30 tage ohne oben (21)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der Chef ist weg, der Boss, der Köhler. In 9 Tagen wird ein neuer Bundespräsidentenmensch gewählt. Wie fühlt er sich an, der Alltag so ohne richtiges Staatsoberhaupt? Ein Tagebuch.

Jetzt werden die Tage wieder kürzer, und noch immer ist kein Sommermärchen in Sicht. Die Gurkentruppe schießt sich selbst ins Abseits, Löws Volksvertreter stehen vor der Selbstvertrauensfrage. Selbst im Leipziger Sommertheater machen sie dieses Jahr ernst: Goethens Wahlverwandschaften. Hat auch die CDU beim Koalieren mit der FDP insgeheim an die SPD gedacht? Und die FDP an die CSU? Und sieht das Kind da unten im Brunnen deshalb jetzt aus wie eine Mischung aus Wowereit und zu Guttenberg?

Ich bekomme Angst vor meiner Phantasie und schlage die Tagespresse auf. Schööööön! So wunderschöne Fotos von der wunderschönen Traumhochzeit im wunderschönen Schweden. Liebe, Glanz und Gloria. So stellen sich ganz kleine Mädchen ihre Zukunft vor. Irgendwann hört das auf. Aber warum kommt es zurück? Warum schauen sich Millionen das im Fernsehen an? Ist es die Sehnsucht nach der guten Nachricht? Der unbedingten Zuneigung?

„Die Hochzeit begeisterte Untertanen im ganzen Land“, berichtete das ZDF. Träumen Merkel, Gauck oder Wulff nicht auch von einem Meer winkender Untertanen? Von einem Diederich Heßling als Max Mustermann des deutschen Michel? Da weiß man, was man hat.

Eilten die Herrschenden statt in aggressiv-schnittigen Karossen in offenen Kutschen zum Dienst – ihre Arbeit wirkte gleich viel offener, irgendwie volksnäher. Staatsminister könnten im Galopp einem Rentner über den Kopf streichen oder einem Kindlein zwei Gulden zustecken. Selbst das zeremonielle Abdanken überdrüssiger Monarchen hätte mehr Stil als diese überstürzten Pressekonferenzen. Konsequente Hofberichterstattung würde vielen die Arbeit erleichtern.

Immerhin: ein Schloss steht schon. König Wulff klingt, das muss man leider sagen, irgendwie klassischer als König Gauck. Womit auch das entschieden wäre. Die Sache mit der Erbfolge müsste freilich noch geregelt werden. Dann wird der Leitzins vom Lehnzins abgelöst und die Berliner Monarchie kann sich schon bald ein neues Schloss leisten, einen richtigen Palast in der Mitten der Stadt ... Das wäre mal ein Sommermärchen!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer