Augen eine Angelegenheit vergangener Tage, sondern verrottet mittlerweile ganz real im Archiv. Dass Fernsehjournalisten sich angesichts dessen so bedrohlicher Rhetorik bedienen - und sich beim Start der zweiten KDD-Staffel auffallend wortstark dafür ins Zeug gelegt haben - beweist nur ein weiteres Mal, dass es hier um mehr geht, als (nur) um die deutsche Fernsehserie.
"Ich habe das Gefühl, als befänden wir uns in einer Beerdigungsphase: das Ende der Fiktion", sagte KDD-Autor Orkun Ertener in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. So hoch muss man nicht stapeln - siehe die Erfolge der deutschen Fernsehfilme, ganz gleich, ob nun Tatort oder Pro-Sieben-"Funny Movie" -, denn Probleme machen sichtlich nur die fortgesetzten Erzählungen. Während CSI für Neuzuschauerzugänge jederzeit offen ist, da es ähnlich einer Reihe à la Tatort brav einen Fall pro Folge behandelt und die Figuren nichts als ästhetische Phänomene sind, erschwert KDD eben dies. KDD ist nichts für Zapper. Und: KDD ist nichts für die Zuhörer unter den Zuschauern. Wo man CSI genauso gut als Hörspiel rezipieren könnte, weil durchweg Text mitgeliefert wird, den man nicht anders als redundant nennen kann, braucht es bei den anderen genannten Serien immer die Augen; weil da Kameraleute am Werk waren, deren Bilder nicht in Hochglanz illustrieren, sondern einer eigenen Semantik gehorchen. Was natürlich nicht mitbekommt, wer gerade bügelt, im Internet surft oder den Hund füttert.
Man geht mithin nicht fehl, wenn man sich angesichts der Serienkrise tatsächlich ernsthafte Sorgen um das Fernsehen macht. Weil sich gerade in den Quoten solch konzentrationsbedürftiger Formate offenbart, wie viel der kostbaren Währung Aufmerksamkeit das Publikum in das Medium Fernsehen zu investieren bereit ist - ziemlich wenig. Auf Serien kann und wird dennoch kein Sender verzichten, denn in Zeiten derart schnelllebiger Konkurrenz ist sie eine der wenigen verbliebenen funktionalen Techniken der effektiven, weil quasi-familiären Zuschauerbindung. Was wiederum Geld bringt: Beinahe nichts verkauft sich bei Werbetreibenden so gut wie die erfolgreiche Regelmäßigkeit. Dass es mittlerweile lohnenswerter ist, fertige, also bereits bezahlte Produktionen vorzeitig abzusetzen und an ihrer Statt Wiederholungen ins Programm zu nehmen, liegt nicht nur daran, dass Serien wegen ihrer grundlegenden Dialektik von Neuem und Bekanntem immer schon um die Gefahr bloßer Kopie kreisen. Es demonstriert unmissverständlich, dass Dasselbe zur Zeit gefragter ist als das Gleiche oder das Ähnliche. In der Wiederholung hebt sich das Prinzip der Serie buchstäblich auf: Die Wiederholung ist die neue Serie.
KDD läuft freitags 21.15 Uhr im ZDF, Unschuldig mittwochs 20.15 Uhr auf ProSieben (wenn der Sender sich nicht kurzfristig anders entscheidet).
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