Literarisches Einzelgängertrinken für alle

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Alle 24 Stunden wird ein Jackpot geknackt. Von A wie Alemannischer bis Z wie Zwickauer gibt es mehr deutsche Literaturpreise als das Jahr Tage hat. Wobei es mal um Glamour geht, mal um Ehre. Und oft genug auch um den sozialen Aspekt, denn kaum ein Autor kann vom Schreiben leben.

Dazwischen liegt der Rheingauer Literaturpreis. Der hat es in sich, ist dotiert mit 10 000 Euro und 111 Flaschen Riesling. In diesem Jahr bekommt ihn Josef Haslinger für seinen Roman „Jáchymov“, der am 12. August erscheint. Der Schriftsteller ist Direktor des Deutschen Literaturinstituts Leipzig – und als Österreicher mit dem Zusammenspiel von Wein und Literatur, wie er sagt, durchaus vertraut.

Der ausgezeichnete Roman ist noch nicht im Handel und darf also, so wollen es die Gepflogenheiten, noch nicht rezensiert werden. Haslinger verschränkt eine historisch authentische Geschichte mit fiktivem Personal und Erkenntnissen der Gegenwart. Im Kurort Jáchymov lernt der von Morbus Bechterew gepeinigte Verleger Anselm Findeisen eine Frau kennen, je nach Erzählperspektive „Struwwelpeter“ oder „die Tänzerin“ genannt, die ihm die Geschichte ihres Vaters erzählt: Bohumil Modrý – gefeierter Tormann der tschechoslowakischen Eishockey-Nationalmannschaft, die mit ihm 1947 erstmals Weltmeister wurde. Modrý war in seiner Heimat ein Idol.

Nach dem politischen Umsturz und weil die Mannschaft „bei der sich neu ausbreitenden Mode der Unterwürfigkeit nicht mitmachen zu müssen meinte“, wurden die, die nicht emigriert waren, geschlossen verhaftet. Modrý kam ins Gefängnis, dann ins Arbeitslager nach Jáchymov. Der Vorwurf: Verleumdung der Sowjetunion, Hochverrat, antisowjetisches Verhalten. Zwar wurde er 1955 begnadigt, starb aber an den Folgen der Verstrahlung im Uranbergwerk.

Findeisen bittet die Tänzerin, diese Geschichte aufzuschreiben. Und so wechseln im Roman Manuskriptauszüge mit älteren Prosatexten der Tänzerin und Gesprächen der beiden; und Haslinger weitet den Blick auf jenen Teil des vergangenen Jahrhunderts, als es in Osteuropa „diesen Glauben gab, diese Zuversicht auf eine gerechtere Zukunft, in der wir es der Welt zeigen wollten“. An den Schnittpunkten der Erfahrungen des in der DDR aufgewachsenen Findeisen mit denen der aus Prag stammenden Tänzerin – beide leben seit Mitte der 70er in Wien – entwickelt Haslinger aus Porträts und historischen Fakten Literatur.

Was aber ist mit den Schnittstellen von Literatur und Wein, die der Rheingauer Literaturpreis vermuten lässt? In „Jáchymov“ ist der Arzt-Freund Findeisens ein Alkoholiker, der in erster Linie Gemütlichkeit und Weisheit ausstrahlt. Findeisen selbst nimmt zum leichten Mittagsmenü ein Glas Weißwein. Nein, es gehört in Wien ohnedies dazu.

Und was ist mit den Literaten? Natürlich gebe es „literarisches Einzelgängertrinken“, sagt Haslinger der Leipziger Volkszeitung in einem Interview. „Alle Schriftsteller, die ich kenne, sind – mit wenigen Ausnahmen – gestandene Trinker. Der Einsatz von Alkohol, überhaupt von Rauschmitteln, hat eine alte Tradition“, sagt der 56-Jährige. Er weiß, „dass viele allein vor sich hin trinken, wenn sie schreiben. Oder zumindest, wenn sie versuchen zu schreiben. Oder auf dem Wege sind zu schreiben. Oder verhindern wollen, schreiben zu müssen. Also: Eine Verbindung zum Schreiben ist dann doch da.”

