Spaß-Hausse an der Kulturbörse

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Veranstalter, Produzenten und sogenannte Eventfachleute haben sich in Freiburg getroffen, um bei der 24. Internationalen Kulturbörse Produktionen und Künstler zu erleben und – noch wichtiger – zu vermarkten. Vom 23. bis 26. Januar gab es vor den Augen der rund 3500 Fachbesucher auf vier Bühnen über 150 Live-Auftritte aus den Bereichen Theater, Varieté, Kabarett, Comedy, Musik oder Tanz. Rund 350 Aussteller handelten in der Messehalle mit Kunst und Künstlern.


Am Stand der Leipziger Lachmesse gibt es saure Gürkchen. So ist es Tradition. Nicht, weil sauer lustig macht, sondern weil es bei den anderen Kollegen vor allem Süßes gibt. Sind Kulturschaffende chronisch unterzuckert? Unterbezahlt trifft es schon eher. Darum kann Moderator Alfons (der mit dem Puschel-Mikro) zur Eröffnungs-Gala einige Treffer landen, wenn er im Saal all jene versammelt sieht, die „auf Staatskosten leben“. Und überhaupt kaum ein Klischee auslässt – bis zur Kunst des kreativen Alkoholkonsums. Tatsächlich gleicht der Flur der Raucher-Etage im Mercure-Hotel am Morgen der Abreise einem Containerplatz in Problemvierteln.

Problematisch scheint für Freiburgs Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach (SPD) der Begriff Kleinkunst zu sein, um den herum er in seiner Eröffnungsrede die Sponsoren-Namen gruppiert. Das war dann aber doch nur eine Pointe. Und weil von Kirchbach auch Sozial- und Integrationsbürgermeister ist, lässt er durchblicken, die Öffnung der Börse in Richtung Freiburg, also die Integration in den Kulturalltag der Stadt, sei noch nicht ausgereizt und freut sich andererseits über all das Neue und Mehr dieses 24. Jahrgangs, bevor dann wirklich die Kunst beginnt.

Die „Residual Gurus“ aus Barcelona (zum ersten mal gibt es einen thematischen Schwerpunkt: Katalonien und die Balearen) trommeln nicht einfach ihre Rhythmen – nein, sie sind lustig, weil die selbstgebastelten Instrumente wie vom Müllplatz wirken. Das Trio „Muttis Kinder“ baut nicht einfach auf Gesangstalent – nein, es ist komisch, weil es Song-Klassiker beim Arrangieren auch verballhornt. Ob der Poetry-Slammer Laurin Buser, Comic-Komiker Fil oder Pantomime Daniel – kaum einer wagt es ohne Ironie. Gern mit dem Gestus des Losers, der nichts auf die Reihe bringt, und dann doch mit einer Hammer-Pointe zuschlägt, die schon deshalb bejubelt wird, weil sie endlich kommt.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Sie alle beherrschen ihre Kunst. Die alten Freiburg-Hasen sprechen sogar von der schönsten Eröffnung seit Jahren. Es fällt jedoch auf, wie sich in den drei Tagen immer wieder Scherz, Satire, Ironie auf der Flucht vor tiefere Bedeutung über die Bühnen jagen und – zuweilen – eine Comedyisierung der Unterhaltung illustrieren, mag sie nun klein sein oder groß, die Kunst. Da fallen Kabarettisten ja schon dadurch angenehm auf, dass sie es ernst meinen mit einer Komik, die den Kontrast braucht, die Fallhöhe, die Überraschung.

Kunst wiederum braucht Geld. Auch die Bundesagentur für Arbeit ist unter den Ausstellern und leistet sich einen großen Stand neben einem Massage-Entspannungs-Matratzen-Hersteller. Ein paar Nummern kleiner schmiegen sich die Kojen der Künstler-Agenturen, Veranstaltungshäuser und Einzelkünstler aneinander. 80 bis 104 Euro pro Quadratmeter kosten die Stände, von denen manche wie Bühnenbilder gestaltet sind, andere pur auf Plakate und Flyer vertrauen. Christoph Walther vom Duo „Zärtlichkeiten mit Freunden“, das sich und Kollegen präsentiert, hätte gern einen Preis für den schönsten Stand. Er hat jedenfalls die besten Fruchtschnitten.

