Zu den Fragen, die Todd Haynes’ neuer Film Vergiftete Wahrheit aufwirft, gehört auch die, wie das Kino von ökologischen Katastrophen erzählt. Was kann das Kino leisten, das abstrakte Zahlen oder journalistische Berichterstattung nicht vermögen? Solche Fragen stellen sich vielleicht besonders dann, wenn man wie Haynes an der Schnittstelle zwischen Independentkino und Hollywood arbeitet. Sollte man, wenn man Aufmerksamkeit für ein aktivistisches Anliegen generieren möchte, mit einer radikalen Ästhetik bestehende Sehgewohnheiten herausfordern? Oder stattdessen auf etablierte Erzählformen und die Ressourcen großer Studios zurückgreifen?
Vergiftete Wahrheit basiert auf wahren Begebenheiten. Der Anwalt Rob Bilott (Mark Ruffalo) ist auf Umweltrecht spezialisiert und arbeitet in einer Kanzlei in Ohio. Über Bilotts Großmutter, die in West Virginia lebt, nimmt der dort ansässige Farmer Wilbur Tennant (William Camp) Kontakt zu ihm auf. Auf seiner Farm sterben massenweise Kühe aus unerklärlichen Gründen. Tennant glaubt, dass das Wasser im angrenzenden Fluss durch den Chemiekonzern DuPont, der unweit seiner Farm ein riesiges Produktionswerk unterhält, mit giftigem Abfall verschmutzt wird. Bei lokalen Politikern und der Umweltbehörde ist er auf taube Ohren gestoßen. Bilott, der normalerweise große Chemiekonzerne verteidigt, ist zunächst skeptisch, nimmt sich der Sache aber an.
Der Regisseur Todd Haynes begann seine Karriere als Underground-Filmemacher und wurde in den 90er Jahren zu einer der wichtigsten Stimmen des New Queer Cinema. Dem postmodernen Stil seiner Filme wie Velvet Goldmine, aber auch dem subversiven Melodram Dem Himmel so fern, war dabei stets ein hohes Bewusstsein für die politischen Implikationen erzählerischer Formen anzusehen. Dabei ging es immer auch darum, heteronormative Rollenbilder zu unterlaufen. Von daher mag es zunächst überraschen, dass Haynes nun ein relativ geradliniges Justiz-Drama gedreht hat.
Erst Karrierist, dann Idealist
Die Bildsprache von Vergiftete Wahrheit erinnert an die sogenannte Paranoia-Trilogie von Alan J. Pakula, der in den 70er Jahren die Thriller Klute, Zeuge einer Verschwörung und Die Unbestechlichen drehte, in denen es um die undurchsichtigen Machenschaften von Industrie, Politik und Militär geht. Auch in Vergiftete Wahrheit schaffen grau-blaue Farben, spärlich eingesetzte Musik und Aufnahmen von Industrieruinen eine beunruhigende Grundstimmung. Aus angewinkelten Perspektiven zeigt die Kamera immer wieder spiegelverglaste Wolkenkratzer als architektonische Symbole intransparenter Macht.
Dennoch ist der Film im Grunde klassisch erzählt, werden Jahreszahlen eingeblendet und Ereignisse chronologisch dargelegt. Der Wille, möglichst genau mit der Geschichte umzugehen, ist dem Film anzumerken. Vergiftete Wahrheit ist auch, vielleicht sogar vor allem, ein Film, der sich der Aufklärungsarbeit für ein umweltpolitisches Thema verschrieben hat.
Mit Bilott steht denn auch ein Protagonist im Zentrum, der diesen Aufklärungsprozess selbst durchläuft. Bilott ist zunächst kein Idealist, sondern ein pragmatischer Karriereanwalt – und wird dann doch zum Whistleblower, der für die gerechte Sache kämpft. Über seinen jahrelangen juristischen Kampf gegen DuPont druckte das New York Times Magazine 2016 eine große Reportage, auf der auch das Drehbuch zu Vergiftete Wahrheit basiert. Mark Ruffalo spielt diesen stillen Mann mit sympathischem Understatement. Von der Reformierbarkeit großer Konzerne zeichnet der Film ein pessimistisches Bild. Bilotts Entwicklung jedoch steht im Zeichen eines Glaubens an die Macht des Einzelnen.
Nachdem Bilott den DuPont-Anwalt Donnelly (Victor Garber), mit dem er zuvor ein freundschaftliches Verhältnis gepflegt hat, mit den Vorwürfen seines Mandanten konfrontiert, sagt dieser zu, alle nötigen Dokumente zur Aufklärung bereitzustellen. Ein paar Tage später trifft eine ganze Lkw-Lieferung mit Kartons in Bilotts Kanzlei ein. Der Konzern kalkuliert, dass belastendes Beweismaterial in dieser Informationsflut untergeht.
Wie Bilott anschließend inmitten dieser Papiertürme auf dem Boden eines abgedunkelten Zimmers sitzt und unbeirrt mit dem Sortieren beginnt, ist einer der eindrücklichsten Momente des Films. Es geht kein Pathos aus von diesem Bild, vielmehr zeigt sich auch hier ein nüchterner Realismus. Man kann diese Szene – vielleicht auch gerade vor dem Hintergrund der Trump-Ära – als Verbeugung vor dem Typus des unauffälligen Bürokraten sehen, der beharrlich jene kleinteilige Arbeit erledigt, auf Basis derer die Mächtigen zur Verantwortung gezogen werden können.
In gewisser Weise sitzt Vergiftete Wahrheit mit seinem aufrührerischen Anspruch und seiner gleichzeitig recht konventionellen Form zwischen den Stühlen. Vielleicht geht eine solche Gegenüberstellung aber auch am Kern vorbei. Denn das zutiefst Verstörende sind hier weniger die Mittel der Inszenierung als schlicht das Ausmaß des Umweltskandals, das der Film zeigt. Was zunächst wie ein lokales Desaster aussieht, hat längst auch globale Folgen, wie im Abspann deutlich wird. Ob Filme die Welt verändern könnten, wisse er nicht, hat Todd Haynes in einem Guardian-Interview gesagt. Was er mit Vergiftete Wahrheit erreichen wolle, sei, dass man wieder misstrauisch auf die Welt schaut.
Info
Vergiftete Wahrheit Todd Haynes USA 2019, 126 Minuten
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