Jeder Hype ist irgendwann vorbei. Und doch werden, wenn schon niemand mehr vom Edelpensionär Thilo Sarrazin spricht, Begriffe geblieben sein – gefühlte Wahrheiten wie jene über die „Integrationsunwilligen“.
So oft sie auftauchen, so unbestimmt bleibt, wer damit gemeint ist. Etwa zehn bis 15 Prozent der Migranten seien „integrationsunwillig“, hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bei der Vorstellung des neuen Integrationsprogramms erklärt. Weder eine klare Definition nennt der Minister dafür, noch gibt es allgemein akzeptierte Indikatoren. Reicht es zur „Integrationsunwilligkeit“ bereits, wenn Eltern nichts dagegen unternehmen, dass ihre Kinder die Schule schwänzten, wie FDP-Generalsekretär Christian Lindner meint – und Bußgelder fordert? Oder sind jene Migranten – de Maizière spricht von 30 Prozent – gemeint, deren Deutsch schlecht ist und die Sprachkurse nicht aufsuchen oder vorzeitig verlassen? Was sagt ein Begriff wie „integrationsunwillig“ über eine Mehrheitsgesellschaft aus, in der Eltern ihre Kinder nur in Schulen schicken, deren Migrantenquote ihnen akzeptabel erscheint?
Man sollte die Debatte auf den Kopf stellen: Deutschland ist eines der integrationsunwilligsten Länder Europas. Kaum irgendwo sonst haben es Einwanderer so schwer, sind Bildungschancen und Karrieremöglichkeiten so schwer für sie erreichbar.
Wer hierzulande über Ziele und Erfolge von Integration spricht, redet nicht zuletzt über die Sprachbarriere. Rund 1,1 Millionen Zuwanderer können „nicht ausreichend Deutsch“, hat das Innenministerium ermittelt. Die zwischenzeitliche Empörung über möglicherweise lernunwillige Migranten konnte etwa der Paritätische Wohlfahrtsverband recht gut abfangen. Dessen Vorsitzender Eberhard Jüttner wies darauf hin, dass für Kurse zu wenig Geld bereit gestellt werde, weshalb die Nachfrage größer als das Angebot ausfalle. Anbieter von Deutschkursen wiesen darauf hin, dass ein stark betonter Zwang zum Kurs dem Lernklima abzuträglich sei. Anderswo in Europa steht die Motivation der Migranten im Mittelpunkt. Deutsch ist schwer, vermutlich aber nicht schwerer als Schwedisch. Wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zum Lebenslangen Lernen im europäischen Vergleich feststellte, ist Deutschland auch bei der Sprachförderung Erwachsener Mittelmaß, während die skandinavischen Länder die Ranglisten anführen.
Lernmotivierter Nachwuchs
Was den Nachwuchs angeht, so heißt es etwa in einer OECD-Studie von 2003 zum Vergleich der Erfolgschancen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, diese seien „lernmotiviert und haben eine positive Einstellung zur Schule“ Sie hielt damals fest, dass vor allem die Qualität der Sprachförderungsprogramme in Schulen dafür ausschlaggebend sei, wie erfolgreich Kinder aus Migrantenfamilien die Unterrichtssprache lernen konnten, und wie erfolgreich sie dadurch in der Schule wurden.
In Schweden werden Migrantenkinder qua Rechtsanspruch in ihrer Muttersprache unterrichtet. Das klingt bei bis zu 20 Herkunftsländern pro Schulklasse etwa in Berlin recht anspruchsvoll. Doch weisen Sprachforscher seit geraumer Zeit darauf hin, dass eine Zweitsprache vor allem dann erfolgreich gelernt wird, wenn auch die Erstsprache differenziert beherrscht wird. Dies kommt zumindest für die Großstädte mit starken türkischstämmigen Communities einem Aufruf gleich, sich auch um Türkischunterricht zu bemühen.
So bleibt vorläufig eine Erkenntnis: Anstatt an eine undefinierte Gruppe der „Unwilligen“ zu appellieren, sie möge sich endlich eingliedern, ist es Zeit anzuerkennen, dass diese Menschen bereits Teil der Gesellschaft sind. Ein Teil, der ausgegrenzt lebt. Den wir eingliedern wollen müssen. Wenn wir daraufhin unsere Bildungsangebote kritisch beäugen und ändern, dann werden wir die jeweils jüngsten Bildungsstudien einmal nicht mehr als x-te demütigende Wiederholung der Mittelmaß-Fachkräftemangel-Diagnosen erleben.
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