Pflegetagebuch I

Von wegen Nächstenpflege Grabenkämpfe der Gesellschaft - Schwerpunkt häusliche Pflege und Migration

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Sonntagmorgen, 9 Uhr - es klingelt.

Ich sitze auf der Bettkante und warte auf Abdullah, einen freundlichen jungen Mann, der seit 3 Monaten mir Sonntags Füße, Rücken und Oberkörper wäscht, cremt und manchmal auch duscht.

Eigentlich bin ich froh Abdullah als Pfleger gewonnen zu haben, weil ich mirs schon lange wünsche, daß es in der Pflege mehr Männer geben solle. Denn, wie bei Frauen auch - ist es uns Männern oft lieber - von Geschlechtsgenossen gewaschen oder gebügelt zu werden, aber leider stehts im Geschlechterverhältnis in der Pflegearbeit noch immer 1 - 10 unangefochten in Front für die Frau!

Abdullah arbeitet eigentlich für die Post als Paketfahrer! Der in 2015 angekommene Libyer hat schlauerweise eine Ausbildung als Altenpfleger abgeschloßen und weil ihm dieser Verdienst nicht reicht muß er unter der Woche noch das Weihnachtsgeschäft als Paketzusteller bedienen.

Sein Arbeitgeber hatte ihm sogar mit Kündigung gedroht, wenn er den Pflegeberuf weiter ausübe - neben seiner Tätigkeit als Paketzusteller! Abdullah hat sich nicht einschüchtern lassen und Courage bewiesen - seinem Chef ultimativ vor die Wahl gestellt und gedroht - eher den Job als Paketzusteller hinzuschmeißen anstatt sich den Pflegeberuf ausreden lassen zu wollen.

Heimlich bewundere ich den Mut und den starken Willen dieses jungen Mannes und im Verlauf unseres Gesprächs - mir noch die Füsse abrubbelnd - berichtet Abdullah mir von seiner Bewerbung als Pfleger in einem katholischen Pflegeheim für ehemals Besserverdienende. Dort wurden ihm UkrainerInnen und InderInnen vorgezogen - und obwohl das Pflegeheim weiterhin unterbesetzt händeringend um Fachkräfte buhlt - sind dort Moslems leider nicht erwünscht.

Er ist nur mit seinem kleinen Bruder hierhergekommen, der macht ihm viel Ärger und er muß gut auf ihn aufpassen. Ukrainer - die wie er auch aus dem Krieg kommen - erhalten sofort Bürgergeld und dürfen in den deutschen Arbeitsmarkt starten oder direkt an den Sozialkassen teilnehmen. Abdullah ärgert sich zurecht über die ungleiche Behandlung in der deutschen Gesellschaft.

Mir - die Tür fliegt gerade zu - Abdullah ist noch bestimmt den ganzen Sonntag unterwegs - von Patient zu Patient - sein kleiner Bruder bleibt hoffentlich brav und wartet sicher bis zum Abend auf ihn - dann werden sie beide in Richtung Heimat träumen -

hing dieses Gespräch nachdrücklich durch den Tag ...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Chuwawa

Neugierig- skeptisch- kritischer Freigeist mit auch unbequemer Lebenserfahrung aus sozialer, gesundheitlicher wie ökonomischer Realität.

Chuwawa

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