Schwarze Nächte heißt recht passend eine mehr als zehnstündige Anthologie zeitgenössischer Kriminalstories, die von populären (vor allem TV-Krimi-)Schauspielern gelesen werden. Der Titel gibt einen Hinweis, wieso dieses omnimedial kompatible Genre namens Krimi auch zum Hörspiel großes Talent hat: In schwarzen Nächten ist nicht viel zu sehen, daher die urmenschliche Furcht davor – und daher die Konzentration aufs Hören, das zum Horchen wird.
Ums Hören als Horchen ging es unverkennbar auch Barbara Liebster, die im Jahr 1988 Regie führte, als der Schauspieler Ernst Jacobi, damals gerade neu im Ensemble des Zürcher Schauspielhauses, Edgar Allen Poes Erzählung Der Untergang des Hauses Usher für den Schweizer Radiosender DRS einlas. Zum 200. Geburtstag des Krimi-Großvaters Poe hat der Merian Verlag das gute Stück wieder aufgelegt. Ganz zum Glück, denn das ist schon ein besonderes Exemplar des Hör-Krimis: So lange Strecken völliger Stille vernimmt man selten im unentwegten Getöne und Gerede der aktuellen Audioproduktionen, auch erzählt Ernst Jacobi nicht die Story, die Poe vor 170 Jahren erstmals veröffentlichte, sondern kostet den Text (in der Übersetzung von Arno Schmidt) in all seinen Silben und Tonfällen aus. So werden Poes Erzählung und Schmidts Sprache eben nicht als Inhaltsangabe, sondern als Poes Erzählung und Schmidts Sprache hörbar.
Repräsentativ für den Markt der Krimihörspiele ist die Usher-Aufnahme mit ihrer schlichten Eleganz selbstredend nicht. Denn dieses Genre neigt dazu, ein wenig dick aufzutragen; das Pathos der Action steht ihm ja seit jeher ziemlich gut. Und das gilt nicht nur für die meisten der fiktionalen Produkte: Mythos Wahrheit nennt sich ein wenig großspurig eine Reihe mit dem Untertitel Eine Spurensuche mit Musik und Geräuschen.
Die Features widmen sich gruseligen Gestalten im weitesten Sinne, eins handelt von Poe, eins von Frankenstein, ein weiteres von Sherlock Holmes. Das gibt sich manchmal sehr bemüht dokumentarisch, ist nichts für Kenner der jeweiligen Figuren, deckt auch keine falschen Mythen auf und enthüllt keine unbekannten Wahrheiten, bleibt im Gegenteil durchweg objektiv, da eine jeweilige eigene These gar nicht erst vertreten wird – und ist also für einen ersten Einstieg in die Biografien der Kriminalliteratur wunderbar geeignet.
An einer Erklärung der Popularität der Gattung ist allerdings auch diesen Publikationen wenig gelegen – obwohl gerade Poe und Holmes mit ihrem Spurenlesen und Zeichendeuten beste Hinweise geben könnten. Der Literaturwissenschaftler Richard Alewyn erkannte im Kriminalroman die „Emanzipation des Lesers vom Erzähler“ – und ein Kind des 18. Jahrhunderts: Durch die zu dieser Zeit einsetzende Hinwendung zur Ratio als letzter Begründung, so schrieb er, „wurden die aus dem Leben verbannten Wunder in eine Literatur abgedrängt, die es dem Leser gestattete, die verbotenen Früchte zu genießen, ohne seinem Unglauben untreu zu werden. … So erklärt sich die Hochflut von Geheimnis- und Schauerroman am Abend der Aufklärung. Ihr säkularisierter Abkömmling ist der Detektivroman.“
Dass letzterer heute eine erneute Hochzeit erlebt, könnte einem also zu denken geben. Das hat nicht erst die Einführung einer Krimi-Reihe beim vermeintlichen E-Literatur-Verlag Suhrkamp gezeigt, sondern – womit wir wieder bei der Akustik wären – bereits die Erfindung des ARD-Radio-Tatorts im vergangenen Jahr. Jeden Monat erscheint eine neue Ausgabe des föderal und zudem jeweils deutlich im Ländlichen verorteten Hör-Whodunnit. Das ist die zeitgemäße Variante des spannenden Hörspiels.
