Spektakulär beginnt es: In einer kalten Winternacht des Jahres 1983 fliegt bei einem Agentenaustausch die Glienicker Brücke in Berlin in die Luft und mit ihr Nina Winter, alias Anja Gabriel, die Protagonistin des Romans. Katastrophaler kann der geplante Austausch zweier hochrangiger Spione aus Ost und West nicht enden. Die Welt taumelt am Rand einer atomaren Auseinandersetzung dahin. In der Geschichte, die sich nun anschließt, werden die Vorgeschichte wie auch die Folgen des Attentats aufgerollt – und bis zum Ende hin wird es nicht weniger spektakulär.
Jung und ziemlich naiv ist Nina Winter, als sie wenige Jahre zuvor mit hervorragenden Russischkenntnissen aus dem Nichts von der Analystin beim BND zur Agentenführerin eines „Pink Stars“ – so d
nt es: In einer kalten Winternacht des Jahres 1983 fliegt bei einem Agentenaustausch die Glienicker Brücke in Berlin in die Luft und mit ihr Nina Winter, alias Anja Gabriel, die Protagonistin des Romans. Katastrophaler kann der geplante Austausch zweier hochrangiger Spione aus Ost und West nicht enden. Die Welt taumelt am Rand einer atomaren Auseinandersetzung dahin. In der Geschichte, die sich nun anschließt, werden die Vorgeschichte wie auch die Folgen des Attentats aufgerollt – und bis zum Ende hin wird es nicht weniger spektakulär.Jung und ziemlich naiv ist Nina Winter, als sie wenige Jahre zuvor mit hervorragenden Russischkenntnissen aus dem Nichts von der Analystin beim BND zur Agentenführerin eines „Pink Stars“ XX-replace-me-XXX8211; so die Bezeichnung für einen besonders wertvollen Spion – hinaufkatapultiert wird. Nach einem zweimonatigen Crashkurs in allen notwendigen Techniken wird sie in Moskau eingesetzt, um mit Rem Kurkura, einem hochrangigen KGB-Offizier und Spion für den BND, Kontakt aufzunehmen – ein mehr als gewagtes Unterfangen. Nina taucht ein in die obskure Welt der Spionage und Gegenspionage, der Doppelagenten, der russischen Mafia, der Korruption. Niemand zeigt hier sein wahres Gesicht, geschweige denn nennt man seinen Klarnamen.Es sind die frühen achtziger Jahre. Der Kalte Krieg mit seinen unversöhnlichen Lagern spaltet die Welt. In der UdSSR wird Leonid Breschnew von Juri Andropow abgelöst, in den USA betritt in Kürze der ehemalige Schauspieler Ronald Reagan die politische Bühne, während in Deutschland Helmut Kohl trotz seiner Verstrickung in die Flick-Affäre Bundeskanzler werden kann. Der NATO-Doppelbeschluss, der Einmarsch der UdSSR in Afghanistan, der darauf folgende Boykott der Olympischen Spiele in Moskau – all dies bildet (neben anderem) den zeitgenössischen Hintergrund. Andreas Pflüger bettet seine präzise getimte Story ein in einen dichtes Netz aus Verweisen auf Geschichte, Kultur und Politik, zitiert Filme wie Songs und Literatur und beschwört dadurch die Atmosphäre jener Jahre herauf. Dennoch ist der Roman hochaktuell: Obwohl der Autor mit dem Schreiben noch vor Beginn des Ukraine-Kriegs begann, sind die Parallelen und Bezüge zur heutigen Zeit frappant.Zwei Armeen, der KGB und ichDie sorgfältige Recherche gehört zu Andreas Pflügers Stärken. Zum Greifen plastisch steht nicht nur das Moskau jener Zeit vor Augen, sondern beispielsweise auch die BND-Zentrale in Pullach, in deren Bunker – dem ehemaligen „Führerhauptquartier Siegfried“ – es nach „tausend Jahre alten Socken riecht“. Trotz markanter Details ist der Roman alles andere als schwerfällig. Dies gelingt zum einen dank des lakonischen Schreibstils des Autors: Bei Ninas erstem Besuch in Pullach erklärt ihr der aktuelle Präsident des BND: „Sie befinden sich im Schlafzimmer von Martin Bormann.“ „Ich hätte es mir brauner vorgestellt“, lautet die trockene Replik der jungen Frau. Zum anderen muss Andreas Pflüger glücklicherweise nicht alles vollständig auserzählen – knappe Dialoge und Szenen, die gekonnt auf den Punkt geschrieben sind, sorgen für ein durchgehend hohes Tempo, das gegen Ende noch deutlich angezogen wird.Nicht nur an diesen Stellen merkt man, dass der Autor jahrelang sehr erfolgreich und preisgekrönt für Film und Fernsehen gearbeitet hat. Allein siebenundzwanzig Drehbücher für die ARD-Produktion Tatort hat Pflüger verfasst. Gemeinsam mit Murmel Clausen hat er den Tatort Weimar entworfen und die ersten Drehbücher dafür geschrieben. Hinzu kommen zahlreiche weitere für Fernsehfilme anderer Genres, aber auch Theaterstücke und Hörspiele wie auch Dokumentarfilme. Seit mehreren Jahren konzentriert sich der Autor jedoch auf das Schreiben von Romanen. Wie Sterben geht ist sein sechster. Den Auftakt bildete Operation Rubikon (2004, Neuauflage bei Suhrkamp 2020), das im Milieu des organisierten Verbrechens in Deutschland spielt, gefolgt von der sehr erfolgreichen Trilogie um die blinde Polizisten Jenny Aaron: Endgültig (2016), Niemals (2017) und Geblendet (2019), die auch in Punktschrift vorliegt. 2021 erschien Ritchie Girl, angesiedelt im Nachkriegsdeutschland und geschrieben mit kalter Wut auf das zynische Doppelspiel der Geheimdienste des Westens wie des Ostens im Umgang mit Naziverbrechern. Zeitgleich mit Wie Sterben geht erscheint derzeit Andreas Pflügers recht persönliches Sachbuch Herzschlagkino – 77 Filme fürs Leben mit kurzen Porträts von Filmen, die ihm viel bedeuten.Die Liebe zum Film, insbesondere zum Hollywoodfilm in Cinemascope, merkt man Wie Sterben geht an – nicht nur den akkuraten Dialogen, sondern auch der eindrucksvollen Hauptfigur. In der testosterongeschwängerten Welt der Geheimdienste hat Nina Winter zunächst keinen leichten Stand. Besonders zu Anfang fragt sie sich häufig, was ihr Alias Anja Gabriel – die sie sich als geradezu filmreife Akteurin vorstellt – wohl machen würde. Erst nach und nach gewinnt Nina an Selbstbewusstsein und Erfahrung, lernt Boxen und das Töten von gnadenlosen Gegnern. Sie wird zu einer Frau, vor der sich ihre Feinde in Acht nehmen müssen. Gegen Ende des Romans wird sie gefragt, wie es in Moskau denn für sie gewesen sei. Ihre Erwiderung könnte eindeutiger nicht ausfallen: „Anfangs war es fremd, dann wurde es meine Heimat. Am Ende haben sich dort zwei Armeen gegenübergestanden. Der KGB und ich.“So ist Wie Sterben geht nicht nur eine Agentenstory aus dem Kalten Krieg, sondern ebenso die Geschichte einer Selbstermächtigung wie auch ein Roman über Freundschaft und Liebe unter härtesten Bedingungen, der wortgewaltig, actionreich und bei aller Gewalt auch gefühlvoll ist.Placeholder infobox-1