Pünktlichkeit, die deutsche TV-Tugend. "Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau" bedeutet in der Regel auch: Auf die Sekunde genau ist es 20.00 Uhr. Auch das ZDF blendet vor Beginn der heute-Sendung ein analoges Ziffernblatt ein, bis die Zeiger exakt 19.00 Uhr ausweisen, eine Serie von Globen sich dreht: Jetzt gibt´s das Neueste aus der Welt. Auf RTL sieht man in den Momenten, bevor RTL aktuell die Fakten des Tages kürt, bereits die Sprecher, wie sie vermeintlich heitere Worte wechseln, bevor auch ihre Stimmen auf Sendung gehen. Das Private der Moderatoren ist zwar sichtbar, Zusehers Ohr jedoch bleibt es zunächst vorenthalten. Bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten ist der unhörbare, unübersehbar persönliche Austausch im Danach aufgehoben: Die Moderatoren schieben ihre Aufzeichnungen zusammen, lächeln sich vielleicht an, sagen vielleicht etwas zueinander. Doch die Mikrofone sind schon abgeschaltet. Und lauter tönt ohnehin der Schlussakkord.
Sobald zwei in einem Nachrichtenstudio beisammen sitzen, sollen sie jedoch auch hörbar scherzen miteinander, das gilt bei den Öffentlich-Rechtlichen wie bei den Privaten: Längst gehört der nebennachrichtliche, gern ironische Schlagabtausch während der Sendung zum guten Ton - ein dezenter Hinweis, ein Versprechen am Rande, dass es sich bei den Ansagern um echte Menschen handelt. Das Soziale ist in den Apparat umgezogen: Seit die Tagesschau kein Familienereignis mehr darstellt, wird Allzumenschliches auch in den Nachrichtensendungen vorgeführt - nicht nur in den Beiträgen, sondern von den Moderatorendarstellern selbst.
Der deutsche Nachrichten-Abend beginnt um 18.30 Uhr. "Sat.1 News ist die erste Hauptnachrichtensendung des Tages im deutschen Fernsehen", verkündet der Sender auf seiner Internetseite stolz. Es folgen RTL um 18.45 Uhr, das ZDF um 19 Uhr; dann ist erst mal Pause bei den großen Sendern, bis um 20 Uhr gleich drei mit Informationen buhlen: Pro7-Newstime "aus dem Pro7-Infocenter", Tagesschau und die RTL2 News. Keiner wagt es, dem Publikum mehr als 25 Minuten Nachrichten zuzumuten.
Dabei muss man nicht der Erste sein, der den Tag zusammenfasst; jedoch: Das Schlusslicht will keiner mehr bilden. Das Zeitfenster, während dessen ein Interesse an Nachrichten besteht, gleicht offenbar eher einem Bullauge. Das gilt gleichermaßen für die Magazine: Weil ab 22.30 Uhr bereits erste Zuschauer in Richtung Bett abwandern, wird die ARD die Tagesthemen vorverlegen. Doch nicht nur dadurch geriet das Erste jüngst auf die Medienseiten deutscher Zeitungen. Auch ob Moderatoren besser sitzen oder stehen, wurde öffentlich diskutiert, war Anlass und Stoff für Berichte, Kolumnen, Interviews.
Die Presse ist sichtlich sensibel, wenn es um die ästhetische Aufmachung der Fernsehnachrichten geht. Wobei grobe Aussetzer ohnehin nicht auszumachen sind. Rot und Blau färben nach wie vor den Hintergrund des Weltgeschehens. Das Aufmerksamkeit heischende Rot brachten allerdings erst die privaten Sender ins Spiel. Pro7 informiert in Weiß und Rot, auch RTL2s weißen News-Bildschirm durchziehen rote Balken. "Zimmer, die rein in blau austapeziert sind", meint Goethe in seiner Farbenlehre, "erscheinen gewissermaßen weit, aber eigentlich leer und kalt." Eine echt seriöse Oberfläche eben. Sat1 wusste das von Anfang an, RTL bevorzugt mittlerweile ebenfalls die öffentlich-rechtliche Couleur.
Sitzen war den Privaten seit jeher zu statisch. Überhaupt bemüht man sich dort redlich um eine sanfte Dynamik. Kein Vergleich mit der eingefrorenen Perspektive bei ARD und ZDF: Auf Pro7 gibt es verhaltene Zooms und vorsichtige Schwenks durch das Studio, RTL-Anchorman Peter Kloeppel darf schon mal seinen Tisch verlassen und an einer mannsgroßen Animation der Discovery die Schäden, die die Raumfähre beim Start nahm, erklären. Computerspiel-Optik - im Falle des Amoklaufs in Erfurt noch harsche Worte wert - wird vielfach gebraucht. Als die Verantwortlichen des Unglücks im Mont-Blanc-Tunnel verurteilt wurden, scheute sich die ARD nicht, mithilfe von 3D-Technik zu illustrieren, wie es brannte, loderte, weiterfachte.
Nur Werbung treiben weder ZDF noch ARD mit schlechten Nachrichten, sie preisen die Sendungen überhaupt nicht an. Im Kurzüberblick, noch bevor der Moderator im Bild ist, werden die Ereignisse brav in der Reihenfolge ihrer Relevanz vorgestellt. Es geht auch anders: "Was bringt der Sommerschlussverkauf wirklich?" teast Pro7, noch bevor die Moderatorin zu sehen ist; RTL2 verkündet bereits kurz nach 19 Uhr, welchen Skandal es um 20 Uhr geben wird. Und während die öffentlich-rechtlichen Sender nur bei harten Themen Eigenwerbung betreiben, ziert man sich bei Pro7 nicht zu sagen: "Dazu später mehr in Focus TV", wenn man aus dem Sommerloch ein weiteres Mal das Thema "ausgesetzte Haustiere" gehoben hat.
Es sind diese so genannten weichen Themen, die die große Freiheit der Privaten darstellen: Bei den harten Fakten ähneln sich Bilder wie Texte, dagegen unterscheiden sich die Gesamtpakete deutlich. RTL2 hat seine Vip News als Unterabteilung und kauft überhaupt gern actiongeladene Szenen aus Amerika ein, die mit Politik nichts zu tun haben. Und dass man bei RTL oder Sat1 mehr auf Personalisierung, Emotionalisierung, Gewalt und Betroffenheit setzt ("Ferienhäuser in Gefahr" titelt RTL, wenn in Griechenland der Wald brennt), ist mittlerweile schon mehr Klischee als Neuigkeit, vor allem da ARD und ZDF auch schon ein wenig von diesem Blut geleckt haben.
Hier Bürger, da Verbraucher, lautet die Kurzformel, auf die man die eigentliche Differenz zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Nachrichten bringen kann. Deshalb ist das Topthema der Pro7 Newstime an einem Abend die jüngste Studie der Gesellschaft für Konsumforschung. Gleich im Anschluss warnt man konsequent vor umkippenden Autos und vor Karies bei Kindern und berichtet dann über die Eröffnung eines Drive-In-Baumaktes. Auf RTL laufen Werbespots, in denen sich die Moderatoren in der Kleidung ihrer Sponsoren durchs Bild drehen. Die Lebenshilfe ist endlich in den Nachrichten angekommen. Bevor der Zuschauer als mündiger Bürger politische Entscheidungen treffen darf, muss er schließlich erst mal die multiplen Gefahren des Alltags meistern: Reisen, Shoppen, Karies.
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