Es müsse eben jeder „seine eigene Technik“ entwickeln. „Wenn es um Ausarbeitung geht, um Formulierungen, hat sich bei mir jedenfalls Alkohol als nachteilig erwiesen. Was ich in betrunkenem Zustand schreibe, ist hoch revisionsbedürftig. In der Phase aber, in der man Ideen sucht und herumsinniert, eine Art literarisches Brainstorming betreibt, mögen solche Mittel geeignet sein, die Wände des eigenen Denkens und Vorstellens etwas zu öffnen.“

Die Weltliteratur wäre überschaubar, würden Alkohol und Schreiben einander ausschließen. Und was die Literaturvermittlung, kurz: Lesungen betrifft, sieht es ähnlich aus. Auch hier ist alles eine Frage der Balance. Während die sogenannten Wasserglaslesungen das Publikum an den Rand des Tiefschlafs führen können, gerieten die Performances von Charles Bukowski oder Harry Rowohlt zuweilen zum Stresstest für die Veranstalter und Public Viewing für Voyeure.

Haslinger sagt, dass es interessanterweise meist die Biertrinker sind, „die die Lesung versauen, indem sie zu viel saufen. Der notorische Dichter mit der Bierflasche, man kennt ihn. H.C. Artmann hat es aber auch als Weintrinker hingekriegt, so manche Lesung platzen zu lassen. Ich denke etwa an einen legendären Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse, der schlicht abgebrochen werden musste.“

In Österreich jedenfalls gebe es eine Menge Veranstaltungen, bei denen Alkohol und Literatur „in einen engen kulturellen Zusammenhang gebracht“ werden. Sie heißen „Buch und Wein“ oder „Literatur und Wein“ und erfreuen sich großen Zuspruchs. Das scheint folgerichtig, gehen sich doch Genussfeindlichkeit und Kunst für gewöhnlich aus dem Weg.

Der Wiener (natürlich!) Philosoph Robert Pfaller stellt in seinem Buch „Wofür es sich zu leben lohnt“ fest, dass „unsere aktuelle Kultur, bei aller geradezu verzweifelten Lustbezogenheit, ein Problem mit dem Genuss hat“. Er zitiert den Philosophen Günter Anders mit der Einsicht, dass nicht die Güter, sondern die Bedürfnisse knapp geworden sind. Und sagt selbst: Der politische Verzicht auf das, was wir vom Leben haben können, gründe auf einer „Unfähigkeit, jene Bedingungen herzustellen und zu schätzen, unter denen so anstößige Dinge wie Feiern, Tabak, Alkohol, Sex, schwarzer Humor, müßiges Nachdenken etc. als lustvoll erlebt werden können.“

„Wenn es keine Normalvorbilder des Genusses mehr gibt, dann treten nur noch deren Zerrbilder in Erscheinung“, sagt Pfaller und konstatiert „einen obszönen Exzess des Maßhaltens“. Als Clemens Meyer den Preis der Leipziger Buchmesse bekam, fanden es die meisten sexy, wie er spontan die Bierflasche Becker-Faust-mäßig in den Himmel stieß. Nachts an den Straßenbahnhaltestellen wird so etwas oft anders empfunden.

Für jene „Normalvorbilder des Genusses“ wiederum ist – auch – die Literatur zuständig. Haslinger weiß es, und er schreibt es, und er hat auch Recht, wenn er sagt: „Meist ist es doch so, dass alkoholisierte literarische Runden für die Stunde des Genusses und nicht für die Ewigkeit gedacht sind.“ Wein zu predigen, heißt ja auch, mal Wasser zu trinken.

(dieses blog ist zuerst erschienen unter www.lvz-online.de)

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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