Daneben hat sich viel Melancholie breit gemacht, auch das wahrscheinlich eine Art Geburtsfehler der Gattung: „Er fällt mit der Leiche ins Haus“ lautet die Formel für das Wesensmerkmal des Detektivromans, in die der Philosoph Ernst Bloch diese ewige Sehnsucht nach Kausalitäten fasste. Es dürfte also kein Zufall sein, dass das Erforschen der Vorgeschichte nicht mehr nur innerhalb der Handlungen stattfindet, sondern mittlerweile die Gattung selbst betrifft: Auch ganz aktuelle Veröffentlichungen der Hörspielverlage widmen sich mit viel Sentimentalität der Erschließung oder wenigstens dem Zitat der Krimihörspiel-Historie.
Von der Krimi Kult Kiste etwa erscheint bereits die 5. Ausgabe, die Herausgeber haben dafür ein weiteres Mal tief in den BRD-Radio-Archiven der 1950er und 1960er Jahre gegraben und wahrlich wundersame Hörspiele zutage gefördert, in denen Schreie noch wirklich Schreie waren und die Männer noch Paul Temple, Paul Cox oder Philipp Odell hießen.
Auch die Reihe Gruselkabinett erinnert an längst vergangen geglaubte Zeiten, man darf sich von ihrem Äußeren nur nicht schrecken lassen: Ja, das ist genauso altbacken, wie es auf den ersten Blick aussieht – und ist gerade als solch vermeintlicher Anachronismus bestens anzuhören. Denn hier werden alle Register gezogen, hier wird geklotzt und nicht gekleckert.
Es knarzen Türen wie Stimmen, es gewittert bedrohlich und raunt nicht weniger furchterregend, Klavier wie Streichinstrumente schlagen einen bedrohlichen Takt an. Das ist natürlich die planste Illustration, die man sich für diese unheimlichen Geschichten – darunter H. P. Lovecrafts Dexter-Ward-Story wie Victor Hugos wiederholt popularisierter Glöckner von Notre Dame – vorstellen kann. Und eben deswegen vielleicht doch einer der passgenauesten, da unterhaltsamsten Audio-Umsetzung; da sie mit akustischen Zeichen arbeitet, die der Zuhörer gar nicht erst übersetzen muss, weil sie kulturell unmissverständlich sind. Schließlich soll er sein Talent zur Spurenlese nicht auf die Semantik der Töne anwenden, sondern als Co-Detektiv die mittels derer erzählte Geschichte zu entziffern helfen.
Der Fall des Hauses AscherEdgar Allen Poe, Übersetzung von Arno Schmidt, gelesen von Ernst Jacobi. Christoph Merian, Basel 2008. 1 CD, ca. 56 Min., ca. 12
Mythos WahrheitEdgar Allen Poe, Stimmbuch, Köln 2009, 1 Cd, ca. 76 Min.; Mythos Wahrheit: Frankenstein. Stimmbuch, Köln 2008. 1 CD, ca. 75 Min., jeweils 9,95
Die aktuelle Folge des Radio-Tatort jeweils eine Woche zum Download: radiotatort.ard.de
Krimi Kult Kiste 5 Der Hörverlag, München 2009. 11 CD, ca. 743 Min., 29,99
Gruselkabinett. Der Fall des Charles Dexter WardHoward Phillips Lovecraft Titania Medien, Leverkusen 2008. 2 CD, ca. 140 Min., 15,95 Gruselkabinett: Der Glöckner von Notre Dame Titania Medien, Leverkusen 2008, 2 CD, ca. 130 Min., 17,95
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