Flankiert wird die Unterhaltung von Talks, Vorträgen und Workshops zum vielleicht Wichtigsten bei der Kulturvermarktung: Präsentation, Management, Pressearbeit, Social Media, die „geheimen Regeln der Seilschaften“ (nein, Christian Wulff wurde nicht gesehen). Wiebke Doktor rät, wie Partner aus der Wirtschaft zu gewinnen sind. Sie ermuntert, so etwas wie Neujahrsempfänge zu besuchen, denn Unternehmer seien durchaus dankbar, wenn sie mal mit Leuten aus einer anderen Welt plaudern können. In einer Mischung aus Aufklärung und Motivation spricht sie von der „sanften Kunst, die Freude am Geben zu lehren“ (Henry A. Rosso), von innerer Haltung und Image-Bewusstsein. Es gehe nicht darum, nach Geld zu fragen, sondern etwas anzubieten.

Die Jagd nach Aufmerksamkeit beginnt schon vor Eröffnung mit dem Rennen um Plätze auf den Plakatwänden. Jede Lücke wird beklebt, auf jedem Tischchen häufen sich Flyer. Bei 150 Live-Kurzauftritten auf vier Bühnen muss so viele Besucher wie möglich locken, wer ab 410 Euro Antrittsgeld gezahlt hat (sofern von der strengen Auswahlkommission überhaupt zugelassen), um in 20 Minuten zu überzeugen. Der Zeitplan wird streng eingehalten. Wer diese 20 Minuten ungeschickt zusammenstellt, fällt durch. Wer es schafft, wird danach am Stand umringt, beglückwünscht und – bestenfalls – gebucht.

Wie die Kabarettistin Anke Geißler aus Leipzig, die gemeinsam mit Pianist Karsten Wolf ihr Solo „Ja ich will!“ mit Kreisler-Liedern präsentiert und auch für das auf den Kabarettbühnen immer seltener zu erlebende Figuren-Spiel gefeiert wird. „Sind Sie im Fernsehen?“ fragt später die Taxi-Fahrerin. Doch die wenigsten der hier Auftretenden sind vom Bildschirm bekannt. „Herrchens Frauchen“ sicher. Oder Uwe Steimle. Auch Oliver Polak. Und einige der prominenten Besucher wie Jochen Malmsheimer oder Georg Schramm.

„Dit is ja schau!“ freut sich Stefan Klucke vom Potsdamer Duo „Schwarze Grütze“, als er Anke Geißler über den Weg läuft. Die “Grütze” ist oft in leipzig, am 10. Februar feiert ihr neues Programm im Academixer-Keller Premiere. Zeit für einen Kaffee ist auch hier, und der Kaffee ist gut am „Espressi-Mobil“, vor dem die Schlange nie abreißt. Ein paar Meter weiter klatschen die Leute zu den Gute-Laune-Rhythmen von „The Les Clöchards“, während ein Dalmatiner auf Stelzen vorbeihüpft und Klucke sagt: „Der erste Schritt geht immer ins Leere.“

Das heißt, wer hier Verträge machen kann, sich neue Regionen zu erschließen, wird möglicherweise zunächst vor halbleeren Sälen spielen, erst vor 20 Leuten, beim nächsten Mal vor 50, später 100 – dann erst sei ein Gastspiel auch mal ausverkauft. Diesen langen Atem können sich Künstler wie Veranstalter immer weniger leisten. In einem Jahr werden sie sich wieder hier treffen. Der nächste Schritt soll in die Vollen gehen.

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Kulturschaffende beim kreativen Absacken in der Freiburger Altstadt.

(zuerst unter www.lvz-online.de)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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